Glosse

Am 23sten Oktober 1814

[76] »Wort gehalten wird in jenen Räumen

Jedem schönen, gläubigen Gefühl;

Wage du zu hoffen und zu träumen;

Hoher Sinn liegt oft im kind'schen Spiel.«


Was verzagst du, traurendes Gemüth,

Bildest stets zum Leid dir neue Leiden?

Armes Herz, da dich die Liebe flieht,

Willst auch du die Liebe zürnend meiden?

Was dich tief und mächtig einst erfüllt,

Halt' es fest in Freuden und in Schmerzen,

Jeder Gram, den dir die Zeit verhüllt,

War ein heil'ger Schmuck in deinem Herzen.

Kann der Blinde wohl von Farb' und Glanz,

Kann vom Klang der Taubgeborne träumen?

Was du ahnst, das täuscht dich nimmer ganz;

Wort gehalten wird in jenen Räumen.
[77]

Doch auch hier soll nie der Geist verzagen,

Soll getrost in jedem Kampfe stehn;

Herrlich ist's, ein großes Leid zu tragen,

Göttlich ist's, in Liebe zu vergehn.

Kalt und todt und deutungslos entschwindet

Jedes Bild der unbewegten Brust;

Nur der Gott, der in uns wohnt, empfindet

Tiefen Schmerz und wunderbare Lust.

Wird auch nie das Kleinod dir beschieden,

Schon die Sehnsucht ist ein heil'ges Ziel,

Und es blüht die Palme schon hienieden

Jedem schönen, gläubigen Gefühl.


Mag der Herbst das welke Laub zerstreun,

Mag der Sturm die Blüthen dir entführen,

Was du liebst, das bleibt auf ewig dein;

Nimmer kann das Herz sich selbst verlieren.

Zürne nicht, wenn dich die Welt begränzt;

Irdisch ist und endlich jede Schranke,

Und im hartbedrängten Herzen glänzt

Leuchtender ein göttlicher Gedanke.

An dem Glauben bricht des Todes Macht,

Aus dem Grabe wird die Hoffnung keimen;

Nur der Zweifel irrt in ew'ger Nacht.

Wage du zu hoffen und zu träumen!


Wenn auch um der Hoffnung Zauberwelten

Finster oft ein Sturmgewölk sich zog,

Laß es nie die Trösterin entgelten,

Daß das Schicksal feindlich dich betrog.[78]

Muthig strebt der edle Geist nach oben

Zu der Wünsche luftig holdem Reich,

Und der Thron, zu dem er sich erhoben,

Sinkt mit seinem Hoffen nicht zugleich.

Ward der Kampf vergebens auch begonnen,

Würd'ger macht die Mühe dich dem Ziel;

Zage nicht; gewagt ist stets gewonnen!

Hoher Sinn liegt oft im kind'schen Spiel.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 76-79.
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