2. Im Frühling

[438] Der trübe Winter ist vorbei,

Die Kranich' wieder kehren.

Nun reget sich der Vögel Schrei,

Die Neste sich vermehren.

Laub allgemach

Nun schleicht an Tag,

Die Blümlein hold sich melden,

Wie Schlänglein krumm

Gehn spielend um

Die Bächlein kühl in Wälden.


Der Brünnlein klar und Quellen rein

Viel hie, viel dort erscheinen,

All' silberweiße Töchterlein

Der hohen Berg' und Steinen.

In großer Meng'

Sie mit Gedräng,

Wie Pfeil' von Felsen zielen.

Sie fließen her,

Und rauschen sehr

Und mit den Steinlein spielen.


Die Jägerin Diana stolz,

Die Wald- und Wassernymphen

Gehn wieder froh im grünen Holz,

Mit Spielen, Scherz und Schimpfen.

Die goldne Sonn'

Schmückt ihre Kron,

Den Köcher füllt mit Pfeilen;

Die muntern Ross'

Läßt laufen los

An himmelblauen Meilen.


Mit ihr die kühlen Abendwind',

Wie Knaben sanft von Sitten,

Zum Spielen in der Luft gesinnt

Auf kleinen Wolken ritten.

Die Bäum' und Äst'

Auch tun ihr Best',

Bereichern sich mit Schatten,

Da sich das Wild

Verbirgt und hüllt,

Wann's muß vor Hitz' ermatten.[439]


Die Meng' der Vöglein hören läßt

Ihr Lied von Tirelieren,

Da klinget aus so manchem Nest

Vereintes Musizieren.

Die Zweiglein schwank

Zum Vogelsang

Sich auf, sich nieder neigen;

Im Grünen gehn

Hört man ein Wehn,

Wie Lautenspiel und Geigen.


Wo man nur schaut, die ganze Welt

Zu Freuden sich tut rüsten;

Zum Scherzen alles ist gestellt.

Schwebt alles froh in Lüsten.

Ich nur allein,

Ich leide Pein,

Ohn' End' ich werd' gequälet,

Seit ich mit dir,

Und du mit mir,

O Jesu dich vermählet.


Nur ich, o Jesu bin allein

Mit stetem Leid umgeben,

Nur ich muß tief in Schmerzen sein,

Weil nicht bei dir darf leben.

Ewige Klag',

Dauernde Plag',

So lang von dir zu scheiden;

Die bittern Wehn,

Dich nicht zu sehn,

Sie schaffen mir dies Leiden.


Was frommt mir dann die schöne Zeit?

Was Glanz, was Schein der Sonnen?

Die Bäume lieblich ausgebreit',

Was Klang der klaren Bronnen?

Was Atem lind

Der kühlen Wind',

Was Bächlein sanft geleitet?

Was edler Mai,

Der Vögel Schrei,

Was Felder grün gespreitet?


Ade, du schöne Frühlingszeit,

Ihr Felder reich beladet,[440]

Laub, Gras und Blümlein neu gekleid't

Im süßen Tau gebadet.

Ihr Wasser klar,

Du Sternenschar,

Ihr Pfeil' der güldnen Sonnen,

Nur Schmerz und Pein,

Bei mir allein,

Hat Oberhand gewonnen.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 438-441.
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