Erster Auftritt.


[208] Godewin, Estrithe.


GODEWIN.

Verlaß dich doch getrost auf deiner Thränen Kraft.

Nein! ihnen widerstehn wär allzufrevelhaft;

Sie würden manches Herz, das sie mit Leid durchdringen,

So weit, als kaum vielleicht die Pflicht erlaubte, bringen:

Sollt Ulfo denn allein bey so gerechtem Flehn

Sich selbst zum Besten nicht die Menschlichkeit gestehn?

Der gütigste Canut verspricht ihm zu verzeyhen.

Die That ist schon geschenkt, er darf sie nur bereuen.

Ein einzig Wort von ihm, daß er sich schuldig nennt,

Soll alle Strafe seyn, die man ihm zuerkennt.

Itzt wird er hergeführt: bitt ihn, dieß Wort zu sprechen.

Ich weiß, sein eignes Herz zeigt ihm schon sein Verbrechen?

Ihn rührt des Königs Huld und daß er dich betrübt,

Und meynst du, daß ein Held nicht auch das Leben liebt?

Wie sollt er fühllos seyn, wenn sich mit deinem Weinen[208]

Erkenntlichkeit und Recht und die Natur vereinen,

Und alles, was nur ie ein Herz gefangen nimmt,

Und was nur Reu erweckt, in ihm zusammen stimmt?

ESTRITHE.

Umsonst bemühst du dich für sein verlornes Leben.

Wenn alles dich erhört, wird er dir widerstreben.

Zu großmuthsvoller Freund, stell deinen Eifer ein;

Sein Herz ist nicht geschickt, um etwas zu bereun.

Er weiß nichts schimpflichers, als sich verzeyhn zu lassen,

Und eh er bitten wird, eh wählt er zu erblassen.

Ich kenne schon den Stolz, der niemals sich vergißt:

Ich habe schon geprüft, wie unbewegt er ist.

Wie könnt ich ihm vertraun? Was könnt ich wohl erlangen?

O Himmel! so vielmal hat er mich hintergangen!

Gelobt er nicht erst itzt, da er auf Bosheit sann,

Mit falscher Freundlichkeit mir die Versöhnung an?

Ach! seine letzte Wut entreißt mir alles Hoffen.

Was thät ich, hätte sie dießmal ihr Ziel getroffen?

Verführt ich den Canut nicht selbst zu soviel Huld?

Wenn er ins Lager gieng: so war es meine Schuld.

Betrübte Willigkeit! bald hätte mein Gewissen

Von mir des Bruders Blut verzweifelnd fodern müssen.

Wer sieht den tiefen Grund von Ulfons Herzen ein?

Kann iemals so viel Muth bey so viel Lastern seyn?

Gesetzt, daß wir ihn itzt zur Reu bewogen hätten,

Weißt du, ob wir ihn nicht zu neuem Frevel retten?

Ob er sein Leben nicht nur darum noch erhält,

Damit er endlich den, der es ihm schenket, fällt?

Nein! ich kann nicht auf mich des Reiches Unglück laden.

Scheint er erweicht zu seyn, so ist es um zu schaden.

O tödtlich harter Zwang! o Schicksal voller Pein!

Ach! er ist mein Gemahl, und er muß hülflos seyn!

Wie schwerlich kann ihn doch mein Herz verloren sehen!

Doch ach! was kann ich thun? es ist um ihn geschehen!

GODEWIN.

Ists möglich? da sein Herr und Richter ihm verziehn,

Sprichst du an dessen statt das Urtheil über ihn?

Grausame, den Gemahl, um den du mich verlassen,

Verdammest du nun selbst so ruhig, zu erblassen.

Hilf ihm doch seinem Wohl nicht auch noch widerstehn.

Muß man auch noch zu dir um seine Rettung flehn?

Am Abgrund, wo er steht, sollst du ihm Hülfe reichen,

Und bist noch weniger, als Ulfo, zu erweichen.

Spricht dein Gewissen denn allein für den Canut?[209]

Empfiehlt es dir denn nicht auch des Gemahles Blut?

Was fürchtest du, wenn ihn dein Bitten wiederbrächte,

Daß nur sein stolzes Herz auf neuen Frevel dächte?

Wach du für den Gemahl, laß andern ihre Pflicht;

Die Wohlfahrt des Canut sey deine Sorge nicht.

Kann denn so mancher Arm, der Feinde Fall und Schrecken,

Vor eines Menschen Haß nicht unsern König decken?

Zum Meuchelmord zu stolz, und zur Gewalt zu schwach,

Zieht Ulfons Wut nur ihm, sonst niemand, Schaden nach.

Kannst du dem Unglück ihn so sorglos übergeben:

Nein! ich bin nicht so hart; Er schenkte mir das Leben.

So muß ich denn, da sich in dir kein Mitleid regt,

Versuchen, ob mein Flehn ihn ohne dich bewegt.

Vermocht ich nur vor ihm die Thränen zu vergiessen,

Die so beredt und stark aus deinen Augen fliessen!

Hart ich die Zärtlichkeit und dieser Worte Kraft,

Die du nicht brauchen willst, und die doch alles schaft!

Hier ist er. Willst du nicht sein Wohl von ihm erbitten?

ESTRITHE.

O Himmel! welcher Stolz blickt noch aus seinen Schritten.


Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 208-210.
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