Am 2ten April 1815

[101] Kleine Lieder, geht nur immer,

Grüßt die Liebste schön von mir;

Glaubt mir, sie verstößt euch nimmer,

Kommt ihr täglich auch zu ihr.

Denn bey mir könnt ihr nicht bleiben,

Voll ist schon das ganze Haus,

Und die losen Buben treiben

Fast mich selbst zur Thür hinaus.


Auf den Büschen, auf den Bäumen

Wachsen sie wie Laub empor,

Schaun aus allen Blüthenkeimen,

Wie der Frühling, bunt hervor;

Wo ich steh' und gehe, schwärmen

Sie in Schaaren hinterdrein.

Kann bey solchem Kinderlärmen

Wohl ein Mensch vernünftig seyn?
[102]

Zwar ist manches fein und zierlich,

Geht in bunten Kleidern gern,

Dreht und wendet sich manierlich,

Grüßt und bittet nur von fern:

Doch sind's meistens wilde Knaben,

Laufen immer gradezu,

Wollen Alles sehn und haben,

Lassen mir nicht Rast noch Ruh.


Wohl erkenn' ich ihn, den Einen,

Der sie Alle mir verführt.

Fromm und artig möcht' er scheinen;

Doch ich hab' ihn ausgespürt.

Ach, so voll von bösen Ränken,

So voll Trug und Lug und List

Kann man keinen sehn noch denken,

Als der Schelm, der Amor, ist.


Hab' ich doch an manchen Tagen

Zu der Liebsten ihn geschickt,

Dies und jenes ihr zu sagen,

Was mir lang das Herz gedrückt.

Grüßend kam er heimgeflogen:

Doch zu bald nur sah ich klar,

Daß der Schelm mich doch betrogen

Und nicht einmal dorten war.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 101-103.
Lizenz:
Kategorien: