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[224] Es regt in wechselnden Gestalten
Sich rasch des Lebens buntes Bild,
Und andre Farben sehn wir walten,
Je mehr der Faden sich enthüllt.
Die Jungfrau hofft auf schön're Lenze,
Aufstrebend lenkt der Mann sein Glück,
Und auf die einst errungnen Kränze
Blickt ruhig ernst der Greis zurück.
Doch Hoffnung, Kraft und Ruhe weben
Des Ganzen traulichen Verein,
Und nimmer kann das volle Leben
Im Schooß des Einzelnen gedeihn.
Darum soll liebend sich begrüßen,
Was fern der Flug der Zeiten schied,
Und Lust gewähren, Lust genießen
Mit friedlich freundlichem Gemüth.
So hieß des Menschen erste Weihe,
Als er die fremde Bahn betrat:
Sey weis' und glücklich und verzeihe
Und duld' und liebe was dir naht.
Drum weiche fern aus unserm Kreise,
Wer trotzig nur sein eignes Bild
Vergöttert und mit ew'gem Eise
Dem Mitgefühl die Brust verhüllt.
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Denn menschlich soll der Mensch empfinden,
Nicht einsam gehn auf eigner Bahn,
Soll suchen, was er lieb', und finden,
Und bittend sich und helfend nahn.
Wohl ist mit mannigfalt'gem Glanze
Des Lenzes bunter Pfad verklärt:
Doch in der Liebe großem Kranze
Hat jede Blume gleichen Werth.
Und wenn auch einst die hellen Stunden
Des Schmerzes düstre Wolke trübt,
Wenn unsre Hoffnung hingeschwunden
Und still verwelkt, was wir geliebt,
Dann soll den letzten Trost der Thränen
Nicht stolz und kalt das Herz verschmähn,
Und schöner im Erinnrungssehnen
Das holde Bild uns auferstehn.
Ja, heiter ist schon hier das Leben,
Und eine heitre Zukunft naht;
Wir blühn in froher Kraft und streben,
Des schönern Lenzes heil'ge Saat;
Ob früher eine Blüthe falle,
Darf nicht des Menschen Sorge seyn;
Einst schließt ein schönes Land uns Alle
In seine reinen Wonnen ein.