Der Todesklang

[169] Es steht an Finnlands Gränzen

Ein festes Schloß erbaut,

Das in des Mondes Glänzen

Weit über die Lande schaut.


Zu Füßen ihm in Eile

Schießt bodenlos ein Fluß,

Man hört auf eine Meile

Fernher den rauschenden Gruß.


Dort ist seit alten Tagen

Oft schon in stiller Nacht

Ein Klingen, ein süßes Klagen

Hellmahnend aufgewacht.


Wem gilt es wieder heute?

Es ist ein mächtiger Troß,

Der Hauptmann und seine Leute,

Gekommen als Wach' auf's Schloß.
[169]

Der Hauptmann in dem Saale

Liegt schon im halben Schlaf,

Geküßt vom Mondenstrale

Ein schöner, schwedischer Graf.


»Wer drunten musiciret,

Und spielt so schöne Stück'?

Wer mir zu Ehren rühret

So holde Feldmusik?«


Die Tön' ach! die dich laden,

Spielt einer, den du nicht kennst:

Ich seh's wohl tauchen und baden

Im Flusse das Gespenst.


»Es tragen mich die Laute

Auf Flügeln in's Schwedenland,

Dort sitzt die Liebe, die Traute,

Was stützt sie sich auf die Hand?«


Sie möchte wohl sitzen in Thränen,

War' ihr dein Loos bekannt!

Du fliegest auf diesen Tönen

In ein gar ander Land!


Im Schlafe schon spricht der Knabe;

»Nun, glaub' ich, schlummr' ich ein!

Mir träumt', ich läg' im Grabe,

Ich zög' in Himmel ein!«


Ach Träumen ist es nimmer,

Du junger Schwedengraf!

Dein Haupt im Mondenschimmer

Neigt sich zum ewigen Schlaf.


Der Geist taucht unter in Schweigen,

Er hat sein Werk vollbracht;

Die Wellen fallen und steigen,

Der Fluß rauscht durch die Nacht.

Fußnoten

1 Schon um der leichtern Uebersicht willen wurde die Ordnung dieser Abtheilung in fünf Gruppen, wie solche die erste Auflage gab, wieder hergestellt, Neueres aus den spätern Auflagen am gehörigen Ort eingereiht. Neuaufgenommen (an Stelle einer Ballade, die Niemand vermissen wird) haben wir: »Die versunkene Burg« (an Heinrich Heine) aus dem 3. Bde. des Werkes: Die Schweiz in ihren Ritterburgen und Bergschlössern, 3 Bde. Chur 1828-39, bei dessen Herausgabe Schwab mitwirkte.

D.H.


Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 169-170.
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