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[353] Der Gatte und das süsse Mädel.
Ein Cabinet particulier im Riedhof. Behagliche, mäßige Eleganz. Der Gasofen brennt.
Der Gatte, das süsse Mädel.
Auf dem Tisch sind die Reste einer Mahlzeit zu sehen, Obersschaumbaisers, Obst, Käse. In den Weingläsern ein ungarischer weißer Wein.
DER GATTE raucht eine Havannazigarre, er lehnt in der Ecke des Diwans.
DAS SÜSSE MÄDEL sitzt neben ihm auf dem Sessel und löffelt aus einem Baiser den Obersschaum heraus, den sie mit Behagen schlürft.
DER GATTE. Schmeckts?
DAS SÜSSE MÄDEL läßt sich nicht stören. Oh!
DER GATTE. Willst du noch eins?
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein, ich hab so schon zuviel gegessen.
DER GATTE. Du hast keinen Wein mehr. Er schenkt ein.
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein ... aber schaun S', ich lass ihn ja eh stehen.
DER GATTE. Schon wieder sagst du Sie.
DAS SÜSSE MÄDEL. So' – Ja wissen S', man gewöhnt sich halt so schwer.
DER GATTE. Weißt du.
DAS SÜSSE MÄDEL. Was denn?
DER GATTE. Weißt du, sollst du sagen; nicht wissen S'. Komm, setz dich zu mir.
DAS SÜSSE MÄDEL. Gleich ... bin noch nicht fertig.
DER GATTE steht auf, stellt sich hinter den Sessel und umarmt das süsse Mädel, indem er ihren Kopf zu sich wendet.
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, was ist denn?
DER GATTE. Einen Kuß möcht ich haben.
DAS SÜSSE MÄDEL gibt ihm einen Kuß. Sie sind ... o pardon, du bist ein kecker Mensch.
DER GATTE. Jetzt fällt dir das ein?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ah nein, eingefallen ist es mir schon früher ... schon auf der Gassen. – Sie müssen –
DER GATTE. Du mußt.
DAS SÜSSE MÄDEL. Du mußt dir eigentlich was Schönes von mir denken.
DER GATTE. Warum denn?[354]
DAS SÜSSE MÄDEL. Daß ich gleich so mit Ihnen ins chambre séparée gegangen bin.
DER GATTE. Na, gleich kann man doch nicht sagen.
DAS SÜSSE MÄDEL. Aber Sie können halt so schön bitten.
DER GATTE. Findest du?
DAS SÜSSE MÄDEL. Und schließlich, was ist denn dabei?
DER GATTE. Freilich.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ob man spazierengeht oder –
DER GATTE. Zum Spazierengehen ist's es auch viel zu kalt.
DAS SÜSSE MÄDEL. Natürlich ist's zu kalt gewesen.
DER GATTE. Aber da ist es angenehm warm; was? Er hat sich wieder niedergesetzt, umschlingt das süsse Mädel und zieht sie an seine Seite.
DAS SÜSSE MÄDEL schwach. Na.
DER GATTE. Jetzt sag einmal ... Du hast mich schon früher bemerkt gehabt, was?
DAS SÜSSE MÄDEL. Natürlich. Schon in der Singerstraßen.
DER GATTE. Nicht heut, mein ich. Auch vorgestern und vorvorgestern, wie ich dir nachgegangen bin.
DAS SÜSSE MÄDEL. Mir gehn gar viele nach.
DER GATTE. Das kann ich mir denken. Aber ob du mich bemerkt hast.
DAS SÜSSE MÄDEL. Wissen S' ... ah ... weißt, was mir neulich passiert ist? Da ist mir der Mann von meiner Cousine nachg'stiegen in der Dunkeln und hat mich nicht kennt.
DER GATTE. Hat er dich angesprochen?
DAS SÜSSE MÄDEL. Aber was glaubst denn? Meinst, es ist jeder so keck wie du?
DER GATTE. Aber es kommt doch vor.
DAS SÜSSE MÄDEL. Natürlich kommts vor.
DER GATTE. Na, was machst du da?
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, nichts. – Keine Antwort geb ich halt.
DER GATTE. Hm ... mir hast du aber eine Antwort gegeben.
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, sind S' vielleicht bös?
DER GATTE küßt sie heftig. Deine Lippen schmecken nach dem Obersschaum.
DAS SÜSSE MÄDEL. Oh, die sind von Natur aus süß.
DER GATTE. Das haben dir schon viele gesagt?
DAS SÜSSE MÄDEL. Viele!! Was du dir wieder einbildest!
DER GATTE. Na, sei einmal ehrlich. Wie viele haben den Mund da schon geküßt?[355]
DAS SÜSSE MÄDEL. Was fragst mich denn? Du möchtst mirs ja doch nicht glauben, wenn ich dirs sag!
DER GATTE. Warum denn nicht?
DAS SÜSSE MÄDEL. Rat einmal.
DER GATTE. Na, sagen wir – aber du darfst nicht bös sein?
DAS SÜSSE MÄDEL. Warum sollt ich denn bös sein?
DER GATTE. Also ich schätze ... zwanzig.
DAS SÜSSE MÄDEL sich von ihm losmachend. Na – warum nicht gleich hundert?
DER GATTE. Ja, ich hab eben geraten.
DAS SÜSSE MÄDEL. Da hast du aber nicht gut geraten.
DER GATTE. Also zehn.
DAS SÜSSE MÄDEL beleidigt. Freilich. Eine, die sich auf der Gassen anreden läßt und gleich mitgeht ins chambre séparée!
DER GATTE. Sei doch nicht so kindisch. Ob man auf der Straßen herumläuft oder in einem Zimmer sitzt ... Wir sind doch da in einem Gasthaus. Jeden Moment kann der Kellner hereinkommen – da ist doch wirklich gar nichts dran ...
DAS SÜSSE MÄDEL. Das hab ich mir eben auch gedacht.
DER GATTE. Warst du schon einmal in einem chambre séparée?
DAS SÜSSE MÄDEL. Also, wenn ich die Wahrheit sagen soll: ja.
DER GATTE. Siehst du, das g'fallt mir, daß du doch wenigstens aufrichtig bist.
DAS SÜSSE MÄDEL. Aber nicht so – wie du dirs wieder denkst. Mit einer Freundin und ihrem Bräutigam bin ich im chambre séparée gewesen, heuer im Fasching einmal.
DER GATTE. Es wär ja auch kein Malheur, wenn du einmal – mit deinem Geliebten –
DAS SÜSSE MÄDEL. Natürlich wärs kein Malheur. Aber ich hab kein Geliebten.
DER GATTE. Na geh.
DAS SÜSSE MÄDEL. Meiner Seel, ich hab keinen.
DER GATTE. Aber du wirst mir doch nicht einreden wollen, daß ich ...
DAS SÜSSE MÄDEL. Was denn? ... Ich hab halt keinen – schon seit mehr als einem halben Jahr.
DER GATTE. Ah so ... Aber vorher? Wer wars denn?
DAS SÜSSE MÄDEL. Was sind S' denn gar so neugierig?
DER GATTE. Ich bin neugierig, weil ich dich lieb hab.
DAS SÜSSE MÄDEL. Is wahr?[356]
DER GATTE. Freilich. Das mußt du doch merken. Erzähl mir also. Drückt sie fest an sich.
DAS SÜSSE MÄDEL. Was soll ich dir denn erzählen?
DER GATTE. So laß dich doch nicht so lang bitten. Wers gewesen ist, möcht ich wissen.
DAS SÜSSE MÄDEL lachend. Na ein Mann halt.
DER GATTE. Also – also – wer wars?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ein bissel ähnlich hat er dir gesehen.
DER GATTE. So.
DAS SÜSSE MÄDEL. Wenn du ihm nicht so ähnlich schauen tätst –
DER GATTE. Was wär dann?
DAS SÜSSE MÄDEL. Na also frag nicht, wennst schon siehst, daß ...
DER GATTE versteht. Also darum hast du dich von mir anreden lassen.
DAS SÜSSE MÄDEL. Na also ja.
DER GATTE. Jetzt weiß ich wirklich nicht, soll ich mich freuen oder soll ich mich ärgern.
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, ich an deiner Stell tät mich freuen.
DER GATTE. Na ja.
DAS SÜSSE MÄDEL. Und auch im Reden erinnerst du mich so an ihn ... und wie du einen anschaust ...
DER GATTE. Was ist er denn gewesen?
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein, die Augen –
DER GATTE. Wie hat er denn geheißen?
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein, schau mich nicht so an, ich bitt dich.
DER GATTE umfängt sie. Langer, heißer Kuß.
DAS SÜSSE MÄDEL schüttelt sich, will aufstehen.
DER GATTE. Warum gehst du fort von mir?
DAS SÜSSE MÄDEL. Es wird Zeit zum Z'hausgehn.
DER GATTE. Später.
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein, ich muß wirklich schon zhaus gehen. Was glaubst denn, was die Mutter sagen wird.
DER GATTE. Du wohnst bei deiner Mutter?
DAS SÜSSE MÄDEL. Natürlich wohn ich bei meiner Mutter. Was hast denn geglaubt?
DER GATTE. So – bei der Mutter. Wohnst du allein mit ihr?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja freilich allein! Fünf sind wir! Zwei Buben und noch zwei Mädeln.
DER GATTE. So setz dich doch nicht so weit fort von mir. Bist du die Älteste?
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein, ich bin die zweite. Zuerst kommt die[357] Kathi; die ist im G'schäft, in einer Blumenhandlung, dann komm ich.
DER GATTE. Wo bist du?
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, ich bin z'haus.
DER GATTE. Immer?
DAS SÜSSE MÄDEL. Es muß doch eine z'haus sein.
DER GATTE. Freilich. Ja – und was sagst du denn eigentlich deiner Mutter, wenn du – so spät nach Haus kommst?
DAS SÜSSE MÄDEL. Das ist ja so eine Seltenheit.
DER GATTE. Also heut zum Beispiel. Deine Mutter fragt dich doch?
DAS SÜSSE MÄDEL. Natürlich fragts mich. Da kann ich Obacht geben, so viel ich will – wenn ich nach Haus komm, wachts auf.
DER GATTE. Also, was sagst du ihr da?
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, im Theater werd ich halt gewesen sein.
DER GATTE. Und glaubt sie das?
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, warum soll s' mir denn nicht glauben? Ich geh ja oft ins Theater. Erst am Sonntag war ich in der Oper mit meiner Freundin und ihrem Bräutigam und mein ältern Bruder.
DER GATTE. Woher habt ihr denn da die Karten?
DAS SÜSSE MÄDEL. Aber, mein Bruder ist ja Friseur!
DER GATTE. Ja, die Friseure ... ah, wahrscheinlich Theaterfriseur.
DAS SÜSSE MÄDEL. Was fragst mich denn so aus?
DER GATTE. Es interessiert mich halt. Und was ist denn der andere Bruder?
DAS SÜSSE MÄDEL. Der geht noch in die Schul. Der will ein Lehrer werden. Nein ... so was!
DER GATTE. Und dann hast du noch eine kleine Schwester?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja, die ist noch ein Fratz, aber auf die muß man schon heut so aufpassen. Hast du denn eine Idee, wie die Mädeln in der Schule verdorben werden! Was glaubst! Neulich hab ich sie bei einem Rendezvous erwischt.
DER GATTE. Was?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja! Mit einem Buben von der Schul vis-a-vis ist sie abends um halber acht in der Strozzigasse spazierengegangen. So ein Fratz!
DER GATTE. Und, was hast du da gemacht?
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, Schläg hat s' kriegt!
DER GATTE. So streng bist du?
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, wer solls denn sein? Die Ältere ist im[358] G'schäft, die Mutter tut nichts als raunzen; – kommt immer alles auf mich.
DER GATTE. Herrgott, bist du lieb! Küßt sie und wird zärtlicher. Du erinnerst mich auch an wen.
DAS SÜSSE MÄDEL. So – an wen denn?
DER GATTE. An keine bestimmte ... an die Zeit ... na, halt an meine Jugend. Geh, trink, mein Kind!
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja, wie alt bist du denn? ... Du ... ja ... ich weiß ja nicht einmal, wie du heißt.
DER GATTE. Karl.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ists möglich! Karl heißt du?
DER GATTE. Er hat auch Karl geheißen?
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein, das ist aber schon das reine Wunder ... das ist ja – nein, die Augen ... Das G'schau ... Schüttelt den Kopf.
DER GATTE. Und wer er war – hast du mir noch immer nicht gesagt.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ein schlechter Mensch ist er gewesen – das ist g'wiß, sonst hätt er mich nicht sitzenlassen.
DER GATTE. Hast ihn sehr gern g'habt?
DAS SÜSSE MÄDEL. Freilich hab ich ihn gern g'habt!
DER GATTE. Ich weiß, was er war – Lieutenant.
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein, bei Militär war er nicht. Sie haben ihn nicht genommen. Sein Vater hat ein Haus in der ... aber was brauchst du das zu wissen?
DER GATTE küßt sie. Du hast eigentlich graue Augen, anfangs hab ich gemeint, sie sind schwarz.
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, sind's dir vielleicht nicht schön genug?
DER GATTE küßt ihre Augen.
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein, nein – das vertrag ich schon gar nicht ... oh, bitt dich – o Gott ... nein, laß mich aufstehn ... nur für einen Moment – bitt dich.
DER GATTE immer zärtlicher. O nein.
DAS SÜSSE MÄDEL. Aber ich bitt dich, Karl ...
DER GATTE. Wie alt bist du? – achtzehn, was?
DAS SÜSSE MÄDEL. Neunzehn vorbei.
DER GATTE. Neunzehn ... und ich –
DAS SÜSSE MÄDEL. Du bist dreißig ...
DER GATTE. Und einige drüber. – Reden wir nicht davon.
DAS SÜSSE MÄDEL. Er war auch schon zweiunddreißig, wie ich ihn kennengelernt hab.[359]
DER GATTE. Wie lang ist das her?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ich weiß nimmer ... Du, in dem Wein muß was drin gewesen sein.
DER GATTE. Ja, warum denn?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ich bin ganz ... weißt – mir dreht sich alles.
DER GATTE. So halt dich fest an mich. So ... Er drückt sie an sich und wird immer zärtlicher, sie wehrt kaum ab. Ich werd dir was sagen, mein Schatz, wir könnten jetzt wirklich gehn.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja ... nach Haus.
DER GATTE. Nicht grad nach Haus ...
DAS SÜSSE MÄDEL. Was meinst denn? ... O nein, o nein ... ich geh nirgends hin, was fallt dir denn ein –
DER GATTE. Also hör mich nur an, mein Kind, das nächste Mal, wenn wir uns treffen, weißt du, da richten wir uns das so ein, daß ... Er ist zu Boden gesunken, hat seinen Kopf in ihrem Schoß. Das ist angenehm, oh, das ist angenehm.
DAS SÜSSE MÄDEL. Was machst denn? Sie küßt seine Haare. ... Du, in dem Wein muß was drin gewesen sein – so schläfrig ... du, was g'schieht denn, wenn ich nimmer aufstehn kann? Aber, aber, schau, aber Karl ... und wenn wer hereinkommt ... ich bitt dich ... der Kellner.
DER GATTE. Da ... kommt sein Lebtag ... kein Kellner ... herein ...
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
DAS SÜSSE MÄDEL lehnt mit geschlossenen Augen in der Diwanecke.
DER GATTE geht in dem kleinen Raum auf und ab, nachdem er sich eine Zigarette angezündet. Längeres Schweigen.
DER GATTE betrachtet das süsse Mädel lange, für sich. Wer weiß, was das eigentlich für eine Person ist – Donnerwetter ... So schnell ... War nicht sehr vorsichtig von mir ... Hm ...
DAS SÜSSE MÄDEL ohne die Augen zu öffnen. In dem Wein muß was drin gewesen sein.
DER GATTE. Ja, warum denn?
DAS SÜSSE MÄDEL. Sonst ...
DER GATTE. Warum schiebst du denn alles auf den Wein?
DAS SÜSSE MÄDEL. Wo bist denn? Warum bist denn so weit? Komm doch zu mir.
DER GATTE zu ihr hin, setzt sich.
DAS SÜSSE MÄDEL. Jetzt sag mir, ob du mich wirklich gern hast.
DER GATTE. Das weißt du doch ... Er unterbricht sich rasch. Freilich.[360]
DAS SÜSSE MÄDEL. Weißt ... es ist doch ... Geh, sag mir die Wahrheit, was war in dem Wein?
DER GATTE. Ja, glaubst du, ich bin ein ... ich bin ein Giftmischer?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja, schau, ich verstehs halt nicht. Ich bin doch nicht so ... Wir kennen uns doch erst seit ... Du, ich bin nicht so ... meiner Seel und Gott – wenn du das von mir glauben tätst –
DER GATTE. Ja – was machst du dir denn da für Sorgen. Ich glaub gar nichts Schlechtes von dir. Ich glaub halt, daß du mich liebhast.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja ...
DER GATTE. Schließlich, wenn zwei junge Leut allein in einem Zimmer sind, und nachtmahlen und trinken Wein ... Es braucht gar nichts drin zu sein in dem Wein ...
DAS SÜSSE MÄDEL. Ich habs ja auch nur so g'sagt.
DER GATTE. Ja, warum denn?
DAS SÜSSE MÄDEL eher trotzig. Ich hab mich halt g'schämt.
DER GATTE. Das ist lächerlich. Dazu liegt gar kein Grund vor. Um so mehr, als ich dich an deinen ersten Geliebten erinnere.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja.
DER GATTE. An den ersten.
DAS SÜSSE MÄDEL. Na ja ...
DER GATTE. Jetzt möcht es mich interessieren, wer die anderen waren.
DAS SÜSSE MÄDEL. Niemand.
DER GATTE. Das ist ja nicht wahr, das kann ja nicht wahr sein.
DAS SÜSSE MÄDEL. Geh, bitt dich, sekier mich nicht. –
DER GATTE. Willst eine Zigarette?
DAS SÜSSE MÄDEL. Nein, ich dank schön.
DER GATTE. Weißt du, wie spät es ist?
DAS SÜSSE MÄDEL. Na?
DER GATTE. Halb zwölf.
DAS SÜSSE MÄDEL. So!
DER GATTE. Na ... und die Mutter? Die ist es gewöhnt, was?
DAS SÜSSE MÄDEL. Willst mich wirklich schon z'haus schicken?
DER GATTE. Ja, du hast doch früher selbst –
DAS SÜSSE MÄDEL. Geh, du bist aber wie ausgewechselt. Was hab ich dir denn getan?
DER GATTE. Aber Kind, was hast du denn, was fällt dir denn ein?
DAS SÜSSE MÄDEL. Und es ist nur dein G'schau gewesen, meiner[361] Seel, sonst hättst du lang ... haben mich schon viele gebeten, ich soll mit ihnen ins chambre séparée gehen.
DER GATTE. Na, willst du ... bald wieder mit mir hieher ... oder auch woanders –
DAS SÜSSE MÄDEL. Weiß nicht.
DER GATTE. Was heißt das wieder: Du weißt nicht.
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, wenn du mich erst fragst?
DER GATTE. Also wann? Ich möcht dich nur vor allem aufklären, daß ich nicht in Wien lebe. Ich komm nur von Zeit zu Zeit auf ein paar Tage her.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ah geh, du bist kein Wiener?
DER GATTE. Wiener bin ich schon. Aber ich lebe jetzt in der Nähe ...
DAS SÜSSE MÄDEL. Wo denn?
DER GATTE. Ach Gott, das ist ja egal.
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, fürcht dich nicht, ich komm nicht hin.
DER GATTE. O Gott, wenn es dir Spaß macht, kannst du auch hinkommen. Ich lebe in Graz.
DAS SÜSSE MÄDEL. Im Ernst?
DER GATTE. Na ja, was wundert dich denn daran?
DAS SÜSSE MÄDEL. Du bist verheiratet, wie?
DER GATTE höchst erstaunt. Ja, wie kommst du darauf?
DAS SÜSSE MÄDEL. Mir ist halt so vorgekommen.
DER GATTE. Und das würde dich gar nicht genieren?
DAS SÜSSE MÄDEL. Na, lieber ist mir schon, du bist ledig. – Aber du bist ja doch verheiratet!
DER GATTE. Ja, sag mir nur, wie kommst du denn da darauf?
DAS SÜSSE MÄDEL. Wenn einer sagt, er lebt nicht in Wien und hat nicht immer Zeit –
DER GATTE. Das ist doch nicht so unwahrscheinlich.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ich glaubs nicht.
DER GATTE. Und da möchtest du dir gar kein Gewissen machen, daß du einen Ehemann zur Untreue verführst?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ah was, deine Frau machts sicher nicht anders als du.
DER GATTE empört. Du, das verbiet ich mir. Solche Bemerkungen –
DAS SÜSSE MÄDEL. Du hast ja keine Frau, hab ich geglaubt.
DER GATTE. Ob ich eine hab oder nicht – man macht keine solche Bemerkungen. Er ist aufgestanden.
DAS SÜSSE MÄDEL. Karl, na Karl, was ist denn? Bist bös? Schau, ich habs ja wirklich nicht gewußt, daß du verheiratet bist.[362] Ich hab ja nur so g'redt. Geh, komm und sei wieder gut.
DER GATTE kommt nach ein paar Sekunden zu ihr. Ihr seid wirklich sonderbare Geschöpfe, ihr ... Weiber. Er wird wieder zärtlich an ihrer Seite.
DAS SÜSSE MÄDEL. Geh ... nicht ... es ist auch schon so spät. –
DER GATTE. Also jetzt hör mir einmal zu. Reden wir einmal im Ernst miteinander. Ich möcht dich wiedersehen, öfter wiedersehen.
DAS SÜSSE MÄDEL. Is wahr?
DER GATTE. Aber dazu ist notwendig ... also verlassen muß ich mich auf dich können. Aufpassen kann ich nicht auf dich.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ah, ich paß schon selber auf mich auf.
DER GATTE. Du bist ... na also, unerfahren kann man ja nicht sagen – aber jung bist du – und – die Männer sind im allgemeinen ein gewissenloses Volk.
DAS SÜSSE MÄDEL. O jeh!
DER GATTE. Ich mein das nicht nur in moralischer Hinsicht. – Na, du verstehst mich sicher. –
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja, sag mir, was glaubst du denn eigentlich von mir?
DER GATTE. Also – wenn du mich liebhaben willst – nur mich – so können wirs uns schon einrichten – wenn ich auch für gewöhnlich in Graz wohne. Da, wo jeden Moment wer hereinkommen kann, ist es ja doch nicht das rechte.
DAS SÜSSE MÄDEL schmiegt sich an ihn.
DER GATTE. Das nächste Mal ... werden wir woanders zusammensein, ja?
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja.
DER GATTE. Wo wir ganz ungestört sind.
DAS SÜSSE MÄDEL. Ja.
DER GATTE umfängt sie heiß. Das andere besprechen wir im Nachhausfahren. Steht auf, öffnet die Tür. Kellner ... die Rechnung!
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