Anatols Hochzeitsmorgen

[89] Anatol, Max, Ilona, Franz, Diener.

Geschmackvoll eingerichtetes Junggesellenzimmer: die Türe rechts führt ins Vorzimmer; die Türe links, zu deren Seiten Vorhänge herabfallen, ins Schlafgemach.


ANATOL kommt im Morgenanzug auf den Zehenspitzen aus dem Zimmer links und macht die Türe leise zu. Er setzt sich auf eine Chaiselongue und drückt auf einen Knopf; es klingelt.[89]

FRANZ erscheint von rechts und geht, ohne Anatol zu bemerken, zur Türe links.

ANATOL merkt es anfangs nicht, läuft ihm dann nach und hält ihn dann zurück, die Türe zu öffnen. Was schleichst du denn so? Ich habe dich gar nicht gehört!

FRANZ. Was befehlen Euer Gnaden?

ANATOL. Den Samowar!

FRANZ. Jawohl. Ab.

ANATOL. Leise, du Dummkopf! Kannst du nicht leiser auftreten? Geht auf den Fußspitzen zur Türe links, öffnet sie ein wenig. Sie schläft! ... Noch immer schläft sie! Schließt die Türe.

FRANZ kommt mit dem Samowar. Zwei Tassen, gnädiger Herr?

ANATOL. Jawohl! Es läutet ... Sieh hinaus! Wer kommt denn da in aller Frühe? Franz ab.

ANATOL. Ich bin heute entschieden nicht in der Stimmung zum Heiraten. Ich möchte absagen.

FRANZ öffnet die Türe rechts, durch die Max hereintritt.

MAX herzlich. Mein lieber Freund!

ANATOL. Pst ... Stille! ... Noch eine Tasse, Franz!

MAX. Es stehen ja schon zwei Tassen da!

ANATOL. Noch eine Tasse, Franz – und hinaus. Franz ab. So ... und jetzt, mein Lieber, was führt dich um acht Uhr morgens zu mir her?

MAX. Es ist zehn!

ANATOL. Also was führt dich um zehn Uhr morgens zu mir her?

MAX. Meine Vergeßlichkeit.

ANATOL. Leiser ...

MAX. Ja warum denn eigentlich? Bist du nervös!

ANATOL. Ja, sehr!

MAX. Du solltest aber heute nicht nervös sein.

ANATOL. Was willst du also?

MAX. Du weißt, ich bin heute Zeuge bei deiner Hochzeit; deine reizende Cousine Alma ist meine Dame!

ANATOL tonlos. Zur Sache.

MAX. Nun – ich habe vergessen, das Bukett zu bestellen, und weiß in diesem Augenblick nicht, was für eine Toilette Fräulein Alma tragen wird. Wird sie weiß, rosa, blau oder grün erscheinen?

ANATOL ärgerlich. Keinesfalls grün!

MAX. Warum keinesfalls grün?

ANATOL. Meine Cousine trägt nie grün.[90]

MAX pikiert. Das kann ich doch nicht wissen!

ANATOL wie oben. Schrei nicht so! Das läßt sich alles in Ruhe abmachen.

MAX. Also du weißt gar nicht, was für eine Farbe sie heute tragen wird?

ANATOL. Rosa oder blau!

MAX. Das sind aber ganz verschiedene Dinge.

ANATOL. Ach, rosa oder blau, ist ganz gleichgültig!

MAX. Aber für mein Bukett ist das durchaus nicht gleichgültig!

ANATOL. Bestelle zwei; das eine kannst du dir dann ins Knopfloch stecken.

MAX. Ich bin nicht hergekommen, um deine schlechten Witze anzuhören.

ANATOL. Ich werde heute um zwei Uhr einen noch schlechteren machen!

MAX. Du bist recht gut aufgelegt an deinem Hochzeitsmorgen.

ANATOL. Ich bin nervös!

MAX. Du verschweigst mir etwas.

ANATOL. Nichts!

ILONAS STIMME aus dem Schlafzimmer. Anatol!

MAX sieht Anatol überrascht an.

ANATOL. Entschuldige mich einen Augenblick. Geht zur Türe des Schlafzimmers und verschwindet einen Moment in demselben; Max sieht ihm mit weit offenen Augen nach; Anatol küßt Ilona bei der Türe, ohne daß es Max sehen kann, schließt die Türe und tritt wieder zu Max.

MAX entrüstet. So was tut man nicht!

ANATOL. Höre, lieber Max, und dann urteile.

MAX. Ich höre eine weibliche Stimme und urteile: Du fängst früh an, deine Frau zu betrügen!

ANATOL. Setze dich nieder und höre mich an, du wirst gleich anders reden.

MAX. Niemals. Ich bin gewiß kein Tugendspiegel; aber so was ...!

ANATOL. Du willst mich nicht anhören?

MAX. Erzähle! Aber rasch; ich bin zu deiner Trauung eingeladen. Beide sitzen.

ANATOL traurig. Ach ja!

MAX ungeduldig. Also.

ANATOL. Also ... Also gestern war Polterabend bei meinen zukünftigen Schwiegereltern.[91]

MAX. Weiß ich; war dort!

ANATOL. Ja richtig, du warst dort. Es waren überhaupt eine Menge Leute dort! Man war sehr aufgeräumt, trank Champagner, sprach Toaste ...

MAX. Ich auch ... auf dein Glück!

ANATOL. Ja, du auch ... auf mein Glück! Drückt ihm die Hand. Ich danke dir.

MAX. Tatest du bereits gestern.

ANATOL. Man war also sehr lustig bis Mitternacht ...

MAX. Ist mir bekannt.

ANATOL. Einen Augenblick kam es mir vor, als wäre ich glücklich.

MAX. Nach deinem vierten Glas Champagner.

ANATOL traurig. Nein – erst nach dem sechsten ... es ist traurig, und ich kann es kaum begreifen.

MAX. Wir haben genug davon gesprochen.

ANATOL. Auch jener junge Mensch war dort, von dem ich sicher weiß, daß er die Jugendliebe meiner Braut war.

MAX. Ach, der junge Ralmen.

ANATOL. Ja – so eine Art Dichter glaub' ich. Einer von denen, die dazu bestimmt scheinen, zwar die erste Liebe von so mancher, doch von keiner die letzte zu bedeuten.

MAX. Ich zöge vor, du kämest zur Sache.

ANATOL. Er war mir eigentlich ganz gleichgültig; im Grunde lächelte ich über ihn ... Um Mitternacht ging die Gesellschaft auseinander. Ich nahm von meiner Braut mit einem Kusse Abschied. Auch sie küßte mich – kalt ... Während ich die Stiege hinunterschritt, fröstelte mich.

MAX. Aha ...

ANATOL. Beim Tore gratulierte mir noch der und jener. Onkel Eduard war betrunken und umarmte mich. Ein Doktor der Rechte sang ein Studentenlied. Die Jugendliebe, der Dichter mein' ich, verschwand mit aufgestecktem Kragen in einer Seitengasse. Einer neckte mich. Ich würde nun gewiß vor den Fenstern der Geliebten den Rest der Nacht spazieren wandeln. Ich lächelte höhnisch ... Es hatte zu schneien begonnen. Die Leute zerstreuten sich allmählich ... ich stand allein ...

MAX bedauernd. Hm ...

ANATOL wärmer. Ja, stand allein auf der Straße – in der kalten Winternacht, während der Schnee in großen Flocken um mich wirbelte. Es war gewissermaßen ... schauerlich.

MAX. Ich bitte dich – sage endlich, wohin du gingst?[92]

ANATOL groß. Ich mußte hingehen – – – auf die Redoute!

MAX. Ah!

ANATOL. Du staunst, wie –?

MAX. Nun kann ich mir das Folgende denken.

ANATOL. Doch nicht, mein Freund – – als ich so dastand in der kalten Winternacht –

MAX. Fröstelnd ...!

ANATOL. Frierend! Da kam es wie ein gewaltiger Schmerz über mich, daß ich von nun an kein freier Mann mehr sein, daß ich meinem süßen, tollen Junggesellenleben Ade sagen sollte für immerdar! Die letzte Nacht, sagte ich mir, in der du nach Hause kommen kannst, ohne gefragt zu werden: Wo warst du ...? Die letzte Nacht der Freiheit, des Abenteuerns ... vielleicht der Liebe!

MAX. Oh! –

ANATOL. Und so stand ich mitten im Gewühl. Um mich herum knisterten Seiden- und Atlaskleider, glühten Augen, nickten Masken, dufteten die weißen glänzenden Schultern – atmete und tollte der ganze Karneval. Ich stürzte mich in dieses Treiben, ließ es um meine Seele brausen. Ich mußte es einsaugen, mußte mich darin baden! ...

MAX. Zur Sache ... Wir haben keine Zeit.

ANATOL. Ich werde so durch die Menge hindurch geschoben, und nachdem ich früher meinen Kopf berauscht, berausche ich nun meinen Atem mit all den Parfüms, die um mich wallen. Es strömte auf mich ein, wie nie zuvor. Mir, ja mir ganz persönlich gab der Fasching ein Abschiedsfest.

MAX. Ich warte auf den dritten Rausch ...

ANATOL. Er kam ... der Rausch des Herzens ...!

MAX. Der Sinne!

ANATOL. Des Herzens ...! Nun ja, der Sinne: ... Erinnerst du dich an Katharine ...?

MAX laut. Oh, an Katharine ...

ANATOL. Pst ...

MAX auf die Schlafstubentür deutend. Ach ... ist sie es?

ANATOL. Nein – sie ist es eben nicht. Aber sie war auch dort – und dann eine reizende brünette Frau, deren Name ich nicht nenne ... und dann die kleine blonde Lizzie vom Theodor – aber der Theodor war nicht dort – und so weiter. Ich erkannte sie alle trotz ihrer Masken – an der Stimme, am Gang, an irgend einer Bewegung. Aber sonderbar ... Gerade eine erkannte[93] ich nicht gleich. Ich verfolgte sie oder sie mich. Ihre Gestalt war mir so bekannt. Jedenfalls trafen wir immerfort zusammen. Beim Springbrunnen, beim Büfett, neben der Proszeniumsloge ... immerfort! Endlich hatte sie meinen Arm, und ich wußte, wer sie war! Auf die Schlafzimmertür deutend. Sie.

MAX. Eine alte Bekannte?

ANATOL. Aber Mensch, ahnst du es denn nicht? Du weißt doch, was ich ihr vor sechs Wochen erzählt habe, als ich mich verlobte ... das alte Märchen: Ich reise ab, bald komme ich wieder, ich werde dich ewig lieben.

MAX. Ilona ...?

ANATOL. Pst ...

MAX. Nicht Ilona ...?

ANATOL. Ja – aber eben darum still! Du bist also wieder da, flüstert sie mir ins Ohr. Ja, erwidere ich schlagfertig. Wann gekommen? – Heute abend. – Warum nicht früher geschrieben? – Keine Postverbindung. – Wo denn? – Unwirtliches Dorf. – Aber jetzt ...? Glücklich, wieder da, treu gewesen. – Ich auch – ich auch – Seligkeit, Champagner und wieder Seligkeit. –

MAX. Und wieder Champagner.

ANATOL. Nein – kein Champagner mehr. – Ach, wie wir dann im Wagen nach Hause fuhren ... wie früher. Sie lehnte sich an meine Brust. Nun wollen wir uns nie wieder trennen – sagte sie ...

MAX steht auf. Wach' auf, mein Freund, und sieh, daß du zu Ende kommst.

ANATOL. »Niemals trennen« – – – Aufstehend. Und heute um zwei Uhr heirate ich!

MAX. Eine andere.

ANATOL. Nun ja; man heiratet immer eine andere.

MAX auf die Uhr schauend. Ich glaube, es ist die höchste Zeit. Bezeichnende Bewegung, Anatol möge Ilona entfernen.

ANATOL. Ja, ja, ich will sehen, ob sie bereit ist. Zur Türe, bleibt davor stehen, wendet sich zu Max. Ist es nicht eigentlich traurig?

MAX. Es ist unmoralisch.

ANATOL. Ja, aber auch traurig.

MAX. Geh endlich.

ANATOL zur Türe des Nebenzimmers.

ILONA steckt den Kopf heraus, tritt, in einen eleganten Domino gehüllt, heraus. Es ist ja nur Max!

MAX sich verbeugend. Nur Max.[94]

ILONA zu Anatol. Und du sagst mir gar nichts. – Ich dachte, es sei ein Fremder, sonst wäre ich schon längst bei euch gewesen. Wie geht es Ihnen, Max? Was sagen Sie zu diesem Schlingel?

MAX. Ja, das ist er.

ILONA. Sechs Wochen weine ich um ihn ... Er war ... wo warst du nur?

ANATOL mit einer großen Handbewegung. Dort wo – –

ILONA. Hat er Ihnen auch nicht geschrieben? Aber jetzt hab' ich ihn wieder. Seinen Arm nehmend. ... jetzt gibt es keine Abreise mehr ... keine Trennung. Gib mir einen Kuß!

ANATOL. Aber ...

ILONA. Ach, Max gilt nichts. Küßt Anatol. Aber du machst ja ein Gesicht! ... Nun werde ich euch den Tee einschenken und mir auch, wenn's erlaubt ist.

ANATOL. Bitte ...

MAX. Liebe Ilona, ich kann leider die Einladung, mit Ihnen zu frühstücken, nicht annehmen ... und ich begreife auch nicht ...

ILONA macht sich mit dem Samowar zu schaffen. Was begreifen Sie nicht?

MAX. Anatol sollte eigentlich auch ...

ILONA. Was sollte Anatol –?

MAX zu Anatol. Du solltest eigentlich schon – –

ILONA. Was sollte er?

MAX. Du solltest schon in Toilette sein!

ILONA. Ach, seien Sie doch nicht lächerlich, Max; wir bleiben heute zu Hause; wir rühren uns nicht fort ...

ANATOL. Liebes Kind, das wird leider nicht möglich sein ...

ILONA. Oh, das wird schon möglich sein.

ANATOL. Ich bin eingeladen ...

ILONA den Tee einschenkend. Sage ab.

MAX. Er kann nicht absagen.

ANATOL. Ich bin zu einer Hochzeit geladen.

MAX macht ihm ermunternde Zeichen.

ILONA. Ach, das ist ganz gleichgültig.

ANATOL. Das ist nicht ganz gleichgültig – denn ich bin sozusagen Kranzelherr.

ILONA. Liebt dich deine Dame?

MAX. Das ist doch eigentlich Nebensache.

ILONA. Aber ich liebe ihn, und das ist die Hauptsache ... Reden Sie nicht immer drein!

ANATOL. Kind ... ich muß fort.[95]

MAX. Ja, er muß fort – glauben Sie ihm – er muß fort.

ANATOL. Auf ein paar Stunden mußt du mir Urlaub geben.

ILONA. Jetzt setzt euch gefälligst ... Wie viel Stück Zucker, Max?

MAX. Drei.

ILONA zu Anatol. Du ...?

ANATOL. Es ist wirklich die höchste Zeit.

ILONA. Wie viel Stück?

ANATOL. Du weißt ja ... immer zwei Stück –

ILONA. Obers, Rum?

ANATOL. Rum – das weißt du ja auch!

ILONA. Rum und zwei Stück Zucker, Zu Max. der hat Prinzipien!

MAX. Ich muß gehen!

ANATOL leise. Du lassest mich allein?

ILONA. Sie werden Ihren Tee austrinken, Max!

ANATOL. Kind, ich muß mich jetzt umkleiden –!

ILONA. Um Gottes willen – wann ist denn die unglückselige Hochzeit?

MAX. In zwei Stunden.

ILONA. Sie sind wohl auch geladen?

MAX. Ja!

ILONA. Auch Kranzelherr?

ANATOL. Ja ... er auch.

ILONA. Wer heiratet denn eigentlich?

ANATOL. Du kennst ihn nicht.

ILONA. Wie heißt er denn? Es wird doch kein Geheimnis sein.

ANATOL. Es ist ein Geheimnis.

ILONA. Wie?

ANATOL. Die Trauung findet im Geheimen statt.

ILONA. Mit Kranzelherren und Kranzeldamen? Das ist ja ein Unsinn!

MAX. Nur die Eltern dürfen nichts wissen.

ILONA ihren Tee schlürfend ruhig. Kinder, ihr lügt mich an.

MAX. Oh ich bitte.

ILONA. Weiß Gott, wo ihr heute geladen seid! ... Aber daraus wird nichts – Sie können natürlich hingehen, wo Sie wollen, lieber Max – der da aber bleibt.

ANATOL. Unmöglich, unmöglich. Ich kann bei der Hochzeit meines besten Freundes nicht fehlen.

ILONA zu Max. Soll ich ihm den Urlaub geben?

MAX. Beste, beste Ilona – Sie müssen –

ILONA. In welcher Kirche findet denn diese Trauung statt?[96]

ANATOL unruhig. Warum fragst du?

ILONA. Ich will mir die Geschichte wenigstens ansehen.

MAX. Das geht aber nicht ...

ILONA. Warum denn?

ANATOL. Weil diese Trauung in einer ganz ... in einer ganz unterirdischen Kapelle stattfindet.

ILONA. Es führt doch ein Weg hin?

ANATOL. Nein ... das heißt – ein Weg führt natürlich hin.

ILONA. Ich möchte deine Dame sehen, Anatol. Ich bin nämlich eifersüchtig auf diese Dame. – Man kennt Geschichten von Kranzelherrn, die ihre Damen nachher geheiratet haben. Und, verstehst du, Anatol – ich will nicht, daß du heiratest.

MAX. Was würden Sie denn tun, ... wenn er heiratete?

ILONA ganz ruhig. Ich würde die Trauung stören.

ANATOL. – So –?

MAX. Und wie denn das?

ILONA. Ich schwanke noch. Wahrscheinlich großer Skandal vor der Kirchentüre.

MAX. Das ist trivial.

ILONA. Oh, ich würde schon eine neue Nuance finden.

MAX. Zum Beispiel?

ILONA. Ich käme gleichfalls als Braut angefahren – mit einem Myrtenkranz – das wäre doch originell?

MAX. Äußerst ... Steht auf. Ich muß jetzt gehen ... Adieu, Anatol!

ANATOL steht auf, entschlossen. Entschuldige, liebe Ilona; aber ich muß mich jetzt umkleiden – es ist die höchste Zeit.

FRANZ tritt ein mit einem Bukett. Die Blumen, gnädiger Herr.

ILONA. Was für Blumen?

FRANZ sieht Ilona mit einem erstaunten und etwas vertraulichen Gesicht an ... Die Blumen, gnädiger Herr.

ILONA. Du hast noch immer den Franz! Franz ab. Du wolltest ihn doch hinauswerfen?

MAX. Das ist manchmal so schwer.

ANATOL hat das in Seidenpapier eingewickelte Bukett in der Hand.

ILONA. Laß sehen, was du für Geschmack hast!

MAX. Das Bukett für deine Dame?

ILONA schlägt das Seidenpapier zurück. Das ist ja ein Brautbukett!

ANATOL. Mein Gott, jetzt hat man mir das unrichtige Bukett geschickt ... Franz, Franz! Rasch ab mit dem Bukett.

MAX. Der arme Bräutigam wird seines erhalten.

ANATOL wieder eintretend. Er läuft schon, der Franz. –[97]

MAX. Und jetzt müssen Sie mich entschuldigen – ich muß gehen.

ANATOL ihn zur Tür begleitend. Was soll ich tun?

MAX. Gestehen.

ANATOL. Unmöglich.

MAX. Nun, jedenfalls komme ich wieder zurück, sobald ich kann –

ANATOL. Bitte dich – ja!

MAX. Und meine Farbe ...

ANATOL. Blau oder rot – ich habe so eine Ahnung – – Leb' wohl –

MAX. Adieu, Ilona! – – Leise. In einer Stunde bin ich wieder da!

ANATOL ins Zimmer zurück.

ILONA stürzt in seine Arme. Endlich! Oh wie glücklich ich bin. –

ANATOL mechanisch. Mein Engel!

ILONA. Wie kalt du bist.

ANATOL. Ich sagte doch soeben: Mein Engel.

ILONA. Aber mußt du denn wirklich fort zu dieser dummen Hochzeit?

ANATOL. In allem Ernst, Schatz, ich muß.

ILONA. Weißt du, ich kann dich ja in deinem Wagen bis zur Wohnung deiner Dame begleiten ...

ANATOL. Aber was fällt dir ein. Wir wollen uns heute abend treffen; du mußt doch heute ins Theater.

ILONA. Ich sage ab.

ANATOL. Nein, nein, ich werde dich abholen. – Jetzt muß ich den Frack anziehen Sieht auf die Uhr. Wie die Zeit vergeht. Franz, Franz!

ILONA. Was willst du denn?

ANATOL zu dem eintretenden Franz. Haben Sie in meinem Zimmer alles vorbereitet?

FRANZ. Der gnädige Herr meinen den Frack, die weiße Krawatte –

ANATOL. Nun ja –

FRANZ. Ich werde sofort – – Ins Schlafzimmer.

ANATOL geht hin und her. Du – Ilona – also heute abend – nach dem Theater – nicht –?

ILONA. Ich möchte so gerne heute mit dir zusammen bleiben.

ANATOL. Sei doch nicht kindisch – ich habe doch auch – Verpflichtungen, du siehst es ja ein!

ILONA. Ich liebe dich, weiter sehe ich nichts ein.

ANATOL. Das ist aber durchaus notwendig.

FRANZ aus dem Schlafzimmer kommend. Es ist alles vorbereitet, gnädiger Herr. Ab.[98]

ANATOL. Gut. Geht im Schlafzimmer, spricht hinter der Türe weiter, während Ilona auf der Szene bleibt. Ich meine, es ist durchaus notwendig, daß du das einsiehst.

ILONA. Du kleidest dich also wirklich um?

ANATOL. Ich kann doch nicht so zur Hochzeit gehen. –

ILONA. Warum gehst du nur?

ANATOL. Fängst du schon wieder an? Ich muß.

ILONA. Also heute abend.

ANATOL. Ja. Ich werde dich an der Bühnentüre erwarten.

ILONA. Verspäte dich nur nicht!

ANATOL. Nein – warum sollte ich mich denn verspäten?

ILONA. Oh erinnere dich nur; einmal wartete ich eine ganze Stunde nach dem Theater.

ANATOL. So? Ich erinnere mich nicht. Pause.

ILONA geht im Zimmer umher, schaut die Decke, die Wände an. Du, Anatol, du hast ja da ein neues Bild.

ANATOL. Ja, gefällt es dir?

ILONA. Ich verstehe ja nichts von Bildern.

ANATOL. Es ist ein sehr schönes Bild.

ILONA. Hast du das mitgebracht?

ANATOL. Wieso? Woher?

ILONA. Nun, von deiner Reise.

ANATOL. Ja, richtig, von meiner Reise. Nein, übrigens, es ist ein Geschenk. Pause.

ILONA. Du, Anatol.

ANATOL nervös. Was denn?

ILONA. Wo warst du eigentlich?

ANATOL. Ich habe dir's schon gesagt.

ILONA. Nein, kein Wort.

ANATOL. Gestern abend habe ich dir's gesagt.

ILONA. So hab ich es wieder vergessen!

ANATOL. In der Nähe von Böhmen war ich.

ILONA. Was hast du denn in Böhmen zu tun gehabt?

ANATOL. Ich war nicht in Böhmen, nur in der Nähe –

ILONA. Ach so, du warst wohl zur Jagd geladen.

ANATOL. Ja, Hasen habe ich geschossen.

ILONA. Sechs Wochen lang?

ANATOL. Ja, ununterbrochen.

ILONA. Warum hast du mir nicht Adieu gesagt?

ANATOL. Ich wollte dich nicht betrüben.

ILONA. Du, Anatol, du wolltest mich sitzen lassen.[99]

ANATOL. Lächerlich.

ILONA. Nun; einmal hast du es ja schon versucht.

ANATOL. Versucht – ja; aber es ist mir nicht gelungen.

ILONA. Wie? Was sagst du?

ANATOL. Nun ja; ich wollte mich von dir losreißen; du weißt es doch.

ILONA. Was für ein Unsinn; du kannst dich ja gar nicht von mir losreißen!

ANATOL. Ha ha!

ILONA. Was sagst du?

ANATOL. Ha ha, habe ich gesagt.

ILONA. Lache nur nicht, mein Schatz; du bist mir auch damals wieder zurückgekehrt.

ANATOL. Nun ja – damals!

ILONA. Und diesmal auch – – du liebst mich eben.

ANATOL. Leider.

ILONA. Wie –?

ANATOL schreiend. Leider!

ILONA. Du, du bist sehr kouragiert, wenn du in einem anderen Zimmer bist. Ins Gesicht sagst du mir das nicht.

ANATOL öffnet die Tür, steckt den Kopf heraus. Leider.

ILONA zur Tür hin. Was heißt das, Anatol?

ANATOL wieder hinter der Türe. Das heißt, daß das doch nicht ewig so weiter gehen kann!

ILONA. Wie?

ANATOL. Es kann nicht so weiter gehen, sage ich; es kann nicht ewig währen.

ILONA. Jetzt lache ich: Ha ha.

ANATOL. Wie?

ILONA reißt die Tür auf. Ha ha!

ANATOL. Zumachen! Die Türe wieder geschlossen.

ILONA. Nein, mein Schatz, du liebst mich und kannst mich nicht verlassen.

ANATOL. Glaubst du?

ILONA. Ich weiß es.

ANATOL. Du weißt es?

ILONA. Ich fühle es.

ANATOL. Du meinst also, daß ich in alle Ewigkeit dir zu Füßen liegen werde.

ILONA. Du wirst nicht heiraten – das weiß ich.

ANATOL. Du bist wohl toll, mein Kind. Ich liebe dich – das ist ja[100] recht schön – aber für die Ewigkeit sind wir nicht verbunden.

ILONA. Glaubst du, ich gebe dich überhaupt her?

ANATOL. Du wirst es doch einmal tun müssen.

ILONA. Müssen? Wann denn?

ANATOL. Wenn ich heirate.

ILONA an die Tür trommelnd. Und wann wird denn das sein, mein Schatz?

ANATOL höhnisch. Oh bald, mein Schatz!

ILONA erregter. Wann denn?

ANATOL. Höre auf zu trommeln. In einem Jahre bin ich längst verheiratet.

ILONA. Du Narr!

ANATOL. Ich könnte übrigens auch in zwei Monaten heiraten.

ILONA. Es wartet wohl schon eine!

ANATOL. Ja – jetzt – in diesem Augenblicke wartet eine.

ILONA. Also in zwei Monaten?

ANATOL. Mir scheint, du zweifelst ...

ILONA lacht.

ANATOL. Lache nicht – ich heirate in acht Tagen!

ILONA lacht noch heller auf.

ANATOL. Lache nicht, Ilona!

ILONA sinkt lachend auf den Divan.

ANATOL bei der Tür, im Frack heraustretend. Lache nicht!

ILONA lachend. Wann heiratest du?

ANATOL. Heute.

ILONA ihn ansehend. Wann –?

ANATOL. Heute, mein Schatz.

ILONA steht auf. Anatol, hör' auf zu spaßen!

ANATOL. Es ist Ernst, mein Kind, ich heirate heute.

ILONA. Du bist verrückt, nicht?

ANATOL. Franz!

FRANZ kommt. Gnädiger Herr –?

ANATOL. Mein Bukett! Franz ab.

ILONA steht drohend vor Anatol. Anatol ...!

FRANZ bringt das Bukett.

ILONA sich umwendend, stürzt mit einem Schrei auf das Bukett zu, Anatol nimmt es Franz rasch aus der Hand; Franz geht, lächelnd, langsam ab.

ILONA. Ah!! – Also wirklich.

ANATOL. Wie du siehst.

ILONA will ihm das Bukett aus der Hand reißen.[101]

ANATOL. Was treibst du denn? Er muß sich vor ihr flüchten; sie läuft ihm rings durch das Zimmer nach.

ILONA. Elender, Elender!

MAX tritt ein, mit einem Rosen-Bukett in der Hand, bleibt betroffen bei der Tür stehen.

ANATOL hat sich auf einen Sessel geflüchtet, hält sein Bukett hoch in die Luft. Hilf mir, Max!

MAX eilt auf Ilona zu, sie zurückhaltend, sie wendet sich zu ihm, windet ihm das Bukett aus der Hand, wirft es zu Boden, zertritt es.

MAX. Ilona, Sie sind ja toll. Mein Bukett! Was soll ich denn tun!

ILONA in heftiges Weinen ausbrechend, sinkt auf einen Stuhl.

ANATOL verlegen, suchend, auf dem Sessel. Sie hat mich gereizt ... Ja, Ilona, jetzt weinst du ... – natürlich ... Warum hast du mich ausgelacht ... Sie höhnte mich – – verstehst du, Max ... Sie sagte, ... ich getraue mich nicht zu heiraten ... nun ... heirate ich begreiflicherweise – aus Opposition. Will vom Sessel heruntersteigen.

ILONA. Du Heuchler, du Betrüger.

ANATOL steht wieder auf dem Sessel.

MAX hat sein Bukett aufgehoben. Mein Bukett!

ILONA. Ich habe das seine gemeint. Sie verdienen es aber auch nicht besser. – Sie sind mitschuldig.

ANATOL immer auf dem Sessel. Jetzt sei vernünftig.

ILONA. Ja – das sagt ihr immer, wenn ihr eine toll gemacht habt! Aber nun werdet ihr was sehen! Das wird eine nette Hochzeit werden! Wartet nur ... Steht auf. Adieu unterdessen!

ANATOL vom Sessel heruntergesprungen. Wohin –?

ILONA. Wirst es schon sehen.

ANATOL. Wohin?

MAX. Wohin?

ILONA. Laßt mich nur!

ANATOL UND MAX ihr den Ausgang verstellend. Ilona – was wollen Sie – Ilona – was willst du –?

ILONA. Laßt mich! ... Laßt mich gehen.

ANATOL. Sei gescheit – beruhige dich –!

ILONA. Ihr laßt mich nicht hinaus. – Wie ... Rennt im Zimmer herum, wirft das Teegeschirr in Wut vom Tisch herunter.

ANATOL UND MAX ratlos.

ANATOL. Nun frage ich dich – hat man es notwendig, zu heiraten, wenn man so sehr geliebt wird!

ILONA sinkt gebrochen auf den Divan; sie weint. Pause.[102]

ANATOL. Nun beruhigt sie sich.

MAX. Wir müssen gehen ... und ich ohne – Bukett. –

FRANZ kommt. Der Wagen, gnädiger Herr. Ab.

ANATOL. Der Wagen ... Der Wagen – was mach' ich nur. Zu Ilona, hinter sie tretend, sie auf das Haar küssend. Ilona! –

MAX von der anderen Seite. Ilona – Sie weint still, mit dem Schnupftuche vor dem Gesicht, weiter. Geh du jetzt nur und verlasse dich auf mich. –

ANATOL. Ich muß wirklich gehen – aber wie kann ich ...

MAX. Geh ...

ANATOL. Wirst du sie entfernen können?

MAX. Ich werde dir während der Trauung zuraunen ... »Alles in Ordnung«.

ANATOL. Ich habe eine Angst –!

MAX. Geh jetzt nur.

ANATOL. Ach ... Er wendet sich zum Gehen, auf den Zehenspitzen wieder zurück, drückt einen leisen Kuß auf das Haar Ilonas, geht rasch.

MAX setzt sich gegenüber von Ilona, die noch immer, das Taschentuch vor dem Gesicht haltend, weint. Sieht auf die Uhr. Hm, Hm.

ILONA um sich schauend, wie aus einem Traum erwachend. Wo ist er ...

MAX nimmt sie bei den Händen. Ilona ...

ILONA aufstehend. Wo ist er ...

MAX ihre Hände nicht loslassend. Sie würden ihn nicht finden.

ILONA. Ich will aber.

MAX. Sie sind doch vernünftig, Ilona, Sie wollen ja keinen Skandal ...

ILONA. Lassen Sie mich –

MAX. Ilona!

ILONA. Wo findet die Trauung statt?

MAX. Das ist nebensächlich.

ILONA. Ich will hin; ich muß hin!

MAX. Sie werden es nicht tun ... Was fällt Ihnen denn ein!

ILONA. Oh dieser Hohn! ... Dieser Betrug!

MAX. Es ist nicht das eine, nicht das andere – es ist eben das Leben!

ILONA. Schweigen Sie – Sie – mit Ihren Phrasen.

MAX. Sie sind kindisch, Ilona, sonst würden Sie einsehen, daß alles vergeblich ist.

ILONA. Vergeblich –?!

MAX. Es ist ein Unsinn ...!

ILONA. Unsinn! –?

MAX. Sie würden sich lächerlich machen, das ist alles.

ILONA. Wie – auch noch Beleidigungen!

MAX. Sie werden sich trösten!

ILONA. O wie schlecht Sie mich kennen!

MAX. Ja, wenn er nach Amerika ginge.

ILONA. Was heißt das?

MAX. Wenn er Ihnen wirklich verloren wäre!

ILONA. Was bedeutet das?

MAX. Die Hauptsache ist – daß nicht Sie die Betrogene sind!

ILONA. ...!

MAX. Zu Ihnen kann man zurückkehren, jene kann man verlassen!

ILONA. Oh ... wenn das ... mit einem wilden, freudigen Ausdruck in der Miene.

MAX. Sie sind edel ... ihr die Hand drückend.

ILONA. Rächen will ich mich ... darum freue ich mich über das, was Sie sagten.

MAX. Sie sind eine von denen, »welche beißen, wenn sie lieben«.

ILONA. Ja, ich bin eine von denen.

MAX. Nun kommen Sie mir ganz großartig vor. – Wie eine, die ihr ganzes Geschlecht an uns rächen möchte.

ILONA. – Ja ... das will ich ...

MAX aufstehend. Ich habe eben noch Zeit, Sie in Ihre Wohnung zu führen. Für sich. Sonst geschieht doch noch ein Unglück. – Ihr den Arm reichend. Nun nehmen Sie Abschied von diesen Räumen!

ILONA. Nein, mein lieber Freund – nicht Abschied. Ich werde wiederkehren.

MAX. Nun glauben Sie sich einen Dämon – und sind eigentlich doch nur ein Weib! Auf eine mißmutige Bewegung Ilonas. ... Das ist aber auch gerade genug ... Ihr die Türe öffnend. Darf ich bitten, mein Fräulein? –

ILONA sich noch einmal vor dem Hinausgehen umwendend, mit affektierter Großartigkeit. Auf Wiedersehen! ... Ab mit Max.


Vorhang.

Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 1, Frankfurt a.M. 1962, S. 89-103.
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Gedichte. Ausgabe 1892

Gedichte. Ausgabe 1892

Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.

200 Seiten, 9.80 Euro

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Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

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