[262] Frau Sylvesterinn. Fortunat.
SYLVESTERINN. Siehst du, Fortunat? so viel Noth machst du mir. Ich muß allezeit für dich leiden. Mein Mann spricht, ich habe Schuld, wenn du nichts zu rechter Zeit thust. Ach! wenn du nur da gewesen wärst! und gesehen hättest, was ich deinetwegen ausgestanden habe: du würdest noch heute anders, Fortunat. Ich wette darauf, heute würdest du anders! Das hast du nun gemacht, Fortunat, und zwar mit deinem Herumstreichen. Nun bist du nicht Secretär, und hast in Ewigkeit keine Hoffnung dazu.
FORTUNAT. Ach! wie können sie sich so quälen, Mama. Hoffnung? so viel Hoffnung, als vorher.
SYLVESTERINN. Ach! schade was für deine Hoffnung, wenn sie allezeit so ausschlägt, wie heute.[262]
FORTUNAT. Nun! Mama, das Glück machts. Das ist die Ursache: auf mich schieben sie die Schuld nicht.
SYLVESTERINN. Nein! nicht das Glück: sondern die silbernen Schuhschnallen.
FORTUNAT. Die habe ich einmachen wollen, und will sie auch noch einmachen, sobald ich zum Minister gehe.
SYLVESTERINN. Rede nur nicht mehr vom Minister. Nun laß dir die Gedanken immer vergehen.
FORTUNAT. Warum denn? Er sagte, er hätte mich dessentwegen nicht vergessen. Er wollte schon an mich denken. Ja, er war so gnädig, und sagte, es könnte zu meinem Besten seyn.
SYLVESTERINN. Wie? zu deinem Besten? lieber Fortunat! Ach! du Herzens-Fortunat! Ach! das ist ja schön. Nun mag immer das Glück die Schuld haben, wenn du nur den Minister zu deinem Besten versäumt hast.
FORTUNAT. Was werfen sie mit aber vor, Mama? Jungfer Lieschen, die sie immer ihrer Ordnung wegen loben, säumt gewiß noch länger zu uns zu kommen, als ich gesäumt habe, zum Minister zu gehen.
SYLVESTERINN. Ich dachte, was dir fehlte! Wenn du gleich auch ein Minister wärst! Und deswegen hättest du ihr doch nichts vorzuwerfen. Sie könnte noch einmal wiederkommen?
FORTUNAT. Mama, sie haben mich zum besten. Sie wird nicht schon da gewesen seyn?
SYLVESTERINN. Ich werde dir wohl vorlügen!
FORTUNAT. Nein, Mama, sie wollen mich nur ein Bißchen quälen.
SYLVESTERINN. Ja. Ich habe dich wohl in meinem Leben nicht gequält! Es ist nicht anders, Fortunat: sie ist schon fort: und wir sind in unsrer Sache nicht gar weit gekommen.
FORTUNAT. Ich muß sie wiederholen, Mama. Es muß seyn: es mag mich so viel Mühe kosten, als es will.
SYLVESTERINN. Was willst du? Willst du nicht auch etwan den Termin versäumen? Um halbweg viere hast du bey Stromen seyn sollen; und es ist schon um viere. Ich will dich gleich zu Stromen tragen lassen. Ich habe es ihm versprochen. Friedrich! Friedrich!
FORTUNAT. Ich glaube, sie rufen nach einer Sänfte. Das wäre doch ein artig Mittel, mich hinzubringen. Es ist doch Schade, daß sie keinen Pedell haben; sie könnten ihn neben her gehen lassen: so wäre der Arrest vollkommen.
SYLVESTERINN. Du sollst dich hintragen lassen! Ich will es haben.
FORTUNAT. Lassen sie mich meine Liebste wiederholen. Ich bitte sie!
SYLVESTERINN. Und ich bitte dich, mache, daß du zu Stromen kömmst.
FORTUNAT. Strom ist nicht meine Liebste.[263]
SYLVESTERINN. Ach! ums Himmels willen! Willst du denn den Proceß verlieren?
FORTUNAT. Es ist besser, ich verliere den Proceß, als Jungfer Lieschen.
SYLVESTERINN. Sie ist ja noch nicht verloren: du hast noch so viel Hoffnung, als vorher.
FORTUNAT. Wenn ich spreche, ich habe noch so viel Hoffnung, als vorher, Secretär zu werden: so sind sie ungeduldig. Und wenn sie sprechen, ich habe noch so viel Hoffnung, als vorher, daß Jungfer Lieschen meine Liebste wird: so bin ich es noch zehnmal mehr.
SYLVESTERINN. Lieber Fortunat, geh zu Stromen! Ich will dich auf den Knieen bitten: thu es nur.
FORTUNAT. Ich will zu Jungfer Lieschen gehen, und zu keinem andern Menschen.
SYLVESTERINN. Du triffst sie nicht an.
FORTUNAT. Ich will sie antreffen, und wenn ich von Hause zu Hause fragen sollte, wo sie wäre.
SYLVESTERINN. Ja, da wirst du sie antreffen!
FORTUNAT. Und ich will sie auf den Abend zu Tische bitten, und Musik kommen lassen, und tanzen: Das sage ich ihnen, Mama! denn ich muß den Verlust von ihrer Gesellschaft wieder einbringen.
SYLVESTERINN. Du willst deine Mutter lieb haben, und willst mir nicht folgen?
FORTUNAT. Ich habe sie lieb. Aber, wenn sie mich lieb haben: so thun sie mir es zu gefallen. Allerliebste Mama, sie werden mir doch meine Liebste nicht aus den Händen gehen lassen? Ja, ja, sie thuns: ich will sie herbitten. Sie werden für das andre sorgen. Ich bringe sie gewiß!
SYLVESTERINN. Nun! ich will dir sagen, wo sie ist. Sie ist spazieren gegangen.
FORTUNAT. Nun weis ich genug. Das müßte nicht gut seyn, wenn ich nicht wüßte, wohin alle Mädchen spazieren giengen.
SYLVESTERINN. Lieber Fortunat, geh nicht gleich. Geh erst zu Stromen.
FORTUNAT. Nimmermehr! Mama. Was wäre denn das für eine Aufführung, wenn ich meiner Liebsten wegen, es nicht übers Herze bringen könnte, einen Termin zu versäumen? Aber anziehen muß ich mich erst, Mama. Die silbernen Schnallen!
SYLVESTERINN. Du kriegst sie nicht, wenn du nicht erst zu Stromen gehst.
FORTUNAT. Mama! so gern ich die silbernen Schnallen einmachte:[264] so gehe ich ungeputzt zu Jungfer Lieschen; wenn sie mir sie nicht geben wollen. Ich will lieber lüderlich ein Frauenzimmer besuchen, als in silbernen Schnallen Herrn Stromen.
SYLVESTERINN. Läufst du doch, Fortunat? Ich sage dirs, wenn du nicht zu Stromen gehst: so mache ich auf Jungfer Lieschen nicht das geringste zurechte. Du magst hernach sehen, worauf du sie tractirst. Da läuft der böse Mensch doch fort. Cathrine! Cathrine!
Ausgewählte Ausgaben von
Der geschäftige Müßiggänger
|
Buchempfehlung
»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«
224 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro