Am 5ten May 1816

[177] Die ersten Veilchen, die entsprossen,

Du nahmst sie an und danktest still;

Doch heut ist deine Thür verschlossen,

Da ich die letzten bringen will.


Die ersten wollten kaum entkeimen,

Die letzten wollen schon vergehn;

So hab' ich auch von meinen Träumen

Die volle Blüthe nicht gesehn.


Doch meine Träume blühn und leben

In leisen Liedern noch für dich;

Die Veilchen können nichts mehr geben,

Wenn matt ihr zartes Haupt verblich.


Jetzt welken sie in kaltem Regen,

Weil ich sie fort ins Dunkel warf;

Nicht mag ich Schönes sehn und pflegen,

Wenn ich es dir nicht bieten darf.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 177-178.
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