3. Zu Lessings Nathan

[124] 1833.


Wo ist die Werkstatt, drin die sichre Waffe,

Das Wort, zum Pfeil, zum Schwert, zum Helm und Schild

Geschaffen wird? Nicht wenig liegt daran,

Zu Schutz und Trutz es tüchtig zu besitzen,

Zum Angriff scharf, doch ehrlich, giftig nicht,

Zum Schirme fest und sicher, doch nicht plump.

Es recht zu schmieden, ist die große Kunst,

Ist unsrer Zeit fast einziges Bestreben,

Denn nicht mehr auf des Degens Spitze nur,

Auch auf der Lippen Schneide ruht die Welt.


Der Heros, der in kühnem Redestreit

Mit neu erfundnen Künsten angeführt

Das kämpfende Jahrhundert, dem das unsre,

Ein unruhvolles Kind, entsprossen ist,

Der große Lessing, an dem Ambos stand

Des Wortes er, ein deutscher Waffenschmied.[124]

Manch blankes Wurfgeschoß fliegt glänzend jetzt

Herüber und hinüber durch die Luft,

Das Er geschmiedet, das vom alten Rost

Er einst gesäubert, Niemand weiß es mehr.

Doch wie Apoll, der Fernhintreffende,

Nicht stets den Bogen spannt und manchesmal

Der Muse Schlummer mit den Saiten weckt:

So hat auch Er das Wort zum Waffendienst

Nicht stets gebraucht, es ward auch ihm zum Liede,

Es ward zum weltgestaltenden Gedicht.

Zwar hielt er selbst sich, der Bescheidene,

Für keinen Schöpfer, keine Dichterkraft:

»Nicht fühl' ich in mir die lebend'ge Quelle,«

Sprach er, »die aufwärts dringt mit eignem Trieb,

Und in so reichen, frischen, reinen Stralen

Aufschießt an's Licht; durch Druckwerk nur und Rohr

Preßt sich's bei mir herauf.« So sprach der Mann,

Und sandt' aus seinem Geist der Dichtung Quell,

Der sprudelnd heut, nach sechzig Jahren, quillt.

Wir fragen nicht: Ist es ein Wasserfall,

Der in die tiefe Heimat niedereilt,

Ist es ein Springquell, den die Absicht schuf?

Uns ist's Natur. Und wär es Gartenkunst:

Zur schönen Wildniß ward für uns die Kunst;

Ein heil'ger Hain ist seine Poesie,

Aus dem des deutschen Geistes Welle rauscht.


Auch dieser Nathan ist noch immer frisch,

Ist Leben, wie's die rechte Dichtung ist.

Sein Gleichniß von den Ringen funkelt noch

Rubinenhell, erfreut, erbittert noch,

Zum Sinnen und zum Zweifel weckt es noch.


Doch warum davon sprechen, wenn sein Wort,

Sein eigenes, nur harrt, von unsern Lippen,

Ein theueres Vermächtniß, auszugehn?

Gewährt ihm Stille, diesem ernsten Wort;

Bewegt's in eurem Geist, und ängstet's euch,

So ruft empor, was ihr in eigner Brust

Von Ueberzeugung und von Glauben hegt.[125]

Kein Wort ist furchtbar, wenn den Hörer es

Mit innrem Gegenwort gerüstet findet.

Drum, Freund und Widersacher, horchet auf!

Nur Segen bringen kann ein Dichterwort!

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 124-126.
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