Fünfter Auftritt.


[190] Ulfo, Estrithe.


ESTRITHE.

Ich will nicht dem Gesetz der Ehre wiederstehen.

Du hast den Streit erregt und darfst ihm nicht entgehen.

Doch, daß dein hartes Herz, das nur von Mordgier brennt,

Estrithen nicht einmal ein Lebewohl vergönnt,

Daß du, indem ich seh, wie du mich hintergangen,

Mir nicht einmal erlaubst, dich, Falscher, zu umfangen,

Denk, ist dieß nicht zu viel? ist dieß nicht Grausamkeit?

Ists möglich zwar vielleicht, daß noch dein Herz sich scheut,

Du fürchtest wohl, daß ich mich nur beklagen wollte,

Und meynst, ich hasse dich, weil ich dich hassen sollte.

Nein! du hast schon geprüft, daß ich nicht hassen kann.

Ach! wüßt ich alles nur, was du an mir gethan!

Ich hör itzt sonst von nichts als deinem Frevel sprechen,

Ein jeder Augenblick zeigt mir ein neu Verbrechen.

Was ich sonst so beweint, das scheint mir itzt nur klein.

Du lehrst mich, Grausamer, dir alles zu verzeihn.

Daß du mein ängstlich Flehn durch falsche Reu betrogen,

Mich selbst in den Verrath, auf den du denkst, gezogen,

Und daß dein trotzig Herz an der Versöhnung statt,

Die du zu stiften kamst, nur Haß zur Absicht hat,

Daß du den tollen Zweck vor aller Welt entdeckest,

Und mich vor deiner Wut betrübten Folgen schreckest,

Daß du durch einen Ruff, der andrer Ehre raubt,

Mein Herz, das Lügen haßt, an dich zu ziehn geglaubt,

Den, der dich überweist, durch neuen Schimpf beleidigst,

Verläumdungen ersinnst und sie durch Mord vertheidigst:

So viel Verbrechen zeigt mir fast ein Augenblick.

Grausamer, fahr nur fort, es ist noch mehr zurück,

Eröffne, was man mir aus Mitleid will verhehlen,

Da du kein Mitleid hast, kannst du mir es erzählen.[190]

Ich bath bey dem Canut für dein und mein Vergehn,

Weil dich das Flehen schimpft, erspart ich dir das Flehn.

Ich nahm auf mich allein, was du allein verbrochen.

Du kennst schon den Canut, du wurdest losgesprochen.

Doch da ich ihm erwähnt, um ihn gerührt zu sehn,

Daß ich dich liebe, sey auf seinen Wink geschehn,

Da ich von dem Befehl, den du mir brachtest, sage,

Antwortet er darauf, daß ich dich nur verklage.

Sprich, was ist dein Vergehn, wie kann dieß möglich seyn?

So gab dich mir Canut nicht zum Gemahle?

ULFO.

Nein!

ESTRITHE.

Und sein Befehl zu thun, was du von mir begehret,

Die Schrift von seiner Hand?

ULFO.

Die hab ich falsch erkläret.

ESTRITHE.

Verräther!

ULFO.

Dieses Glück, daß du mein eigen bist,

Daß ich dein Herz erhielt, dank ich bloß meiner List.

Ich sollte, wo du warst, des Sveno Aufruhr stören,

Durch dich und ohne Heer versprach ich ihm zu wehren.

Ein Wort verlangt ich nur von deines Bruders Hand,

Ich wüßte seinen Wink und sey an dich gesandt.

Dieß Wort, dieß mußte mir zu besserm Zwecke nützen,

Und kurz, ich liebte dich, drum mußt ich dich besitzen.

ESTRITHE.

Du liebtest, sagest du? Was that ich dir Barbar,

Daß ich geqvält zu seyn von dir erlesen war?

Daß du dich durch Betrug in dieses Herz gedrungen,

Mich meiner Pflicht entführt, mich dein zu seyn gezwungen,

Und durch verfluchte List, die nun dein Herz belacht,

Aufrührisch, ungetreu und dir selbst gleich gemacht?

Unwissend hab ich selbst, als Beystand deiner Thaten,

Den Godewin verletzt, und den Canut verrathen.

Was that ich nicht bisher, was litt ich nicht für dich?

Nur meine Pflicht, sonst nichts, war noch ein Trost für mich.

Ach! was wird künftig seyn? was kann mir Trost versprechen?

Selbst daß ich dieses litt, war auch noch ein Verbrechen,

Grausamer! ach! Canut! ach! Pflicht! ach! Godewin!

ULFO.

Ist deine Pflicht dein Trost, den kann dir nichts entziehn:

Du hast sonst keine Pflicht als die, nur mich zu lieben.

Halt dich an diese Pflicht, so darf dich nichts betrüben.

Wiß, ich bin dein Gemahl.

ESTRITHE.

Gemahl! ach schwere Pflicht!

Du foderst Liebe zwar, doch du verdienst sie nicht.[191]

ULFO.

Ist der nicht liebenswerth, der nur nach Ruhme jaget?

Verdient der keinen Ruhm, der grosse Thaten waget?

Ich eile, du sollst sehn, daß Ulfo deiner Treu

Weit mehr als Godewin und einzig würdig sey.

ESTRITHE.

Wohin? ach! Grausamer! den, dem ich untreu worden,

Den, dem du mich geraubt, den willst du noch ermorden.

Ach! trage denn nur ich das Joch von meiner Pflicht?

Indeß daß mein Gemahl der Menschheit Pflichten bricht.

Sieh doch! dieß Herz, das du geraubt, geqvält, betrogen,

Wird immer noch zu dir bloß durch die Pflicht gezogen.

Ach! höre doch dieß Herz, und bist du mein Gemahl:

So häufte doch nicht stets durch Frevel meine Qvaal.

Hör doch. Ich liebe dich. Willst du mich denn noch kränken?

Willst du mir nicht sein Blut für meine Liebe schenken?

ULFO.

Die Ehre sieht sein Blut schon als ihr Opfer an.

Wie meynst du, daß ich es der Liebe schenken kann?

ESTRITHE.

Nein! sollt ich zwischen euch von deinem Schwerdt erblassen,

Ich kann die Barbarey euch nicht vollstrecken lassen.

Ich eile, Grausamer, und bitte den Canut

Um Hülfe für euch selbst und wider eure Wut.

Ich weiß, er ist gerecht und wird die Mordgier dämpfen.

ULFO.

Da du zu bitten gehst, geh ich indeß zu kämpfen.

Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 190-192.
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