Am 1sten Januar 1814

[33] Wohl hab' ich dir mit leisem Ton

Manch zartempfund'nes Lied gesungen,

Doch nie des Liedes süßen Lohn,

Der Minne Lächeln, mir errungen;

Drum seufz' ich oft mit stillem Schmerz:

Verstummt, verstummt ihr gold'nen Saiten!

Denn ach, der Liebsten kaltes Herz

Kann eure Klänge doch nicht deuten!


Doch nah' ich dir, du holdes Bild,

Und sitze still zu deinen Füßen

Und sehe, wie so wundermild

Mich deine klaren Blicke grüßen,

Und wie der Unschuld keuscher Kranz

Und wie die Blüthen alles Schönen

Dein Angesicht mit reinem Glanz,

Mit heil'gem Schmuck dein Leben krönen;
[34]

Dann schwillt mein Herz von süßer Lust

Und kann's nicht bergen, nicht enthalten,

Und bunt beginnt in tiefer Brust

Der Bilder holdes Reich zu walten,

Und was dein Mund, dein Auge spricht,

Tönt lieblich mir im Herzen wieder,

Und deiner Strenge denk' ich nicht,

Und denke nur auf zarte Lieder.


Dein Aug' ist meine Fantasie,

Dein Athem giebt mir Mild' und Feuer,

Dein Wort mir Klang und Harmonie,

Dein Wangenroth der Anmuth Schleier.

O wollte nur der Genius

Der Liebe meinem Leben lachen,

Dann könnte leicht dein süßer Kuß

Den Sänger noch unsterblich machen!

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 33-35.
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