2. Zu Schiffers Braut von Messina

[122] 1833.


Geduldet wird der Sänger müßig Volk noch stets,

Und noch nicht ganz in dieser sorgenvollen Welt

Verpönt und ausgestoßen ist Sorglosigkeit.

Wer schwer am Reisebündel durch den grünen Wald

Im Schweiße trägt, wer seiner Güter volle Fracht

Zwölfspännig in der Bäume Schatten fortbewegt,

Wer mit dem Wagen fliegend kaum die Zweige streift,

Der Städte Strudel seine Sinne zugekehrt: –

Sie alle lauschen, wenn aus luft'gem Blätterdach

Die Amsel schlägt, wenn schmetternd sich die Lerche hebt.

So wird der Dichter buntes Lied wohl auch behorcht,

Und was man selbst sich nicht mehr Zeit zu fühlen nimmt,

Die erdvergeßne Stimme der Gemütlichkeit,
[122]

Man hört sie jezuweilen gern aus Andrer Mund.

Begnüge nur der Sänger, wie der Vogel, sich

Mit diesem flücht'gen Beifall für sein flüchtig Lied,

Verlange nicht, daß über seinem Sang und Klang

Ihr Tagewerk vergesse die geschäft'ge Zeit,

Und schelte nicht den kurzen Dank Undankbarkeit.

Undankbar ist die Welt nicht, wenn es Großes gilt;

Zwar kommt der Dank für Herrliches wohl spät genug

Und über'm Grabe blühet er den Besten oft.

Nur große Dichter leiden kein so bittres Loos,

Ihr mächtig Wort durchschüttert schnell die Gegenwart

Und tönt in alle Zukunft unverhallt hinaus.

Wie bald war in dem Hohen, dessen Wiege stolz

Das Vaterland dem Fremden zeigt, die Wunderkraft

Erkannt, wie bald vernommen sein gewaltig Lied,

Wie bald verklungen jedes schwäch're neben ihm!


Nicht nur dem Sänger lauschte willig jedes Ohr,

Nein, vor dem Seher beugte tief sich jedes Haupt,

Und an dem Götterboten sah man scheu empor,

Der Niegeahntes, Unenthülltes kündete.

Er kam emporgestiegen aus dem dunkeln Schacht

Des stillen Abgrunds, welcher Menschenseele heißt,

Durchwandert hatt' er die verborgnen Tiefen all,

Der Leidenschaften unbekannte Mütter dort,

Die Urgefühle, durchgeforscht, die schlummernden;

Und was vertragen hätte kein gemeiner Blick,

Ward ihm in seiner Dichterfackel Schein verklärt,

Und das Verklärte führt' er in den Tempel ein,

In dem die Musen solchen Priesters harreten.

Da rang des Erdenlebens innerster Gehalt

Empor in mächtig kämpfender Gestaltung sich;

Der Schönheit und der Wahrheit Opfer flammte hoch

Gen Himmel auf, zur Wonne der Unsterblichen.

Und auch der Menschen Auge that sich staunend auf,

Begreifen lehrte seine Kunst das Wesen sie.


Ein solch Geheimniß, das er aufgeschlossen hat,

Soll heute, wo beseelend seine Dichtermacht

In Leben wandeln seines Tods Gedächtnis wird,[123]

Entfalten unser Streben, stark durch seinen Geist.

In jener Dichtung riesenmäßig dehnendem

Hohlspiegel sammelt wachsend Haß und Liebe sich;

Und wirft verstärkt ein übermenschlich Bild heraus.

Doch mangelt reines Ebenmaaß der Größe nie,

Nicht schweift die Gier in wilde Mißbewegung aus,

Nicht mit verzerrter Miene Grinsen spricht der Zorn,

Schön bleibt ein weinend, ein verzweifelnd Angesicht.

Und so entläßt euch selber das Entsetzliche,

Das euch, gemeinverwirklicht, als Gorgonenhaupt

Entgegen starren würde, durch des Dichters Kunst

Befriedet, mit dem Jammerschicksal selbst versöhnt.

Dann, wenn euch seiner Chöre welt-erklärend Wort

Nach Haus entläßt mit langem Seelenwiederhall,

Nicht götterlos in's Leben tretet ihr hinaus,

Ihr glaubet wieder an der Dichtung Wesenheit,

Und ernster geht ihr weltlichem Berufe nach,

Denn euch im Geiste keimet Ueberweltliches.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 122-124.
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