Das 65. Capitel.
Am St. Johannis Tage in der Mittags-Stunde soll man St. Johannis-Blut sammlen / welches für viele Dinge gut seyn soll.

[293] Mit dieser Sache hat es folgende Bewandniß: Es gehen am St. Johannis-Tage einige Leute in der Mittags Stunde auf das Feld, und suchen ein gewisses Kraut, welches gewöhnlich auf sandigen Boden wächset und Polygonum minus, item Polycarpon von Tabernæmontano genennet wird, zu teutsch Knauel, und klein Wegetrit; dieses rauffen sie mit der Wurtzel aus, und[293] finden zuweilen an denen Wurtzeln einige röthliche runde Körnlein hangen, in der Grösse eines Tröpfflein Bluts, oder wie eine kleine Erbse. Und dieses soll, ihrem Vorgeben nach / das Blut seyn des enthaupteten Märtyrers St. Johannis. Sie bilden sich auch gäntzlich ein, daß dieses so genannte St. Johannis-Blut zu keiner andern Zeit, als nur in dieser Stunde zu finden sey, und meynen demnach / wenn sie diese Rarität gefunden haben, und solches anhängen / oder die Kleider damit schmieren, daß sie alsdenn vor vielen Unglück und Kranckheiten sicher seyn. Allein / daß es nur eine falsche Einbildung und abergläubisch Beginnen sey, erweise ich daher: Es werden diese Körnlein oder vielmehr Eyerlein, nicht allein an obgemeldten Krautes Wurtzeln, sondern auch zuweilen an denen Wurtzeln der kleinen Piloseliæ oder Maußöhrlein gefunden, und zwar nicht nur am Tage St. Johannis / sondern auch um diese Jahrs-Zeit, und werden so wohl etliche Tage vor als auch etliche Tage nach Johannis, an bemeldten Kräutern gefunden / welches ich aus eigener Erfarung erweisen kan; darbey habe ich gefunden, daß diese rothe Körnlein nichts anders sind, als Eyerlein gewisser Würmer; denn wenn ich dergleichen Eyer habe in ein Gläßlein gethan, u. an die Sonne gesetzt, so ist die äuserste Schale von einander gesprungen, und sind rothe Würmlein daraus gekommen, in der Gestalt, als mittelmäßige Wantzen. Wenn so wohl die Würmlein als auch die Eyergen zerdrückt werden, so geben sie eine schöne Blutrothe Farbe, dahero auch wohl die einfältige[294] Meynung mag entstanden seyn, ob wären es Tröpfflein Blut; allein es sind, wie gedacht, nichts anders, als Eyergen gewisser Würmer, die sich vielleicht unter oberwehnten Kräutern aufhalten, und solche Eyer an die auf dem luckern Sande liegende Wurtzeln solcher Kräuter anhängen. Es wollen einige davor halten, ob wären die aus denen Eyergen gekrochene Würmlein nichts anders, als die bey denen Schönfärbern bekannte Coccionillie, welche Meynung ich zwar dahin gestellet seyn lasse, weil sie mit der Gestalt der Coccionillie (als welches auch nichts als Würmlein sind) ziemlich gleich kommen. Jedoch weil sie nicht so häufig können gesammlet werden als wie die Coccionillie, so halte ich dafür, daß es zwar eine solche Art, aber doch nicht eigentlich die rechte seyn mag. Es sey aber wie es wolle, so ist es doch gewiß, daß es kein Johannis-Blut ist / und auch nicht nur am Johannis-Tage gefunden wird; welches einen gnugsamen Beweiß giebt / daß solchem nach die eingebildete Hülffe, die es leisten solle, auch ohne Grund seyn wird.


O närrscher Wurm! du suchst Johannis-Blut,

Und denckst dabey, es sey vor vieles gut;

Weißt aber nicht, daß du nur Würmer kriegst,

Damit du dich in deinem Wahn betrügst.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 293-295.
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