Sechstes Buch

O sonderbares Loos des Bürgers dieser Welt!

Bald wildem Grame hingegeben,

Bald durch sein innres Glück den Göttern beygesellt,

Dreht sich im wilden Kampf sein unruhvolles Leben.

Ein jedes Wesen flieht den Feind;

Mit wilden Löwen wird das Lamm sich nie verbinden;

Nur in des Menschen Busen finden

Sich Schmerz und Freude eng vereint.

Wer ist's, der von sich rühmen möchte,

Daß nie der Gram sein Inneres durchwühlt?

Und wen verfolgte so des Schicksals starke Rechte,

Daß er den Sonnenschein des Glückes nie gefühlt?

Doch sollen wir uns mit dem Glück entzweyen,

Weil es so wunderbar das Feindliche gepaart,

Daß wir nach herbem Schmerz der Wonn' uns süßer freuen,

Und daß durch Lust die Unlust milder ward?

Darum getrost! Wenn auch, verscheucht von tausend Qualen,

Sich Glaub' und Hoffnung schon verlor,

So steigen endlich doch des Glückes heitre Strahlen

An unserm Horizont empor.[289]

Froh müssen wir uns in das Loos ergeben,

Das wandelbar uns aus der Urne siel;

Wir sind nicht bloß des Schicksals blindes Spiel,

Ein höh'res Wesen lenkt mit weiser Hand das Leben;

Kein Unmuth fruchtet hier, kein eitles Widerstreben;

Es führt uns dunkel oft, doch sicher stets an's Ziel.


Mit Blicken, voll von Hoffnung und von Freude,

Mit Wangen, die der Liebe Purpur malt,

Naht Psyche jetzt dem Thron. Sie wähnt die Schuld bezahlt,

Die Gläubige, sie traut Cytherens Eide,

Und hält die Schadenlust, die Cypris Blick entstrahlt,

Für der Verzeihung Pfand. Doch wehe, wie erschrocken

Bebt sie zurück, wie plötzlich stocken

Die Pulse ihr, als so die Göttin spricht:

Du hast die That vollbracht, die ich dir aufgetragen.

Allein durch eigne Kraft? Ich glaub' es wahrlich nicht.

Verdient es der, daß er die Palme bricht,

Dem ohne Müh ein Gott mit schnellerm Flug den Wagen

Beschwingt, für den ein Gott mit starker Rechte sicht?

Drum hoffe nicht, daß dir Verzeihung werde,

Bevor du nicht noch Eins vollbracht.

Geh hin, wo tief, im dunkeln Schooß der Erde,

Der finstre Hades wohnt, in nie erhellter Nacht.

Und wenn du dann des Styr Gewässer überschritten,

Wenn du den Cerberus in Schlummer eingesenkt,

Befehl' ich dir, Persefone zu bitten,

Daß sie ein Teilchen mir von ihren Reizen schenkt.

Schwer ist die That, doch hast du sie vollzogen,

Ich schwör' es bey den heil'gen Wogen

Des Tartarus, dann sey mein Zorn gedämpft!

Dann hast du meine Gunst und meinen Sohn erkämpft.
[290]

Dem Wandrer gleich, der in der Wüste Sande

Von Durst zu Boden fast gedrückt,

Jetzt an des Horizontes Rande

Ein schimmerndes Gedüft, dem Wasser gleich, erblickt,

Entzückt dem Scheine folgt, der immer mehr entschwindet,

Und ach! zuletzt nur Nebelstreifen findet,

Ihm gleich verzweifelte jetzt Psychens armes Herz.

Getäuschter Hoffnung herbe Qualen

Sind bitterer, als hoffnungsloser Schmerz.

Erträumtes Glück ist nie mit Golde zu bezahlen,

Mit keinem Königreich, nicht mit der ganzen Welt.

Wo ist der Fürst, dem nie der Schmerz den Busen schwellt?

Allein der Hoffnung Traum, er gleicht den heitern Strahlen

Des Diamant's, den nie der kleinste Fleck entstellt.

Dem Maler gleich, der aus verschiednen Auen

Die schönsten Theile wählt; dort einen stillen Hain,

Hier einen See und dort umranketes Gestein,

Dort ein Gebirg, um das der Wolken Nebel grauen,

Und so der Landschaft reizend Bild

Mit allem, was sein Blick nur Schönes sah, erfüllt:

So sucht die Hoffnung auch zu ihren Schildereyen

Die schönsten Farben nur hervor,

Und alle Gruppen, die das holde Bild entweihen,

Verhüllt sie uns mit ihrem Zauberflor.

Was glich dem Schmerze nur, der Psychens Brust durchbebte,

Als jetzt der milde Schleyer schwand,

Und, statt der grünen Flur, sie öden tiefen Sand

Und wildes Moor, um das ein gift'ger Nebel schwebte,

Statt klarer Silberquellen fand.

Wie fern war noch das Ziel, zu dem sie sehnend strebte,

Wie rauh die Wüste nicht, durch die der Pfad sich wand!

Ach, durch der Schatten düstres Land[291]

Ging jetzt der Weg zu ihrem Glücke!

Und welches Gottes starke Hand

Führt sie aus jener Kluft zurücke,

Die von des Tages Licht auf ewig uns verbannt?

Doch warum zögr' ich noch? Was frommt das öde Leben?

So ruft Psycharion. Im Tode flieht das Leid;

Wo keine Sorgen mehr den Busen stürmisch heben;

Da nur ist Ruh, da nur ist Seligkeit!

Hinab, hinab, die Palme zu erstreben,

Die mir nach bangem Kampf die süße Ruhe beut!

So ruft sie aus und eilt durch Wald und Thal zum Strande.

Dort steht ein Kahn, das Segel hoch geschwellt,

Sie tritt hinein, und rasch vom Ufer fort geschnellt,

Entflieht er pfeilgeschwind dem Lande.


Rasch eilt das Schiff. Schon zeigt kein Land sich mehr;

Der Blick sieht nichts als bunte Luftgefilde,

Und ringsum braust hoch auf das ungeheure Meer.

Nur schaun zuweilen noch, wie zarte Duftgefilde,

Zerstreute Inselgruppen her.

Jetzt fliehn erst Asiens, dann Kreta's holde Auen

Dem Blick vorbey, und bald zeigt Griechenland,

Das, dem Gewölke gleich, des Morgens Düft' umgrauen,

Am Horizont des Meers den segenreichen Strand.

Schon sind umschifft Cythera's duft'ge Wälder;

Messeniens fruchtbare Felder

Entziehn dem Meere schon den flachen Uferrand;

Jetzt thürmen Elis steile Höhen

Sich am Gestad' empor; Achaja's Spitze blickt

Ein Weilchen jetzt daher, und rasche Winde wehen

Das Schiff von Samos Strand, mit holdem Grün geschmückt;

Nun läßt sich schon das Felseneiland schauen,[292]

Wo einst die göttliche der Frauen

Der Freyer Uebermuth mit frommer List bestrickt.

An Akarnaniens Gestad mit Windesschnelle

Flieht jetzt das Schiff vorbey, Epirus Ufer nahn,

Und rasch hinweggewälzt von hoher Meereswelle,

Naht sich dem Hafen jetzt der leichtbeschwingte Kahn.


In eine Felsenbucht, vom hohen Wald umsäuselt,

Wo außerhalb das Meer sich thürmt, hoch am Gestein,

Doch innen friedlich sich die stille Welle kräuselt,

Führt jetzt der Kahn Psycharion hinein.

Sie steigt an's Land. Ein dunkler Fichtenhain

Empfängt gastfreundlich sie in seine kühlen Schatten,

Und sanftes Moos, vom klaren Quell erfrischt,

Mit Majoran und Weilchen untermischt,

Schenkt die gesehnte Ruh der Matten.

Ein süßer Schlaf, aus gold'nen Höhn gesandt,

Senkt sich, mit freundlichem Gefieder

Auf ihre müden Augenlider

Und leitet ihren Geist in holder Träume Land.

Sie wähnt, es steh', umhüllt von bunten Regenbogen,

Der Liebe Gott vor ihrem Blick.

Voll Scham und süßer Angst bebt sie erstaunt zurück,

Doch, mächtig von ihm angezogen,

Naht sie sich wiederum. Sein Blick ist sanft und mild,

Kein Vorwurf schaut aus seinen Zügen;

Nur zarte Schwermuthswölkchen fliegen

Um seine Stirn. Mit Thränen füllt

Sein Auge sich, als er die Hold' erblicket.

Psycharion, so ruft er wehmuthsvoll,

Unglückliche, erkennst du mich noch wohl?

Er ist dahin, mein Traum, der einst mein Herz beglücket,[293]

Schon lange blüht die Freude mir nicht mehr;

Und ach, doch fällt es stets so schwer,

Dem zu entfliehn, was einst das Herz entzücket!

Rauh ist der Prüfung Pfad, zu der dich Cypris schicket,

Drum komm' ich dir zu helfen her.

Nimm diesen Ring. Mit zaubrischem Gesange

Hat Hekate ihn einst geweiht,

Und jeder Sterbliche ist unsichtbar, so lange

Er ihn am Finger hegt mit strenger Sorgsamkeit.

Nimm ihn und geh, das Große zu vollführen,

Und wohl uns, wenn dein Flehn den untern Zeus bewegt;

Dann kann ich, holde Braut, dich nimmer mehr verlieren;

Dann fesselt ewig uns der holden Liebe Band.


So rief der Liebesgott und schwand.

Dem Wanderer, dem auf verirrten Wegen,

Wenn über ihm ein wilder Sturm erwacht,

Am Horizont ein blaues Wölkchen lacht,

Das ihn schon fröhlich hoffen macht,

Das Wetter werde bald sich legen,

Doch schnell entschwindet es, und fürchterlicher kracht

Des Donners Wuth mit zehnfach stärkern Schlägen,

Und schmetternd rauscht der winterliche Regen

Herab durch die gespensterschwangre Nacht,

Ihm glich Psycharion, als sie vom Schlaf erwacht.

So hat mich nur ein süßer Wahn betrogen?

Rief sie bekümmert aus, als sie allein sich fand.

Ach wallt' ich ewig doch an holder Träume Hand!

Des Lebens Aether ist mit Wolken stets umzogen,

Und nur im Traume blüht der Wonne Vaterland.

Sie senkt den trüben Blick; doch schnell mit neuem Leben

Schaut sie empor, sie glaubt ihr Auge trügt,[294]

Denn sieh, an ihren Finger schmiegt

Das gold'ne Kleinod sich, das Amor ihr gegeben.

O Wonne! ruft sie aus, so war es denn kein Wahn?

So ist mein Bild noch nicht aus seiner Brust entschwunden?

Er liebt mich noch? O seligste der Stunden!

Jetzt wandl' ich ruhig fort die fürchterliche Bahn.

Bald werd' ich schön verklärt an seiner Seite schweben,

Bald froh mit ihm der Götterwelt mich nahn.

Euch Schatten segn' ich jetzt, die bald mich trüb' umfahn,

Denn aus des Todes Schooß entkeimt mein schönres Leben.


So ruft sie aus, und wandelt kühn

Den unbetretnen Pfad. Bald hemmet eine Klippe,

Bald eines Stromes Lauf, bald dornigtes Gestrippe

Die matten Füße, bald umziehn

Die öden Felder steile Höhen;

Nichts schreckt sie ab. Doch jetzt entschwindet alles Grün

Der durst'gen Au; nichts ist als Sand zu sehen,

Und schwüle, gift'ge Lüfte wehen

Verderben auf die Flur. Die Haine stehn verbrannt,

Fremd scheint der Himmel hier, roth glimmt der Sonne Feuer

Und Acherons umschilfter Weiher

Wirft seine schwarze Fluth lauttönend an den Strand.

Am Bord des Sees erhebt hochauf in finstre Lüfte

Ein kahler Fels sein ungeheures Haupt.

Kein Eppig, keine Rank' umlaubt

Mit kargem Schmuck den Schlund der schaudervollen Klüfte,

Die gähnend ihn umziehn. Dem Land des Todes nah,

Scheint ihm das Leben fremd. In eine hohe Pforte,

Von ew'ger Nacht bewohnt, stürzt sich des Sees Fluth

Hinab zu jenem dunklen Orte,

Wo alle Freude schweigt und aller Kummer ruht.[295]

Psycharion betritt mit fürchterlichem Zagen

Den schmalen Pfad, an dem der Strom sich nieder rollt.

So soll sie jetzt dem süßen Licht entsagen?

Zwar viel hat sie im Leben schon ertragen,

Und ach, doch lächelt ihr das Leben noch so hold!

Doch nur getrost! Was sollte der nicht wagen,

Der nichts mehr zu verlieren hat?

Hinab, hinab den fürchterlichen Pfad!

Giebt Amor dir nicht freundlich das Geleite?

Schwebt Lieb' und Hoffnung dir nicht lächelnd an der Seite?

Reißt deine Sehnsucht dich nicht hin zur raschen That?

Der Kämpfer strebt nach Sieg und Ruhm im Streite,

Doch nie ward Sieg und Ruhm noch ohne Schweiß erreicht;

Doch wenn der Liebe Hand das Schwert des Helden weihte,

Wie wird ihm dann der Sieg und wie der Tod nicht leicht?

Die Liebe überschifft des Meeres tiefe Gründe,

Die Liebe trotzt der Elemente Macht,

Sie kämpft und siegt in wilder Männerschlacht,

Sie bahnt sich einen Weg durch nie betretne Schlünde,

Und taucht sich froh in's enge Reich der Nacht.

So ruft sie aus, und geht, halb muthig, halb mit Zittern,

Dem Strome nach, der gleich entfernten Ungewittern

Dumpfmurmelnd braust und lacht. Ein jeder leise Tritt

Scheint den benetzten Grund elektrisch zu erschüttern,

Und ringsum bebt die Fluth, die Wände beben mit.

Umhüllt von dicht gewebten Schatten,

Hört sie nur noch der Wogen dumpf Gebraus.

Doch plötzlich dehnet sich ein weiter Himmel aus,

An dem sich Nacht und Tag, in sich verfließend, gatten.

Ein Dunkel herrschet hier, kein Licht.

Der schauerlichen Dämmrung Schleyer

Durchglimmert ein bewegtes Feuer,[296]

Dem es an Glanz und Helligkeit gebricht.

Psycharion erbebt. So bist du denn im Lande,

Das Keinem je die Wiederkehr vergönnt,

Wo der Vernichtung Hand des Lebens schönste Bande

Zerreißt und Herz vom Herzen trennt;

Wo ohne Gram und ohne Klage

In langen Schlaf der müde Pilger sinkt,

Indeß mit nassem Blick am düstern Sarkophage

Um den entflohnen Freund der Freund die Hände ringt.

So bist du denn in diesen öden Weiten,

Wo Schatten nur die Dämmerung durchgleiten,

Die einzig Lebende! Gedanke voller Graus!

Hier schlägt kein Herz dir liebevoll entgegen,

Die bleichen Wesen fliehn auf nachtumhüllten Wegen,

Und keines hält den Blick des Lebens aus.

So denket sie, und unbegränztes Bangen

Ergreift die Zögernde. Doch schnell ermannt sie sich,

Sie schreitet fort. Schon rennen fürchterlich

Mit blassen, eingefallnen Wangen,

Die faltenreiche Stirn umzischt von gelben Schlangen,

Und das zerstörte Kleid mit schwarzem Blut befleckt,

Die Furien heran. Rings grinsen Ungeheuer,

Und Natternbrut, im Orkus ausgeheckt,

Versperret jeden Pfad. Bewehrt mit regem Feuer,

Streift dort Chimera her und, tief im Sumpf versteckt,

Zischt Lerna's Drache dort, von jedem Fuß gemieden.

Harpyen flattern hier, dort grause Stymphaliden,

Dort ruht das Ungethüm, das Perseus hingestreckt.

Doch seht, schon naht sie sich den Wogen

Des schwarzen Styr. Der graue Fährmann weilt

Am Strand, auf's Ruder hingebogen,

Bis sich der Nachen füllt. Mit leisen Schritten eilt[297]

Psycharion herzu und, jedem Blick verschleyert,

Betritt sie kühn das Schiff. Schon flieht das Land zurück,

Und langsam jetzt und schwer durchsteuert

Das morsche Boot die Fluth. Noch einen nassen Blick

Wirft Psyche wehmuthsvoll zum fliehnden Uferrande,

Und schauet stumm und starr dann auf die Fluth hinab.

Du siehst das Leben fliehn und eilest in dein Grab!

Raunt ihr die Furcht in's Ohr; doch schnell zum süßen Pfande,

Das Amor ihr geschenkt, blickt sie ermuntert hin,

Und Rosen blüh'n im düstern Schattenlande,

Und heitrer wird der tiefgebeugte Sinn.

Jetzt naht der Kahn des Orkus düsterm Strande,

Und leise, wie ein West um junge Blumen hüpft,

Die seinen Ruß kaum fühlen, schlüpft

Psycharion heraus. Mit grimmiger Gebehrde,

Das Schlangenhaar gesträubt, die Zähne scharf gewetzt,

Springt Cerberus hervor. Wild peitscht sein Schweif die Erde.

Die weiten Rachen sind mit schwarzem Blut benetzt.

Laut brüllt er auf. Beym schrecklichen Geheule

Erbebt der Grund, und lang' hallt Echo es zurück.

Psycharion erblaßt, sie wendet ihren Blick

Hinweg, und flieht in rascher Eile

Dem Ungethüm vorbey. Und sieh, aus Marmor hebt

Sich jetzt ein Dom hoch in die schwarzen Lüfte,

Von keiner Kunst geschmückt, von keinem Reiz belebt.

Einfach und groß, so wie Aegyptens Königsgrüfte,

Ragt er empor. Ein ew'ges Schweigen schwebt,

Die Flügel weit gespannt, um seine düstern Zinnen,

Und jeder Ton, der hier dem Mund entbebt,

Scheint lautlos und gedämpft zum Flüstern zu zerrinnen.

Zwey Sphynre sind dem Thor als Hüter zugesellt;

Sie ruhn bewegungslos; nur ihrer Augen Blitze[298]

Sind ihres Lebens Pfand. Den Busen bang geschwellt,

Naht Psyche jetzt des Hades ödem Sitze.

Sie tritt hinein, und auf erhabnem Thron

Sitzt hier an seiner Gattin Seite

Der Gott, den nie der Schmerz, nie süße Lust erfreute,

Saturnus ew'ger ernster Sohn.

Wild ist des Gottes Blick. Auf seinen Augenbraunen

Ruht sinnend düstre Majestät.

Die Schöne beugt die Knie und dreht

Den Ring vom Finger ab und Staunen

Ergreift des Gottes Herz. Wer bist du, ruft er aus,

(Und wie entfernter Donner tönet

Der Stimme Laut) die bis in Hades düstres Haus,

Zu dem noch niemals sich ein Sterblicher gesehnet,

Dich unsichtbar genaht? O Gott, Erhabner, spricht

Psycharion, nicht frevlendes Gelüste,

Nein, eine stärkre Macht und eine höh're Pflicht

Zwang mich herab zu des Kocytus Küste.

Drum zürne, Mächtiger, der armen Psyche nicht.

An deine Gattin hat Cythere mich gesendet.

O wenn dein Herz das süße Mitleid kennt,

So sprich ihr zu, daß sie zu reden mir vergönnt,

Daß sich ihr Blick nicht zornig von mir wendet,

Von mir, die Glück und Leben von ihr fleht!

So ruft sie zitternd aus, und geht

Gebeugt hinzu, und wirft sich nieder,

Küßt demuthsvoll des Herrschers hohen Thron,

Hebt schmachtend dann die holden Augen wieder,

Und flüstert, flehnden Blicks, mit sanftgedämpftem Ton:


Persephone, vom Schicksal herbeschieden,

Erschein' ich scheu vor dir mit demuthsvollem Blick.[299]

In deiner Hand ruht meines Herzens Frieden,

Ruht mein Verderben und mein Glück.

Nicht wagt' ich es, vor deinen Thron zu treten,

Wenn höh're Macht mich nicht zum Orkus hergeschickt.

Darum erhöre mich! Mit schüchternen Gebeten

Liegt Amors Braut vor dir im Staube hergebückt.

Ach einst erblickt' ich schönre, beßre Tage,

Mit Rosen kränzte sie der Liebe Zauberhand;

Doch jetzt verdammt zum Gram, verdammt zu ew'ger Klage,

Such' ich nach Trost im düstern Schattenland.

Du kannst ihn mir verleihn! O rette, Göttin, wehre

Dem wilden Gram, der nie in meinem Busen schweigt.

Zwar Großes ist's, was ich von dir begehre,

Doch milden Herzen wird das größte Opfer leicht.

Von deinen Reizen wünscht Cythere

Ein Theilchen sich; wenn sie den Wunsch erreicht,

Dann ruh' ich froh, umfaßt vom Arm des holden Gatten.

Allein gewährst du mir die bange Bitte nicht,

Dann kehr' ich nimmer heim, im Reich der düstern Schatten

Bleib' ich zurück, auf ewig fern vom Licht.

O hast du je der Liebe Glück empfunden,

Hat je ihr süßer Hauch im Busen dir geweht,

Sind jemals dir die rosenfarb'nen Stunden

Schnell wie ein Morgentraum im süßen Rausch entschwunden,

So horche mild auf mein Gebet.

Und hast du je die Qual der Trennung fühlen müssen,

Hast du umsonst nach Rettung je gespäht,

Sind jemals unter süßen Küssen

Der Gatte, der Geliebte, dir entrissen,

So horche mild auf mein Gebet.

Bey Luna's gold'ner Flur, bey deiner Mutter Schmerzen,

Bey den Gespielen, die das Haar dir einst bekränzt,[300]

Bey deinem Thron, bey deines Gatten Herzen,

Bey jenem Strome, der dein düstres Reich begränzt,

Beschwör' ich dich, erfülle mild mein Flehen!

Laß mich nicht rettungslos von deinen Füßen gehen!


So spricht Psycharion, und schaut empor, und schweigt.

Die Göttin fühlt ihr Herz von Mitleid sanft erschüttert,

Und selbst die harte Brust des Gatten wird erweicht.

O Wunder, eine Thräne zittert

In seinem Aug', und huldvoll neigt

Den Scepter er herab. Die hehre Göttin reicht

Bedauernd ihre Hand der Armen

Und spricht: Ermuntre dich, des Schicksals Zorn entweicht.

Den sinstern Hades selbst ergreift Erbarmen,

Drum sey auch mir Cytherens Bitte leicht.

So ruft sie tröstend aus und steigt

Vom Thron herab und füllet eine Flasche

Mit ihrem Reiz und giebt sie Psychen hin.

Geh, sag' deine Herrscherin,

Wenn sie ihr Angesicht mit diesem Balsam wasche,

Dann sey sie doppelt schön. Doch, daß dein kühner Sinn

Von diesem Zaubertrank nicht selbst zu kosten suche!

Denn schnell, wenn deine Hand das heil'ge Siegel bricht,

Stirbst du dahin, erreicht von Proserpinens Fluche;

Schaust nie den Gatten dann, und nie das süße Licht.


So wie dem Schiffer ist, dem wilder Stürme Wehen

Den Kahn zerschmetterte, und der ein Brett erreicht,

Auf dem er hofft dem Tode zu entgehen;

Schon kann sein Blick das ferne Ufer sehen,

Schon naht er sich, doch plötzlich steigt

Ein Wogenberg empor; er kömmt mit Pfeilesschnelle;[301]

Schon sieht der Zagende sich an des Todes Schwelle;

Verzweifelnd läßt er schon das Brett, das er umspannt;

Jetzt naht sie sich, sie packt ihn wild, die Welle;

Hoch hebt sie ihn empor und schleudert ihn an's – Land;

So war der Holden jetzt. Vergessen und vergeben

Ist alle Schuld. Im lichten Morgenglanz

Sieht sie die Zukunft jetzt vor ihren Blicken schweben.

Sie fühlt in ihrer Brust ein ätherreines Leben,

Und reizend winkt der Liebe Myrtenkranz.

Sie fühlt ihr Herz von Wehmuth überfließen,

Küßt sprachlos und gerührt Persephonens Gewand,

Wirft demuthsvoll dem Herrscher sich zu Füßen,

Und schnell enteilet sie dem düstern Schattenland.

Doch wer beschreibt der Seligen Entzücken,

Als ihr zuerst das Licht der Sonne wieder strahlt!

Sie irrt umher mit trunknen Blicken,

Und alles scheint ihr neu. Mit reinerm Purpur malt

Die Rose sich, gelinder wehn die Weste,

Mit frischerm Laub kränzt sich der grüne Hain,

Ein weichrer Teppich scheint die Quellen zu umziehn,

Und ringsum die Natur, wie aufgeschmückt zum Feste,

In schönrer Lebenskraft zu blühn.

Sie lagert sich in dunkle Schatten,

Und athmet tief mit süßer Lust

Der Lüfte milden Hauch in ihre warme Brust.

Sie denkt an's Wiedersehn, denkt an den holden Gatten.

Allein ein Zweifel zuckt ihr plötzlich durch den Sinn.

Wird Amor immer auch mir seine Liebe schenken,

Mir, die ich nur ein Erden-Mädchen bin?

Ach könnt' er noch einmal durch seine Flucht mich kränken,

Ich trüg' es nicht; dem Tode sänk' ich hin.

Wie schwach ist doch mein Reiz, mit jenem Reiz verglichen,[302]

Der eine Ewigkeit aus Götterwangen blüht!

Bald ist das Braun des weichen Haars verblichen,

Bald hat dies Auge ausgeglüht;

Doch jene strahlen fort in immer frischem Glanze,

Umwunden von der ew'gen Jugend Kranze,

Ist keine, die den Schnee des fernen Alters sieht.

Doch wie? hab' ich den Balsam nicht in Händen,

Der ewig jung und ewig reizend schafft?

Ein Tröpfchen nur braucht' ich der Flasche zu entwenden,

Nie würd' ich alt und nie vom Tode hingerafft.

Doch hat Persephone es mir nicht streng verboten?

Droht mir ihr Fluch beym Ungehorsam nicht?

Ach, jene herrscht im fernen Reich der Todten.

Wer sieht's, wenn meine Hand das schwache Siegel bricht?

So schwankt sie zwischen Lieb' und Pflicht.

Doch ach! in solchem Kampf, wann siegt die Liebe nicht?

Sie zweifelt, bebt; doch schnell, mit festem Willen,

Bricht frevelnd sie das Siegel jetzt.

Ach schon bereut sie es, daß sie es kühn verletzt;

Die Flasche raucht, und schwarze Düfte füllen

Die reine Luft ringsum, sie hüllen

In gift'gen Dampf die arme Frevlerin;

Und ach! so nah dem schwererkämpften Ziele,

Sinkt Psyche, halb erstickt, im ängstenden Gefühle;

Bewußtlos auf den Boden hin.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820.
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