Romanze

[153] Dort wo die klaren Quellen rinnen,

Seht ihr das Hüttchen dort wohl stehn?

Dort wohnt von allen Schäferinnen

Die Schönste, die ich je gesehn.

Und böte man mir Gold und Kronen,

So dächt' ich doch in meinem Sinn:

Im Hüttchen möcht' ich lieber wohnen

Und bei der schönen Schäferin.


Dort durch die dichten Blüthenbäume

Kannst du ihr Fensterlein erspähn,

Und wenn ich wache, wenn ich träume,

Das Fenster muß ich immer sehn;

Denn durch die grünumrankten Scheiben

Schaut sie mich gar zu freundlich an,

So freundlich, daß ich's nicht beschreiben

Und daß ich's kaum ertragen kann.


Treibt sie im frühen Morgenschimmer

Die zarten Lämmchen in den Hain,

Dann sagt mein armes Herz mir immer:

Ach, möchtest du ihr Schäfer seyn!

Und heimlich nehm' ich meine Flöte

Und schleich' um ihre Triften her,

Und wenn man mir den Himmel böte,

Zu Hause kehrt' ich nimmermehr.
[154]

Und wenn die goldnen Sterne blinken,

Und jeder Laut im Haine ruht,

Dann läßt sie ihren Schleier sinken,

Und taucht sich in die klare Fluth.

Wie gern würd' ich sie dann belauschen:

Doch wag' ich's nicht hinzuzugehn,

Denn ach, es könnt ein Blättchen rauschen,

Und nie dürft' ich sie wiedersehn.


Auch wenn des Nachts die Elfen weben,

Schlich' ich mich gern zum Fensterlein,

Und flüsterte: Mach auf, mein Leben,

Und laß in's Hüttchen mich hinein.

Doch möchte sie mich kommen hören;

Mein leises Klopfen an der Thür

Es könnte sie im Schlummer stören,

Drum bleib' ich lieber einsam hier.


Oft wollt' es mir im Traume scheinen,

Als wandelten wir Hand in Hand,

Und immer mußt' ich herzlich weinen,

Wenn ich beim Wachen sie nicht fand.

Dürft' ich mein Leiden ihr nur klagen,

Gewiß, sie sagte mir alsdann,

Warum mein Herz für sie nur schlagen,

Mein Geist an sie nur denken kann.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 153-155.
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