Klagelied eines deutschen Dichters

[74] Wohl euch, so lang ihr etwas werdet,

Und eure junge Kraft erprobt:

Man rühmt euch, wie ihr euch geberdet,

Man findet's löblich, wenn ihr tobt.


Doch weh, wenn etwas ihr geworden,

Wenn ausgegoren eure Kraft;

Wenn in der echten Sänger Orden

Mit Ruh' und Tiefe nun ihr schafft.


O wie alsdann man euer Dichten

Mit einem andern Stabe mißt,

Dann will euch jeder Knabe richten,

Der immer wird und niemals ist.


Dann seid ihr, wie der Sklav' in Ketten:

Er thue recht – wen kümmert das?

Doch nichts kann vor dem Grimm ihn retten,

Wenn er nur Einmal sich vergaß.


So – schafft ihr Großes, schafft ihr Echtes?

Das ist ja nur verdammte Pflicht!

Doch machet Einmal nur nicht Rechtes:

Das duldet, das verzeiht man nicht.


Drum seufzt, wer Stümper ist gewesen,

Und nicht mehr ist: o wär' ich's noch!

Dann würde mich mein Deutschland lesen,

Und die Kritik, sie riefe: Hoch!

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 74.
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