Am 7ten März 1814

[57] Hoch auf Felsen möcht' ich klimmen,

Wo die Wolken nächtlich thronen

Und von bleichem Duft umwoben

Fern des Lebens Bild erblaßt.

Ueber Ströme möcht' ich schwimmen,

Möcht' in dunklen Wüsten wohnen

Und durch Nacht und Sturmestoben

Wandeln ohne Ruh' und Rast.


Nur der Bilder rasches Walten

Kann den innern Sturm beschwören,

Und doch zieht's mich in die Stille

Zu des Herzens Kampf zurück.

Denn ich zage, zu erkalten,

Mag die Gluth mich auch verzehren;

Was mich täuscht, das ist mein Wille,

Was mich quält, mein einz'ges Glück.
[58]

Schmerzlich tracht' ich nach dem Schönen,

Weil ich Schönes lieb' im Herzen;

Doch das Schöne läßt mich zagen,

Weil ich ewig fern ihm bin.

Ew'ge Täuschung, ew'ges Sehnen,

Bange Lust und bittre Schmerzen,

Furcht und Hoffnung, Fliehn und Wagen,

Zarte Lieb' ist dein Gewinn!


Weh, die Nacht ist ohne Sterne,

Ohne Farb' und Licht der Morgen,

Und kein Leben giebt das Wachen

Und der Schlummer keine Ruh.

Und so treib' ich durch die Ferne,

Auf dem Meer entzweyter Sorgen,

Steuerlos, im morschen Rachen

Trügerischen Küsten zu.


Und ich achte nicht der Wellen,

Suche nicht der Noth zu wehren,

Weil ein einziger Gedanke

Tödtend meine Kraft umflicht.

Mag der schwache Kahn zerschellen,

Mag er heim zum Ufer kehren,

Tod, ich zittre nicht; ich danke,

Glück, dir deine Rettung nicht!

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 57-59.
Lizenz:
Kategorien: