Die Erscheinung in den Ruinen

[180] Zur Erinnerung an ein ländliches Fest.


Durch der öden Burg bemooste Trümmer

Wandelte der Geist mit bleichem Schimmer,

In der Vorzeit eisernem Gewand;

Nur der Dichter sah den Schatten schweben,

Er nur war's, der seiner Lippen Beben,

Seiner Worte leisen Hauch verstand.


Modre nur, so rief er, kühne Feste,

Sinkt, der alten Hoheit stolze Reste,

Süße Heimath, werde jetzt zu Staub;

Gründen wollt' ich dich für Ewigkeiten,

Doch kein Gott kann mit dem Schicksal streiten;

Endlos heischt Vernichtung ihren Raub.


Blumen sterben, andre Blumen keimen;

Ewig wechseln auf der Erde Räumen

Freud' und Schmerz und Tod und Leben ab.

Morgen wird das Schlachtfeld wieder grünen,

Blüthen winden bald sich um Ruinen,

Und zum Thron der Freude wird ein Grab.


Dort, wo jetzt der West euch Kühlung fächelt,

Haben Todesseufzer oft geröchelt,

Manches Herz verzagte, wo ihr lacht;

Eure Spur wird auch kein Sturm verschonen,

Schlangen werden, wo ihr scherztet, wohnen,

Und dem Tage folgt die düstre Nacht.
[181]

Schwebend zwischen diamantnen Säulen

Rollt das Rad des Schicksals ohne Weilen

Dieser steigt empor, der Andre sinkt.

Jene, die es hebt, die es vernichtet,

Hat ein ewiges Gesetz gerichtet,

Dessen Flor kein Geisterblick durchdringt.


Willst du dem Geschick in's Auge blicken?

Wagst du kühn die Decke fortzurücken,

Die der Zukunft schwarzen Schlund umwebt?

Ha, du traust betrügerischen Göttern!

Nimm, dein eigner Wunsch soll dich zerschmettern,

Nimm es hin, wonach dein Wahn gestrebt.


Nun, was siehst du? Grausenvoll verbreiten

Dunkle Wüsten sich durch öde Weiten,

Bleich entflieht der Hoffnung Sternenschein;

Dornen lauschen unter duft'gen Rosen,

Pest verhaucht der Weste zartes Kosen,

Und in Gift verwandelt sich der Wein.


Winken dir auch manche holde Stunden,

Sie veralten, eh du sie gefunden,

Und Gewißheit läßt sie schnell verblühn;

Leise muß die Freude dich beschleichen,

Flüchtig dir den Mund zum Kusse reichen,

Gleich dem Blitz erscheinen, nahn und fliehn.


Willst du kühn des Schicksals Trotz besiegen,

Mußt' du an die Gegenwart dich schmiegen,

Wie an seiner Mutter Brust das Kind,

Mußt die Freud' an ihren Schwingen haschen,

Bienen gleich, von jeder Blume naschen,

Jede fliehn, noch eh' ihr Duft verrinnt.
[182]

Nie mußt du zum Jetzt die Zukunft schaffen;

Sorgen sind der Schwermuth gift'ge Waffen,

Die des Frohsinns holden Festen drohn;

Sprich, was frommt es zitternd zu verzagen?

Zürnt das Schicksal einst, du mußt es tragen,

Fürchtest du, so trägst du jetzt es schon.


Furcht und Hoffnung heißen die Dämonen,

Welche stolz in deinem Busen thronen,

Ohne Ruh und ohne Thätigkeit,

Die zum wilden Sturm das Herz empören,

Großes schaffen, Größeres zerstören,

Gleiches wirkend, aber stets entzweit.


Stark mußt du die Mächtigen bekämpfen,

Mußt der Furcht verborgne Hyder dämpfen

Und die Hoffnung wandeln zum Genuß.

Friedlich soll sie deinen Pfad umschweben,

Blüthen nur in deine Tage weben,

Deines Lebens holder Genius.


Freiheit muß mit Zartsinn sich vereinen,

Tugend dir als Grazie erscheinen,

Als ein tröstend Wesen das Gefühl;

Liebe sey, gleich milden Frühlingsdüften,

Süß erfrischend ohne zu vergiften,

Und Genuß des Lebens schönstes Ziel.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 180-183.
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