Am 7ten Januar 1814

[42] Wie im Lenz an blühn'den Zweigen

Immer junge Knospen keimen,

So entsprießt mit ew'gem Drange

Mir im Busen Lied auf Lied.

Singen oder ewig schweigen,

Sterben muß ich oder träumen,

Weil im Traum nur und Gesange

Mein verwelktes Leben blüht.


Wild von Stürmen fortgetrieben,

Schweift der Schiffer hin und wieder,

Treibt verirrt von Strand zu Strande

Unter fremdem Volk umher;

Und er denkt der fernen Lieben,

Singt der Heimath holde Lieder;

Von des Schiffes hohem Rande

Schaut er still hinaus in's Meer.
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Und er sieht im Schaum der Wellen

Seiner Heimath Blumen sprießen,

Lauer weht der Wind und milder,

Und der Tiefe Zürnen ruht;

Und ihn scheint der Woge Schwellen

Mit verwandtem Ton zu grüßen,

Und der Lieben ferne Bilder

Lächeln aus der hellen Fluth.


Hat in ihren Zauberkreisen

Liebe nicht mein Herz erzogen?

Irr' ich nicht auf wilden Meeren

Fern von ihrem sel'gen Hain?

Traurend mit den alten Weisen

Such' ich jetzt den Zorn der Wogen,

Hold mich täuschend, zu beschwören,

Glücklich, ach, im Traum allein!

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 42-44.
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