Am 23sten August 1813

[16] O Fantasie, wie flatterst du so süß

Um meine Brust mit leisen Flügelschlägen

Und suchst mir rings ein holdes Paradies

Voll freundlicher Gestalten aufzuregen?


Es wiegt mich hin zu mondbeglänzten Höhn,

Es leitet mich zum Rande frischer Quellen,

Umsäuselt mich wie duft'ger Schatten Wehn

Und bettet mich auf weiche Graseswellen.


Noch faß' ich's nicht, was mir dein Wink enthüllt;

Doch dämmernd blüht's empor in buntem Leben,

Und lächelnd scheint schon manches liebe Bild

Dem irren Kampf der Formen zu entschweben.


Mein Herz erglüht in ahnungsvoller Lust,

Süß bebt's in mir gleich stillem Liebeszagen,

Wie Morgenroth umspielt es meine Brust;

Doch will es nie zur lichten Klarheit tagen.


O laß dich sanft, du holde Gauklerin,

Am Rosensaum der leichten Schwingen halten,

Und deute mir den wunderbaren Sinn

Der nahenden, der fliehenden Gestalten!
[17]

Und sieh! da ruht das Kämpfende vereint,

Der irre Duft der Dämmrung ist entschwunden,

Und gleich dem Strahl des frühsten Lichts erscheint

Sie, die mit ew'gem Zauber mich umwunden.


O sey gegrüßt, du zartes Traumgesicht,

Wie lieblich weht dein luftiges Gefieder,

Wie senkst du hold, ein freundliches Gedicht,

In's öde Reich der Wahrheit dich hernieder!


Dein Lächeln ist aus Sonnenschein gewebt,

Dein milder Ernst aus stillem Mondenglanze,

Lust ist das Kleid, das rosig dich umschwebt,

Und Ruhe thaut aus deinem duft'gen Kranze.


Ich nahe dir, du friedliche Gestalt,

Ich hasche dich mit seligem Verlangen

Und halte sanft mit liebender Gewalt

An keuscher Brust dich, süßen Traum, umfangen!


O weile du bey mir im Schattengrün,

Laß fröhlich uns mit luft'gen Bildern spielen,

Beflügle mich mit bunten Fantasien.

Und kette mich mit heiligen Gefühlen.


Fern sey von uns der Welt verworrner Streit,

Laß träumend uns in stillen Lauben wohnen!

Vergänglich ist, was uns das Leben beut,

Das Herz nur flicht sich ew'ge Blüthenkronen.


Längst schwand die Sonn' an meines Himmels Saum,

Erloschen ist mein Leben und mein Lieben,

Du nur allein, du, meiner Liebe Traum,

Bist tröstend mir in kalter Nacht geblieben!

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 16-18.
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