Erster Auftritt.


[229] Frau Sylvesterinn. Strom.


SYLVESTERINN. Kommen sie nur herein, Hr. Strom, und verziehen sie ein wenig bey mir. Mein Sohn wird gleich wiederkommen.

STROM. Ist er nicht zu Hause? Wie? er läßt mich holen, und ist nicht zu Hause? Was soll ich denn, zum Teufel! hier machen?

SYLVESTERINN. Sie sollen nur ein klein wenig verziehen.

STROM. So? so hat er mich holen lassen, damit ich hier ein klein wenig verziehen soll?

FRAU SYLVESTERINN. Er ist in ihren Angelegenheiten ausgegangen.

STROM. Er mag in meinen, oder in des Henkers seinen Angelegenheiten ausgegangen seyn: was soll ich denn, wenn er nicht zu Hause ist?

FRAU SYLVESTERINN. Geben sie sich doch zufrieden. Er hat mir versprochen, daß er vor zwey Uhr wieder da seyn will: und er muß da seyn, denn es hat schon zwey geschlagen.

STROM. Wenn er da seyn müßte: so wäre er da!

FRAU SYLVESTERINN. Ach! lieber Herr Strom, allerliebster Herr Vätter, ängsten sie mich doch nicht so.

STROM. Ja, das sage ich ihnen, Frau Muhme: ihres Sohns dienten werden das Podagra gar nicht kriegen; denn er läßt einem die Füsse[229] nicht leicht faul werden. Aber die Gelbsucht, und die Schwindsucht, und alle übrige Suchten dazu, werden sie vor Aergerniß kriegen.

FRAU SYLVESTERINN. Sie ärgern sich auch gar zu leicht, Herr Strom.

STROM. Wenn das sich leicht ärgern heißt: so möchte ich doch wissen, wie schwer sie sich ärgerten? Das ist ja, zum Henker, das viertemal, daß ich heute hier bin, und ich habe ihn noch mit keinem Auge zu sehen gekriegt. Sagen sie mir doch, wo er steckt, und wo er herum läuft?

FRAU SYLVESTERINN. Ist es denn so gar nöthig, daß sie ihn sehen?

STROM. Frau Muhme, sie werden mich doch nicht für einen Narren haben? Wenn es nicht nöthig ist, warum lassen sie mich denn holen?

FRAU SYLVESTERINN. Je, Herr Strom, weil wir dachten, daß sie nöthig mit ihm zu reden hätten.

STROM. Ich werde wohl nicht nöthig mit ihm zu reden haben? aufs Rathhaus soll er mit mir gehen!

FRAU SYLVESTERINN. Wie lange hat es denn noch Zeit?

STROM. Wenn wir um 5 Uhr aufs höchste nicht oben gewesen sind: so ist der ganze Proceß zum Henker, er mag so schlecht und recht seyn, als er will.

FRAU SYLVESTERINN. Nun sehen sie! Da haben sie ja Zeit. Haben sie doch nur Geduld. Der arme Mensch ist heute gar zu geplagt. Um zwey Uhr hat er zum Minister kommen sollen. Er ist ihrer Sache wegen ausgegangen, und wenn er darüber den Minister versäumte: so grämte ich mich zu tode. Denn im Vertrauen: er wird wohl Secretär bey einem Collegio werden. Um drey kömmt die Frau Richardinn und ihre Tochter zu uns. Und da sähe ich gerne, wenn er ihrer Tochter gefiele.

STROM. Zum Teufel! ist nicht etwa um vier Uhr auch noch was? Ach! mein Proceß, der ist hin!

FRAU SYLVESTERINN. Er ist nicht hin, Herr Strom. Mein Sohn ist ein guter ehrlicher Mensch: mit Willen thut er niemanden nichts.

STROM. Schlimm genug für mich! Wenn er niemanden nichts thut: so wird er meinem Kläger auch nichts thun. Der hat doch einen Advocaten, der ein Advocat ist! Herr Renner, das ist ein Mann, dergleichen sonst nicht ist. Der rennt seinen Clienten die Thüre bald ein, wie ich meinem Advocaten. Sagen sie aber nur, Frau Muhme, warum er nicht früh gegangen ist?

FRAU SYLVESTERINN. Ich glaube nicht anders, als daß er zehen Bücher ihrer Sache wegen nachgelesen haben muß. Er ist mein Tage so still nicht gewesen. Er ist nicht aus der Stube gegangen. Herr Vätter, ich glaube, daß er sich eingeschlossen hat. Ja, daß wir nicht eins ins andre reden: Herr Strom, seyn sie doch so gut, und erzählen sie[230] mir die Sache noch einmal. Wir konnten uns vorhin nicht recht darauf besinnen.

STROM. Nun! so wollte ich auch, daß der Henker alle meine Feinde zu dem Advocaten führen müßte.

FRAU SYLVESTERINN. Ach! wenn sie nur kämen! Ich wollte das Haus nicht zuschließen.

STROM. Er hat ja nachgelesen, wegen meiner Sache?

FRAU SYLVESTERINN. Ich denke.

STROM. Wohl zehen Bücher?

FRAU SYLVESTERINN. Ich glaube es.

STROM. Er ist sein Tage so still nicht gewesen?

FRAU SYLVESTERINN. Das ist gewiß.

STROM. Er ist nicht aus der Stube gegangen?

FRAU SYLVESTERINN. Das will ich beschwören.

STROM. Er hat sich gar eingeschlossen?

FRAU SYLVESTERINN. Das könnte wohl seyn.

STROM. Und kann sich auf die Sache nicht besinnen?

FRAU SYLVESTERINN. So hören sie doch. Besinnen konnte er sich wohl: aber nur nicht recht.

STROM. So wird er sich wohl unrecht besonnen haben.

FRAU SYLVESTERINN. Nein! er weis die Sache. Ich habe ihm drauf geholfen.

STROM. Nun! wenn er sie weis, was soll ich sie denn erzählen?

FRAU SYLVESTERINN. War es nicht so? Ihr Kläger hatte Zeuge von ihnen erhandelt, die mit der und der Gelegenheit von Görlitz kommen sollten, und das drey Kisten?

STROM. Nicht doch! Vier Kisten. Sonst war es recht.

FRAU SYLVESTERINN. Ja, viere. Nun sehn sie, daß er es weis. Und war es nicht weiter so? Hernacher kommen fünf Kisten, und da will der Kläger die fünfte eben so wohlfeil haben, als die andern. Und sie wollen sie ihm nicht geben.

STROM. So mag der Henker ihrem Sohne was zu thun geben, und nicht ich? Lassen sie mich gehen; ich will einen andern Advocaten suchen.

FRAU SYLVESTERINN. Herr Vätter, allerliebster Herr Vätter! sie werden uns doch nicht den Schimpf anthun, und aus der Familie gehn.

STROM. Was? Familie! Familie! Wenn ich einen guten Advocaten habe! so frage ich den Henker darnach, ob er mein Vätter ist oder nicht.

FRAU SYLVESTERINN. Er wird schon werden, Herr Vätter. Er fängt erst an.

STROM. Wenn er anfängt, und will nicht besser an fangen: so mag er,[231] wie die andern Advocaten, bey den verunglückten Weibspersonen anfangen, ihnen zu helfen, und bey mir nicht. Ich will einen Advocaten haben, der schon ist wie er seyn soll; und nicht einen, der es erst werden soll, und zumal, wenn ers auf ihr Versprechen erst werden wird.

SYLVESTERINN. Was ist es denn aber? habe ich denn die Sache nicht recht innen?

STROM. Sie haben ihm darauf geholfen, wers weis?

SYLVESTERINN. Hat denn ihr Kläger nicht Zeuge von ihnen erhandelt?

STROM. Das weis ich, daß er sie erhandelt hat.

SYLVESTERINN. Nicht vier Kisten?

STROM. Das habe ich ihnen gesagt.

SYLVESTERINN. Und sind ihrer nicht hernach fünfe gekommen?

STROM. Warum nicht zwanzig? Drey kamen ihrer. Drey, sage ich: Hören sies?

SYLVESTERINN. Das ist ja weniger, als er gehandelt hat?

STROM. Das ist es eben!

SYLVESTERINN. Und was will er denn also haben?

STROM. Die vierte will er haben. Ich denke, es kommen ihrer viere: und die viere, die mit der Gelegenheit kommen werden, verhandle ich. Nun kommen nur ihrer dreye. Ich habe ihm die verkauft, die kommen werden, und nicht die, die nicht kommen wer den. Nun soll ich ihm die vierte schaffen, und die Zeuge sind gestiegen: so will ich nicht.

SYLVESTERINN. So? Nun weis ichs erst. Hören sie, Herr Strom: sie müssen mich nicht auslachen. Ich dächte, sie hätten ja den Proceß ersparen können. Sie hätten die drey Kisten in viere packen dürfen.

STROM. Da haben wirs. Nicht wahr, Frau Sylvesterinn? Ich bin ein rechter Narr, daß ich sie nicht zum Advocaten annehme: ich dürfte gewiß nicht aus der Familie gehen. Frau Muhme, mit einem Worte. Ich frage sie, ob ihr Sohn kommen wird, oder nicht?

SYLVESTERINN. Herr Strom, es ist mir gewiß mehr angst, als ihnen, daß er nicht kömmt. Daß Gott erbarme! der Mensch versäumt den Minister. Da wird er nicht Secretär. Ach! was werd ich noch anfangen?

STROM. Secretär hin, Secretär her! wenn er nur ehrliche Leute nicht auch versäumte, die sich auf ihn verlassen.

SYLVESTERINN. Herr Strom, er soll gewiß zu ihnen kommen, aufs wenigste vor vieren. Ich verspreche es ihnen, ich will ihn hintragen lassen. Er soll sich vor meinen Augen in die Sänfte setzen, damit ich gewiß weis, daß er hinkömmt.

STROM. Er mag aber ja nicht angestochen kommen, daß er die[232] Sänfte auch mit bezahlt haben wollte. Keine Sänfte habe ich meinen Advocaten noch nicht bezahlt.

SYLVESTERINN. Nun! das bedeutet nichts. Verlassen sie sich darauf. Mein Sohn kömmt gewiß zu ihnen.

STROM. Frau Muhme, ich habe ihren Sohn zum Advocaten genommen, weil sie mir nicht eher vom Halse gegangen sind. Nehmen sie sich in acht mit ihm. Denn, wenn er mich in Schaden bringt, hernacher hilft nichts: sie mögen schreyen, daß ich aus der Familie gehe, wie sie wollen. Und der erste Advocat, den ich hernach außer der Familie nehme, soll der seyn, der mir sie und ihren Sohn verklagen hilft. Gott behüte sie, Frau Muhme.

SYLVESTERINN. Ich empfehle mich ihnen, Herr Vätter. Gehn sie nur nicht aus der Familie!


Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 229-233.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der geschäftige Müßiggänger
Der geschäftige Müßiggänger

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon