(V.)

[187] Ich habe eben meine Seele in ihrem Kampfe geschildert, – diese Schwalbe, die im Gewitter niedrig fliegt, und im Sonnenstral hoch: nun muß ich auch sagen, wie es meinem Naturmenschen zu Muthe war .. Meist erbärmlich! Ich betrachtete mich als einen Gestorbenen, dessen Schatten der Richter in dieß Geklüft verdammt hätte; und das Gemurmel um meinen Felsen schien mir das Gewimmer abgeschiedner Seelen zu seyn,[187] die zu gleichem Gericht vom Engel des Todes vor mir vorüber geführt würden. Oft fühlt' ich den Freiheitsdrang so ungestüm, daß ich mit den Fäusten an die Wand schlug, und mir Luft schaffen wollte. Der Dampf meines Gefängnisses, – denn keine Luft konnte durchstreichen, fraß meine Brust an, preßte mir den Odem, senkte tödende Müdigkeit in meine Glieder, und machte mir den Tod immer wünschenswürdiger. Viele Nächte hab' ich schlaflos durchgeweint. Wenn der Schlaf in goldnen Tropfen von den Flügeln unsers Schuzengels auf uns fällt, und uns unser Elend vergessen macht; so ists die gröste Wolthat für uns arme Müde; verläßt uns aber der Schlaf in den Stunden des ermüdenden Jammers, wie mich; o wie ächzt da die Seele gen Himmel: »Hüter, ist die Nacht schier hin?« – Ueberdieß verbreitete der Dämon Hypochondrie, seine schwarzen, zakichten Flügel immer schreklicher über mir. Ich sah mitten unterm Beten, oder Lesen, oder in schlaflosen Nächten, gähnende,[188] grinsende, blasse, schwindlichte, mit breiten Händen tappende Figuren vor mir, oder nächtliche Vögel mit langen aufgerißnen Schnäbeln und Fledermausflügeln. Oft war mirs, als müßt' ich plözlich auffahren und rasen. Meine Freunde, die mich am genausten kannten, befürchteten diesen Zufall, und im August dieses Jahres verbreitete sich weit herum das Gerücht, ich läge wirklich als ein Rasender an der Kette. Und gewiß! nur durch ein Wunder der väterlichen Güte Gottes bin ich davor bewahrt worden. Ich bat Gott mit tausend Tränen, die glühende Stirne aufs Pflaster meines Kerkers gelegt: er möchte mich nicht in einen Zustand versezen, der mich zur Wiederkehr unfähig machen würde. Und oft, wen ich dicht an der Gränze der Raserei starrte, empfand ich die rettende Hand Gottes, die meine Sinnen fühlbar wieder in Ordnung brachte. Aber Düsternheit blieb immer wie Wettergewölk auf meiner Seele liegen. Der heulende Sturm um meine Kerkergruft her, war mir[189] lieber als die Stille des Sonnenscheins, die an den eisernen Stäben meines Gitters hieng. Es waren gerade einige schrekliche Donnerwetter: Der Bliz fiel zusammengeballt auf das Dach des Blokhauses, das dicht neben meinem Thurme war; – ich aber betete, ohne sonderliche Herzensangst, und wünschte mir öfters, im Wetter zu sterben. Ich sang:


»Wenn ich im Scheine

Des Blizes bet' und weine;

Ist Gott mein Schuz!«


Eine schlaflose Nacht im Kerker, wenn Blize das Schauergewölbe erleuchten, und Donner es erschüttern, ist eine grauenvolle Situation, wenn man zumal kein gutes Gewissen hat. Ist aber das Gewissen beruhigt; so fürchtet man nichts, und kann im christlichen Sinne dem Horaz nachsprechen:


»Si fractus illabatur orbis,

Impavidum ferient ruinæ.«


Der Mangel an Umgang bei einem zur Geselligkeit so gestimmten Herzen, war für mich eine der grösten Qualen. Ich tödtete[190] nichts, was sich in meinem Kerker regte. Das Gewebe der Spinnen, ihre Triebe zum Fang und zur Nahrung – vertrieben mir ganze Stunden. Der leuchtende Wurm, der meine Wand bekroch, war mir nun ein lieber Gesellschafter bei Nacht. Als es Winter wurde, so heizte ich oft bei Nacht ein, daß die Fliegen nicht sterben möchten, deren Summen um mein Ohr mir nun Musik war .. Eine Welt ohne lebende Geschöpfe, wenn diese Welt auch noch so schön wäre, könnte nach meiner Vorstellung nichts anderes als eine Hölle seyn, für den, der sie allein bewohnte. –

Ich machte Anfangs Entwürfe zu Romanen, Gedichten, und andern Büchern, und versuchte es zuweilen, ob ich nicht, wie Moser, mit der Lichtpuze schreiben könnte. Es gelang mir, und ich verfertigte auf diese Art manches geistliche Lied, auch andre Gedichte, wovon einige wohl verdient hätten, gedrukt zu werden. Aber man merkte es[191] bald, und feilte die Spize an der Lichtscheere ab, wodurch ich auf einmal um meinen süßen Zeitvertreib kam. Die verfertigten Gedichte wurden mir abgenommen, und sind hernach verloren gegangen. Ich bedaure darunter: Die Freiheit; ein Gedicht an Klopstok; eins an Miller; und einen Entwurf: der verlohrne Sohn.3[192] Ich versucht' es aber mit dem Dorn meiner Knieschnalle, und machte wieder verschiedenes. Aber diese wurde mir entwendet. Endlich behielt ich eine Gabel: aber man entdekte auch dieß, und drohte mir mit der Kette. – Und nun ließ ich alles fahren, und warf mich ganz in geistliche Uebungen hinein.4[193]

Die heilige Christzeit war gleichsam der Gipfel meiner Qualen. Traurigkeit über den Verlust der Meinigen, würgende Hofnungslosigkeit, Angst eines Missethäters ergrif mich. Ich stand um Mitternacht auf, warf mich auf die Steine, und bat Gott um meinen Tod. Meine Kräfte waren vertroknet, mein Fleisch weggewelkt, mein Auge von Tränen zerfressen – (ich betrachtete es in einer zerbrochenen Fensterscheibe, die ich auf einen schwarzen Grund legte.) Ich aß nicht, ich jammerte nur: – meine Nerven bebten, mein Kopf schwindelte, mein Herz zitterte, meine Knie brachen – – O Feind, der mich auch im Kerker verfolgen konnte, hast du nicht genug an dieser Jammergestalt, zu der mich die Thorheit meiner Jugend erniedrigte? – Ich habe gelernt, für dich zu beten, und that es oft mit solcher Herzlichkeit, daß ich schluchzte; wirst du mir auch wohl verzeihen? – Ja, ich hab' euch beleidigt, Brüder; aber ich wollt' es nicht, und dachte nie, daß Unvorsichtigkeit[194] und Leichtsinn so schrekliche Folgen haben! – Seid Gott ähnlich, und verzeiht mir! – Unter so vielen Qualen schloß ich mein erstes Kerkerjahr, – man kann aus nachstehenden, nur im Kopfe von mir verfertigten Strofen sehen, in welchem Zustande:


Halleluia! Amen, Amen!

Preis dem Herrn, der ist und war!

Ach, in Jesu Christi Namen

Schließ ich nun das alte Jahr.

Engel Gottes, leiht mir eure

Harfen, daß ich dank' und feire;

Denn mein Herz ist zu beklemmt

Und von Tränen überschwemmt.


Welcher Berg ist überstiegen!

Welche Last ist abgelegt!

Gott der Starke, half mir siegen,

Dessen Arm die Schwachen trägt.

Wenn die Knie im Steigen brachen;

Wenn die hohlen Augen sprachen:

»Hilf mir, Gott!« – so half er mir.

Helfer, Preis und Dank sei dir!


Aus der Welt herausgezogen

Hast du mich, wie aus dem Meer.

Mich umbraußten Todeswogen,

Stürme heulten um mich her.[195]

Schwindelnd hieng ich an dem Maste.

Als dein Vaterarm mich faßte

Und in dieses Felsen Schoos

Wie in Flügel mich verschloß.


Nun erwacht' ich aus dem Schlafe,

Mit dem Richter in der Brust:

»Zittre,« donnert' er, »du Sklave

Niedrer Sklave kleiner Lust!«

Um und um war kein Erretter,

Ueber'm Scheitel hieng ein Wetter!

Unter mir Gericht und Tod;

Und ich fühlte Höllennoth.


O, ein Leben voller Schande

Stellte sich vor mein Gesicht.

Gott, dem Freund, dem Vaterlande,

Und mir selber nüzt' ich nicht!

In gedankenlosem Spiele,

Unter weibischem Gefühle,

Mir verwirrtem, trunknem Sinn

Taumelt' ich durchs Leben hin.


Schöpfer, meines Geistes Gaben,

Die Geschenke deiner Hand,

O, wie hab' ich sie vergraben!

O wie schändlich angewandt!

Den Verstand hab' ich verblendet,

Meinen Wiz im Rausch verschwendet,

Und die Funken von Genie,

Schöpfer, wie versprizt' ich sie![196]


Freche Lüste, wilde Triebe

Haben ganz mein Herz entweiht,

Meine Liebe war nicht Liebe,

War nur Nervenreizbarkeit

Wenn ich auch was Gutes dachte,

Menschen um mich fröhlich machte,

War's nicht Tugend, es war nur

Gute Laune der Natur.


Swar hat oft von dir ein Schimmee

Meiner Seele Nacht erhellt,

So wie oft auf Babels Trümmer

Bliz vom Himmel niederfällt.

Aber so wie Blize schwinden,

Die nur leuchten, nicht entzünden;

So verschwanden auch in mir,

Rührungen, o Gott, von dir!


Deinen Sohn, den Spötter schmähen,

Hab' ich oft, wie sie, geschmäht;

Nie zum Kreuz hinauf gesehen,

D'ran er auch für mich gefleht:

»Vater, schone des Verirrten!

Den des Fleisches Lüste wirrten!

Schone sein, sieh an mein Blut!

Ach, er weiß nicht, was er thut.«


Gott, dein Wort, das Felsen spalket,

Diese Leuchte in der Nacht,

Die das Herz, wenn es erkaltet,

Wieder heiß und brünstig macht,[197]

Lobt' ich zwar, wie Menschenwerke,

Zeugend von des Geistes Stärke:

Aber seine Kraft, sein Licht,

Fühlt' ich nie, und sah es nicht.


Deines Sabbaths stille Feier,

Wie entweiht' ich sie vor dir!

O Allmächtiger, Getreuer,

O vergib, vergib es mir!

Wenn ich deine Bothen schmähte;

Unempfindlich bei'm Gebete,

Ungerührt bei'm Tempellied,

Nie vor dir! vor dir gekniet!


Ach, nun denk' ich an die Meinen,

Die mein Herz so innig liebt!

Blut und Tränen möcht' ich weinen,

Denn – wie hab' ich sie betrübt!

Ausgepreßte Zahren zeugen

Wider mich! – O Gott, sie steigen

Auf zu dir, wie Tropfen Blut,

Reizen deines Zornes Glut!


Meinen Vater, der mich zeugte,

Der mir soviel Gutes that,

Wie betrübt' ich ihn! wie beugte

Ihn so manche Frevelthat!

Ach, er starb im Herbst der Jahre,

Und ich hab' zu seiner Bahre

Auch ein Brett gelegt – am Thron

Zeugt er wider seinen Sohn.[198]


Mutter, deine Lokke graute

Früher, denn du härmtest dich;

Jede Trän', die dir entthaute,

Floß aus Kummer über mich,

Brüder, Schwestern – welche Schmerzen

Schuf mein Unsinn eurem Herzen!

Manche Post von mir war euch

Schreklich, wie ein Donnerstreich.


Gattin, die mir Gott gegeben,

Um ein Engel mir zu seyn,

O wie macht' ich dir dein Leben

So zur Qual und Höllenpein!

Nicht dein Herz, das Liebe klopfte,

Nicht dein Aug, das Wehmut tropfte,

Nicht dein Arm, der mich umschloß,

Riß mich aus der Lüste Schoos.


Sey zufrieden, Gott der Rächer

Nahm sich endlich deiner an;

Ferne hat er mich Verbrecher,

Dulderin, von dir gethan.

Ohne Abschied, ohn' Erbarmen,

Riß er mich aus deinen Armen,

Gab dir Ruh – und schloß mich ein,

Unter diesen Felsenstein.


Und nun martert mich die Liebe,

Einsam, ohne Trost von dir!

Wilde, ungestillte Triebe

Brausen schäumend auf in mir.[199]

Ach mit ausgestrekten Händen

Greif' ich nach den schwarzen Wänden,

Glaube, Weib, es sei dein Bild!

Und mein Blik ist starr und wild.


Reiß mein Bild aus deinem Herzen,

Sei bei meinem Jammer kalt;

Denke nicht an meine Schmerzen,

Nicht an meine Geistgestalt!

Ja vergiß mich ewig, – weihe

Einem andern deine Treue,

Dieß dein Herz voll Zärtlichkeit,

Der es nicht wie ich entweiht.


Jüngling, sieh durchs Eisengitter

Mir ins bleiche Angesicht,

Höre, wie im Ungewitter

Meine Stimme mit dir spricht:

»Wollust hat mich so zerschlagen,

Mir bereitet diese Plagen;

Ist dir deine Seele theu'r,

O so flieh dieß Ungeheu'r


Aber du, Weltrichter, Gnade! –

Nicht um Freiheit bitt' ich dich,

Meines Erdenlebens Pfade

Seyen noch so fürchterlich; –

Laß mein Fleisch, mein Fleisch verderben,

Aber ewig, ewig sterben

Laß mich nicht, ich bitte dich!

Jesu, rede du für mich![200]


3

Auch von diesem Gedichte sprach mein seliger Vater, da ich ihn auf dem Asberg besuchte, öfters mit Bedauren zu mir. Es war in Hexametern geschrieben, und vier Gesänge lagen bereits davon fertig – mit Bleistift sehr deutlich geschrieben – und hinter einer Diele seines Kerkers verstekt. Einst, da er eben die im Kopf verfertigten Hexameter niederschrieb, öffnete plözlich der Kommandant seine Thüre, überraschte ihn noch, da er die Zettel verbergen wollte, und drang so heftig in ihn, daß er das ganze Verbrechen gestand, und leider! auch die verstekten Papiere auslieferte. Vergebens stellte mein Vater vor, daß der Innhalt der unschuldigste von der Welt sey, und selbst ein Inquisitionsgericht aushielte. – Der General verließ ihn mit der Drohung: Daß er ihn an die Wand würde schmieden lassen, wofern er sich wieder mit so heillosem weltlichem Geschreibsel befaßte; nahm die Papiere und sein theures Stift mit sich; und nie sah der arme Gefangene sein Gediche wieder. Selbst unter den Papieren des bald darauf am Schlag gestorbenen Generals – fand es sich nicht, und war also wohl mit alten Raporten und Kuchenzetteln in's Kehricht gewandert.

Auch gegen Fremde, die seine Fürstengruft, sein Krucifix, den ewigen Juden und andere Gedichte lobten, hörte man meinen Vater oft äußern:

»Meine besten Gedichte sind in den Strudeln meines Lebens untergegangen. Weit das beste, was ich auf dem Asberg sang, war der verlorne Sohn – ein episches Gedicht in zwölf Gesängen, wovon beinahe fünf ganz vollendet; die übrigen – klar und fast ganz ausgebrütet in meiner Seele lagen.« s.w.

d.H.

4

Eine wichtige Stelle für dieienigen, die den Hang meines Vaters zur Mystik und Theosophie in der Folge, so gar nicht begreifen wollten.

d.H.

Quelle:
Schubart, Christian Friedrich Daniel: Schubart’s Leben und Gesinnungen. Zweiter Theil, Stuttgart 1793, S. 187-201.
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