Am 26sten März 1815

[94] 1.

Nur kleine Lieder pfleg' ich dir zu singen,

Drum lohnst du mir mit kleinen Wiesenblüthen;

Doch werd' ich einst dir größ're Gaben bieten

Und höhern Preis aus deiner Hand erringen.

Schön ist's, auf kühner Bahn emporzudringen,

Worauf nur wenig Kämpfer erst sich mühten,

Und jenen Kranz, den mächt'ge Geister hüten,

Im tapfern Streit den Mächt'gen abzuzwingen.

Mit dir, mit ihr, mit Gott werd' ichs vollenden!

Mir geben Erd' und Himmel gleiches Sehnen

Und gleiche Kraft, Gebet mir, Lieb' und Thränen.

Mag Gott mir Ruhm, mag sie mir Frieden senden,

Magst du mich einst mit edelm Lorbeer krönen,

Ich acht' es gleich, wie Schönes stets dem Schönen.
[95]

2.

Wie Vöglein, die ein enges Netz gefangen,

Das zarte Köpfchen schweigend niedersenken,

Und still betrübt an jene Zeiten denken,

Als sie noch frey im bunten Haine sangen;

So wollt auch ihr im schmerzlichen Verlangen,

Ihr holden Blumen, euch zu Tode kränken

Und, wie ich euch auch pflegen mag und tränken,

Nur hin zu ihr, von der ich euch empfangen?

Weil ihr so große Freude mir gegeben,

Drum gräm' ich mich, daß ich euch so betrübe,

Und lehr' euch gern mein Bestes: Lust im Leide.

Sie schied auch mich schon lang vom heitern Leben;

Doch immer blüh' ich noch in Schmerz und Liebe,

Und singe, längst gefangen, ihr zur Freude.


3.

Nur arme Blümchen hast du mir gegeben,

Die duftlos ihren kleinen Kelch entfalten,

Und dir zum Schmuck die schöneren behalten,

In deren Schooß so süße Geister schweben.

So schafft sich stets mit sehnsuchtsvollem Streben

Mein liebend Herz viel freundliche Gestalten;

Doch ach, wie hold sie auch mein Aug' umwalten,

Sie sind nur Träum' und ohne Hauch und Leben.

O hättest du gewagt mit zartem Sinne,

Ein Veilchen nur in jenen Kranz zu fügen,

Nicht hätte so dein Weigern mich bekümmert;

Denn Liebe strebt nicht, daß sie viel gewinne,

Und will ihr Herz an Träumen gern vergnügen,

Wenn ferne nur ein Hoffnungsstern ihr schimmert.
[96]

4.

Was du gewährt, das nahm ich an mit Freuden,

Was du geweigert, mocht' ich nicht erflehen:

Nur freye Gunst darf Liebe nicht verschmähen,

Erbetnes Glück ist fast ein halbes Leiden.

Wohl könnt' ich nie dein holdes Auge meiden;

Doch bitt' ich's nicht, mich lächelnd anzusehen,

Und magst du freundlich nahn und feindlich gehen,

Mich freut dein Nahn, doch hindr' ich nicht dein Scheiden.

Wohl werd' ich nimmer zürnen, ewig lieben;

Doch such' ich nie durch Flehn dich zu gewinnen,

Mag tief mich auch dein kaltes Herz betrüben.

Denn konnt' ich auch der Liebe nicht entrinnen,

Ist doch der Stolz dem edeln Geist geblieben,

Der werth mich macht, um deine Huld zu minnen.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 94-97.
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