VIII

[371] Der Dichter und die Schauspielerin.


Ein Zimmer in einem Gasthof auf dem Land. Es ist ein Frühlingsabend, über den Wiesen und Hügeln liegt der Mond, die Fenster stehen offen. Große Stille. Der Dichter und die Schauspielerin treten ein; wie sie hereintreten, verlöscht das Licht, das der Dichter in der Hand hält.


DICHTER. Oh ...

SCHAUSPIELERIN. Was ist denn?

DICHTER. Das Licht. – Aber wir brauchen keins. Schau, es ist ganz hell. Wunderbar!

SCHAUSPIELERIN sinkt am Fenster plötzlich nieder, mit gefalteten Händen.

DICHTER. Was hast du denn?

SCHAUSPIELERIN schweigt.

DICHTER zu ihr hin. Was machst du denn?

SCHAUSPIELERIN empört. Siehst du nicht, daß ich bete? –

DICHTER. Glaubst du an Gott?

SCHAUSPIELERIN. Gewiß, ich bin ja kein blasser Schurke.

DICHTER. Ach so!

SCHAUSPIELERIN. Komm doch zu mir, knie dich neben mich hin. Kannst wirklich auch einmal beten. Wird dir keine Perle aus der Krone fallen.[371]

DICHTER kniet neben sie hin und umfaßt sie.

SCHAUSPIELERIN. Wüstling! – Erhebt sich. Und weißt du auch, zu wem ich gebetet habe?

DICHTER. Zu Gott, nehm ich an.

SCHAUSPIELERIN großer Hohn. Jawohl! Zu dir hab ich gebetet.

DICHTER. Warum hast du denn da zum Fenster hinausgeschaut?

SCHAUSPIELERIN. Sag mir lieber, wo du mich da hingeschleppt hast, Verführer!

DICHTER. Aber Kind, das war ja deine Idee. Du wolltest ja aufs Land – und gerade hieher.

SCHAUSPIELERIN. Nun, hab ich nicht recht gehabt?

DICHTER. Gewiß, es ist ja entzückend hier. Wenn man bedenkt, zwei Stunden von Wien – und die völlige Einsamkeit. Und was für eine Gegend!

SCHAUSPIELERIN. Was? Da könntest du wohl mancherlei dichten, wenn du zufällig Talent hättest.

DICHTER. Warst du hier schon einmal?

SCHAUSPIELERIN. Ob ich hier schon war? Ha! Hier hab ich jahrelang gelebt!

DICHTER. Mit wem?

SCHAUSPIELERIN. Nun, mit Fritz natürlich.

DICHTER. Ach so!

SCHAUSPIELERIN. Den Mann hab ich wohl angebetet! –

DICHTER. Das hast du mir bereits erzählt.

SCHAUSPIELERIN. Ich bitte – ich kann auch wieder gehen, wenn ich dich langweile!

DICHTER. Du mich langweilen? ... Du ahnst ja gar nicht, was du für mich bedeutest ... Du bist eine Welt für sich ... Du bist das Göttliche, du bist das Genie ... Du bist ... Du bist eigentlich die heilige Einfalt ... Ja, du ... Aber du solltest jetzt nicht von Fritz reden.

SCHAUSPIELERIN. Das war wohl eine Verirrung! Na! –

DICHTER. Es ist schön, daß du das einsiehst.

SCHAUSPIELERIN. Komm her, gib mir einen Kuß!

DICHTER küßt sie.

SCHAUSPIELERIN. Jetzt wollen wir uns aber eine gute Nacht sagen! Leb wohl, mein Schatz!

DICHTER. Wie meinst du das?

SCHAUSPIELERIN. Nun, ich werde mich schlafen legen!

DICHTER. Ja – das schon, aber was das gute Nachtsagen anbelangt ... Wo soll denn ich übernachten?[372]

SCHAUSPIELERIN. Es gibt gewiß noch viele Zimmer in diesem Haus.

DICHTER. Die anderen haben aber keinen Reiz für mich. Jetzt werd ich übrigens Licht machen, meinst du nicht?

SCHAUSPIELERIN. Ja.

DICHTER zündet das Licht an, das auf dem Nachtkästchen steht. Was für ein hübsches Zimmer ... und fromm sind die Leute hier. Lauter Heiligenbilder ... Es wäre interessant, eine Zeit unter diesen Menschen zu verbringen ... doch eine andre Welt. Wir wissen eigentlich so wenig von den andern.

SCHAUSPIELERIN. Rede keinen Stiefel und reiche mir lieber diese Tasche vom Tisch herüber.

DICHTER. Hier, meine Einzige!

SCHAUSPIELERIN nimmt aus dem Täschchen ein kleines, gerahmtes Bildchen, stellt es auf das Nachtkästchen.

DICHTER. Was ist das?

SCHAUSPIELERIN. Das ist die Madonna.

DICHTER. Die hast du immer mit?

SCHAUSPIELERIN. Die ist doch mein Talisman. Und jetzt geh, Robert!

DICHTER. Aber was sind das für Scherze? Soll ich dir nicht helfen?

SCHAUSPIELERIN. Nein, du sollst jetzt gehn.

DICHTER. Und wann soll ich wiederkommen?

SCHAUSPIELERIN. In zehn Minuten.

DICHTER küßt sie. Auf Wiedersehen!

SCHAUSPIELERIN. Wo willst du denn hin?

DICHTER. Ich werde vor dem Fenster auf und ab gehen. Ich liebe es sehr, nachts im Freien herumzuspazieren. Meine besten Gedanken kommen mir so. Und gar in deiner Nähe, von deiner Sehnsucht sozusagen umhaucht ... in deiner Kunst wehend.

SCHAUSPIELERIN. Du redest wie ein Idiot ...

DICHTER schmerzlich. Es gibt Frauen, welche vielleicht sagen würden ... wie ein Dichter.

SCHAUSPIELERIN. Nun geh endlich. Aber fang mir kein Verhältnis mit der Kellnerin an. –

DICHTER geht.

SCHAUSPIELERIN kleidet sich aus. Sie hört, wie der Dichter über die Holztreppe hinuntergeht, und hört jetzt seine Schritte unter dem Fenster. Sie geht, sobald sie ausgekleidet ist, zum Fenster, sieht hinunter, er steht da; sie ruft flüsternd hinunter. Komm![373]

DICHTER kommt rasch herauf, stürzt zu ihr, die sich unterdessen ins Bett gelegt und das Licht ausgelöscht hat; er sperrt ab.

SCHAUSPIELERIN. So, jetzt kannst du dich zu mir setzen und mir was erzählen.

DICHTER setzt sich zu ihr aufs Bett. Soll ich nicht das Fenster schließen? Ist dir nicht kalt?

SCHAUSPIELERIN. O nein!

DICHTER. Was soll ich dir erzählen?

SCHAUSPIELERIN. Nun, wem bist du in diesem Moment untreu?

DICHTER. Ich bin es ja leider noch nicht.

SCHAUSPIELERIN. Nun tröste dich, ich betrüge auch jemanden.

DICHTER. Das kann ich mir denken.

SCHAUSPIELERIN. Und was glaubst du, wen?

DICHTER. Ja, Kind, davon kann ich keine Ahnung haben.

SCHAUSPIELERIN. Nun, rate.

DICHTER. Warte ... Na, deinen Direktor.

SCHAUSPIELERIN. Mein Lieber, ich bin keine Choristin.

DICHTER. Nun, ich dachte nur.

SCHAUSPIELERIN. Rate noch einmal.

DICHTER. Also du betrügst deinen Kollegen ... Benno –

SCHAUSPIELERIN. Ha! Der Mann liebt ja überhaupt keine Frauen ... weißt du das nicht? Der Mann hat ja ein Verhältnis mit seinem Briefträger!

DICHTER. Ist das möglich! –

SCHAUSPIELERIN. So gib mir lieber einen Kuß!

DICHTER umschlingt sie.

SCHAUSPIELERIN. Aber was tust du denn?

DICHTER. So quäl mich doch nicht so.

SCHAUSPIELERIN. Höre, Robert, ich werde dir einen Vorschlag machen. Leg dich zu mir ins Bett.

DICHTER. Angenommen!

SCHAUSPIELERIN. Komm schnell, komm schnell!

DICHTER. Ja ... wenn es nach mir gegangen wäre, wär ich schon längst ... Hörst du ...

SCHAUSPIELERIN. Was denn?

DICHTER. Draußen zirpen die Grillen.

SCHAUSPIELERIN. Du bist wohl wahnsinnig, mein Kind, hier gibt es ja keine Grillen.

DICHTER. Aber du hörst sie doch.

SCHAUSPIELERIN. Nun, so komm, endlich!

DICHTER. Da bin ich. Zu ihr.[374]

SCHAUSPIELERIN. So, jetzt bleib schön ruhig liegen ... Pst ... nicht rühren.

DICHTER. Ja, was fällt dir denn ein?

SCHAUSPIELERIN. Du möchtest wohl gerne ein Verhältnis mit mir haben?

DICHTER. Das dürfte dir doch bereits klar sein.

SCHAUSPIELERIN. Nun, das möchte wohl mancher ...

DICHTER. Es ist aber doch nicht zu bezweifeln, daß in diesem Moment ich die meisten Chancen habe.

SCHAUSPIELERIN. So komm, meine Grille! Ich werde dich von nun an Grille nennen.

DICHTER. Schön ...

SCHAUSPIELERIN. Nun, wen betrüg ich?

DICHTER. Wen? ... Vielleicht mich ...

SCHAUSPIELERIN. Mein Kind, du bist schwer gehirnleidend.

DICHTER. Oder einen ... den du selbst nie gesehen ... einen, den du nicht kennst, einen – der für dich bestimmt ist und den du nie finden kannst ...

SCHAUSPIELERIN. Ich bitte dich, rede nicht so märchenhaft blöd.

DICHTER.... Ist es nicht sonderbar ... auch du – und man sollte doch glauben. – Aber nein, es hieße dir dein Bestes rauben, wollte man dir ... komm, komm – – komm –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SCHAUSPIELERIN. Das ist doch schöner, als in blödsinnigen Stücken spielen ... was meinst du?

DICHTER. Nun, ich mein, es ist gut, daß du doch zuweilen in vernünftigen zu spielen hast.

SCHAUSPIELERIN. Du arroganter Hund meinst gewiß wieder das deine?

DICHTER. Jawohl!

SCHAUSPIELERIN ernst. Das ist wohl ein herrliches Stück!

DICHTER. Nun also!

SCHAUSPIELERIN. Ja, du bist ein großes Genie, Robert!

DICHTER. Bei dieser Gelegenheit könntest du mir übrigens sagen, warum du vorgestern abgesagt hast. Es hat dir doch absolut gar nichts gefehlt.

SCHAUSPIELERIN. Nun, ich wollte dich ärgern.

DICHTER. Ja, warum denn? Was hab ich dir denn getan?

SCHAUSPIELERIN. Arrogant bist du gewesen.

DICHTER. Wieso?

SCHAUSPIELERIN. Alle im Theater finden es.[375]

DICHTER. So.

SCHAUSPIELERIN. Aber ich hab ihnen gesagt: Der Mann hat wohl ein Recht, arrogant zu sein.

DICHTER. Und was haben die anderen geantwortet?

SCHAUSPIELERIN. Was sollen mir denn die Leute antworten? Ich rede ja mit keinem.

DICHTER. Ach so.

SCHAUSPIELERIN. Sie möchten mich am liebsten alle vergiften. Aber das wird ihnen nicht gelingen.

DICHTER. Denke jetzt nicht an die anderen Menschen. Freue dich lieber, daß wir hier sind, und sage mir, daß du mich liebhast.

SCHAUSPIELERIN. Verlangst du noch weitere Beweise?

DICHTER. Bewiesen kann das überhaupt nicht werden.

SCHAUSPIELERIN. Das ist aber großartig! Was willst du denn noch?

DICHTER. Wie vielen hast du es schon auf diese Art beweisen wollen ... hast du alle geliebt?

SCHAUSPIELERIN. O nein. Geliebt hab ich nur einen.

DICHTER umarmt sie. Mein ...

SCHAUSPIELERIN. Fritz.

DICHTER. Ich heiße Robert. Was bin denn ich für dich, wenn du jetzt an Fritz denkst?

SCHAUSPIELERIN. Du bist eine Laune.

DICHTER. Gut, daß ich es weiß.

SCHAUSPIELERIN. Nun sag, bist du nicht stolz?

DICHTER. Ja, weshalb soll ich denn stolz sein?

SCHAUSPIELERIN. Ich denke, daß du wohl einen Grund dazu hast.

DICHTER. Ach deswegen.

SCHAUSPIELERIN. Jawohl, deswegen, meine blasse Grille! – Nun, wie ist das mit dem Zirpen? Zirpen sie noch?

DICHTER. Ununterbrochen. Hörst du's denn nicht?

SCHAUSPIELERIN. Freilich hör ich. Aber das sind Frösche, mein Kind.

DICHTER. Du irrst dich, die quaken.

SCHAUSPIELERIN. Gewiß quaken sie.

DICHTER. Aber nicht hier, mein Kind, hier wird gezirpt.

SCHAUSPIELERIN. Du bist wohl das Eigensinnigste, was mir je untergekommen ist. Gib mir einen Kuß, mein Frosch!

DICHTER. Bitte sehr, nenn mich nicht so. Das macht mich direkt nervös.

SCHAUSPIELERIN. Nun, wie soll ich dich nennen?

DICHTER. Ich hab doch einen Namen: Robert.[376]

SCHAUSPIELERIN. Ach, das ist zu dumm.

DICHTER. Ich bitte dich aber, mich einfach so zu nennen, wie ich heiße.

SCHAUSPIELERIN. Also Robert, gib mir einen Kuß ... Ah! Sie küßt ihn. Bist du jetzt zufrieden, Frosch? Hahahaha.

DICHTER. Würdest du mir erlauben, mir eine Zigarette anzuzünden?

SCHAUSPIELERIN. Gib mir auch eine.


Er nimmt die Zigarettentasche vom Nachtkästchen, entnimmt ihr zwei Zigaretten, zündet beide an, gibt ihr eine.


SCHAUSPIELERIN. Du hast mir übrigens noch kein Wort über meine gestrige Leistung gesagt.

DICHTER. Über welche Leistung?

SCHAUSPIELERIN. Nun.

DICHTER. Ach so. Ich war nicht im Theater.

SCHAUSPIELERIN. Du beliebst wohl zu scherzen.

DICHTER. Durchaus nicht. Nachdem du vorgestern abgesagt hast, habe ich angenommen, daß du auch gestern noch nicht im Vollbesitze deiner Kräfte sein würdest, und da hab ich lieber verzichtet.

SCHAUSPIELERIN. Du hast wohl viel versäumt.

DICHTER. So.

SCHAUSPIELERIN. Es war sensationell. Die Menschen sind blaß geworden.

DICHTER. Hast du das deutlich bemerkt?

SCHAUSPIELERIN. Benno sagte: Kind, du hast gespielt wie eine Göttin.

DICHTER. Hm! ... Und vorgestern noch so krank.

SCHAUSPIELERIN. Jawohl; ich war es auch. Und weißt du warum? Vor Sehnsucht nach dir.

DICHTER. Früher hast du mir erzählt, du wolltest mich ärgern und hast darum abgesagt.

SCHAUSPIELERIN. Aber was weißt du von meiner Liebe zu dir. Dich läßt das ja alles kalt. Und ich bin schon nächtelang im Fieber gelegen. Vierzig Grad!

DICHTER. Für eine Laune ist das ziemlich hoch.

SCHAUSPIELERIN. Laune nennst du das? Ich sterbe vor Liebe zu dir, und du nennst es Laune –?!

DICHTER. Und Fritz ...?

SCHAUSPIELERIN. Fritz? ... Rede mir nicht von diesem Galeerensträfling! –

Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 1, Frankfurt a.M. 1962, S. 371-377.
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