1. Zu Goethe's Tasso

[120] 1832.


Du schufest uns in Worten eine Welt,

Wer preist mit Worten würdig dich, o Held?

Was wir durch dich empfunden und geschaut,

Macht sich in eitler Schilderung nicht laut.

Drum kurze Rede ziemt an diesem Ort,

Denn ihn verklären soll dein eigen Wort.[120]

Du ließest hier des Lebens tiefste Spur,

Verkündiger der Kunst und der Natur.

Hier, auf den Brettern, wo in Spiel und Schein

Die Täuschung ew'ge Wahrheit gräbt hinein,

Hier lebt unsterblich-frisch dein Dichtergeist,

Und zeigt, was Schöpferkraft auf Erden heißt.


Die Bühne, deren Huld'gung du empfängst,

Auch sie ward deiner Musen Stätte längst:

Mit Scheu und bangem Fleiß versuchten wir

Uns schon an deiner höchsten Werke Zier,

Selbst jenes Riesenbild der innern Welt

Wir haben's zagend – dennoch dargestellt.

Und heute, wo des Dichters Schmerzenskrampf,

Der Streit mit seinem weichen Selbst, der Kampf

Mit jenem Weltgeist, musenlos und kalt,

In uns auf's neu' gewinnen soll Gestalt:

O möchte heut in Rede, Haltung, Blick

Rein spiegeln sich das tragische Geschick,

Daß du, der es geschöpft aus tiefer Brust,

Es schau'n und hören könntest recht mit Lust!


Es war nicht dein Geschickt; dir mischt' ein Gott

In deinen Becher nicht der Erde Spott.

Ein Dichterleben, das von Wonne trof,

Du schlürftest es an eines Freundes Hof,

Und was du sangst, beglänzte nah und fern

Aus tausend Augen heller Liebe Stern.

Ein Baum, erwachsen in der Jahre Ruh',

In langem Friedenstraume grüntest du;

Dein moos'ger Stamm, von Blüten überdeckt,

Liegt, erst aus morscher Wurzel hingestreckt.

Jetzt aber rollt der Donner über'm Hain,

Es pfeift der Nord, es zuckt der Blitze Schein,

Dein Bild umhüllt nicht bloß des Weihrauchs Dampf,

Auch wolk'ger Staub vom schwülen Erdenkampf.


Doch Wetter ziehn vorüber, und ihr Staub

Verweht, und Kunst wird keiner Zeiten Raub.[121]

Wenn deines Freunds Gesang, den unser Land

In deinen Arm und in die Welt gesandt,

Mit heil'gen Lauten schmetternd in den Krieg

Der Meinung donnert, zu des Guten Sieg:

Singt deine Friedensmuse Leid und Lust,

Was dauernd keimt in jeder Menschenbrust.

Auch Hellas' größte Dichter sangen so

Und galten, wo man traurig war und froh;

Das Lied Homers klang selbst im Bürgerzwist

Aus beiden Lagern und zu jeder Frist.

Noch bleibt uns in des Lebens Drang und Ruf


Raum für das Schöne, das ein Seher schuf.

Sei heilig uns dein Lorbeer, den schon lang

Der Väter Zeit um's braune Haar dir schlang,

Und welchen Enkel noch in grünem Saft

Geschaut auf reicher Silberlocken Kraft.

Doch Enkelsenkel werden wieder braun

Dein Lockenhaupt in voller Jugend schau'n;

Denn ihnen formen deine Züge sich

Aus ewig frischen Werken jugendlich;

Dein Sängergeist lebt, in Verbrüderung

Mit seinem Volke, das nicht altert, jung.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 120-122.
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