Am 7ten Februar 1816

[135] 1.

Wie festverstrickt mit duftig zarten Reben

Der Efeuzweig den schlanken Baum umschlingt

Und jetzt aus ihm das frische Leben trinkt,

Das früher ihm der Erde Schooß gegeben:

So muß mein Geist dich ewig eng umweben,

Und dein nur sind die Blüthen, die er bringt;

Durch dich allein entknospet und verjüngt,

Ernährt und schmückt sich selbst und dich mein Leben.

O holder Baum, wenn je das Immergrün,

Womit dich stets der Liebe Träum' umranken,

Dein schönes Bild noch zu verschönern schien;

So neige dem, der dir den Schmuck verliehn,

Ach einmal nur, um freundlich ihm zu danken,

Die Zweige, die so reich und lieblich blühn!
[136]

2.

Der Sänger lag von stillem Schlaf umfangen,

Von langem Leid war Wang' und Mund ihm bleich,

Doch blühend kam durch's duftige Gesträuch

Mit ihren Frau'n die Königin gegangen.

Ihr Auge blieb wehmüthig an ihm hangen,

Das stolze Herz, es ward ihr mild und weich,

Sie neigte sich, der schlanken Blume gleich,

Und küßte sanft des Blassen Mund und Wangen.

Da flüsterten die Frauen hier und dort:

Wie mag sich doch die frische Rose nieder

Zum bleichen Kelch der Nachtviole neigen!

Doch sinnig sprach die Herrin dieses Wort:

Nicht küßt' ich ihn; ich küßte nur die Lieder,

Die blühend stets von diesen Lippen steigen.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 135-137.
Lizenz:
Kategorien: