Am 17ten Julius 1813

[10] Sinnend stand ich und still auf des Brockens öden Granithöhn;

Kühn auf Felsen gestützt, wähnte sich sichrer die Kraft.

Nebel umzog das Gebirg, und es floß grauwogende Dämmrung

Rings durch die Tief', und es sank dunkel die zitternde Gluth.

Fruchtlos schauten die Wanderer hin in's Thal, und es klagte

Jeglicher, daß kein Dank lohne den schwierigen Pfad.

Aber entzückt hob hoch sich der Geist des sinnigen Dichters,

Und aus leichtem Gewölk schuf er ein Zaubergefild.

Form und Gestalt rang schnell aus dem Nichts sich empor, und bedeutsam

Tagte das Bild, ringsum wallte lebendiger Reiz.

Berghöhn thürmten sich kühn, und auf zackigen Klippen erhob sich

Dunkel der Wald, und es schwamm zitternd der silberne See.

Inselchen lockten mit stillem Gebüsch; leichtschwankende Nachen

Wiegten zum heimlichen Sitz harrender Liebe sich hin.

Wiesen verbreiteten rings ihr Blüthengewand um des Flusses

Rollende Fluth, und es schwieg ruhend das schattige Thal.[11]

Alles erschien mir fern wie ein freundliches Land der Verklärung,

Und nicht sterbliche Lust lächelte dort mir herab,

Denn schon schwamm die erbleichende Gluth tief unter der Dichtung

Leuchtender Welt, stets hob höher das Bild sich empor,

Herrlicher säumte sich stets mit flammendem Golde der Sehnsucht

Wundergebiet, stets ward dunkler das irdische Thal.

Ach, da dacht' ich an dich, Holdselige, welche des Freundes

Nächtlichen Gram so oft mischte mit dämmernder Lust.

Wehmuth lächelte still mir im sinnenden Blick; wohl fühlt' ich

Tieferen Schmerz; doch fern tagte mir zartere Lust.

Sieh, du schautest herab aus dem lichten Gewölk in des Sieges

Goldenem Kranz; dein Blick lächelte ruhig und mild.

Sterne blinkten empor, wie du lächeltest, tröstende Sterne,

Raschaufstrahlendes Licht folgte der winkenden Hand,

Glanzreich wölbte zum Thor sich des Friedens heiliger Bogen,

Und aus Morgengewölk ebnete hell sich die Bahn.

Mächtig ergriff den verlangenden Geist stillschweigende Sehnsucht,

Dich nur sah ich, und dich fühlt' ich im Herzen allein;

Nächtlich versank um's hohe Gebirg mir die dämmernde Welt rings,

Doch hoch über mir hob klar sich der himmlische Dom.

Ach, wohl blühet nur dort mir die Rose des Glücks, und der Hoffnung

Leitstern dämmert nur dort leise dem Herzen empor!

Bist du doch keusch und rein, wie die Lilie heiliger Engel,

Spielt im Auge dir doch ruhig die selige Gluth,[12]

Rinnt doch sanft, wie ein zartes Gedicht von der friedlichen Zukunft,

Durch des betäubenden Wahns Wellen dein Leben dahin!

Ach, dich lieb' ich allein, dich trag' ich ewig im Herzen:

Doch stets kettet die Scheu zagend den irdischen Wunsch,

Und stets scheinet, je kühner mein Geist aufstrebt zu der Schönheit

Hellerem Licht, dein Geist höher und herrlicher mir! –

Doch, da senkte die Sonne sich ganz; schwarz wogte die Nacht auf,

Graunvoll tobte der Sturm über die Haide daher,

Kein trostkündender Stern durchblinkte den trüberen Nebel,

Und in finsteren Duft senkte dein Bild sich hinab.

Traum nur ist und Schatten das Heiligste; luftiger Wahn nur

Leitet die Welt, und das Herz spielt mit betrüglichem Nichts;

Was es gewann, ist glänzender Schaum; schnell flattert des Zufalls

Lüftchen heran, und es flieht spottend das ewige Gut. –

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 10-13.
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