Am 24sten April 1816

[166] Ewig muß das Leben keimen

Aus dem dunkeln Schooß der Erde,

Daß zu wandelbaren Träumen

Alles, was wir liebten, werde.

Sehnst du dich, ein Bild zu halten,

Das es bleibend dich erfreue,

Wird es flüchtig sich auf's neue

In ein fremdes umgestalten.


Wo die Knospen heut erwachten,

Wirst du morgen Blätter finden,

Wenn die Blüthen kaum dir lachten,

Muß auch schon die Frucht sich ründen;

Frühling, ach, wer kann dich sehen

Und an deinem Glanz sich weiden?

Bist ja nur ein ew'ges Scheiden,

Ew'ges Wechseln und Vergehen.


Blumen, welche schnell verblühen,

Heitres Blau in hohen Fernen,

Wolken, die vorüberziehen

Vor des Himmels festen Sternen,

Leise Töne, die verschweben,

Fremde Bilder, flucht'ger Schimmer,

Frühling, ach, wohl irrt man immer,

Nennt man Liebe dich und Leben!

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 166-167.
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