Der neue Staufenritter

[321] Wer wandert nach dem Hohenstaufen

Durch den verstörten Tannenwald?

Die Stürme wehn, die Bäume traufen,

Der Regen spinnt sich trüb und kalt.

Das ist kein Wetter mehr zum Reisen!

Dort winkt ein gastlich helles Dach;

Er läßt sich nicht in's Trockne weisen,

Es ruft der Wirt umsonst ihm nach.


Das eben sei das rechte Wetter,

Meint er, zur alten Burg zu gehn;

Wie ruft des Donners dumpf Geschmetter,

Wie muß sie schön im Blitze stehn!

Die Klänge sind es, die nicht altern,

Die Lichter, die nicht ausgebrannt,

Und seit den ernsten Mittelaltern

Ist droben wohl ihr Spiel bekannt.


Jetzt ist er ganz hinauf geklommen,

Er stellt sich auf die Trümmer hin,

Er hat ihn wahrlich mitgenommen

Zur rechten Statt den rechten Sinn.

Mit seinem ernsten Angesichte,

Mit seinem sturmdurchwehten Kleid

Steht er in dem Gewitterlichte

Fast wie ein Geist aus jener Zeit.


Und wie ein Lied aus jenen Tagen

Erhebt er seinen stolzen Sang,

Der ringt sich über Leid und Klagen

Hinauf zum hellen Freudeklang;

Er hat von seiner Burg gesprochen,

Wie sie der bittre Feind zerstört;

Er ruft mit Lust: sie ist zerbrochen,

Weil diese bessre mir gehört.


Dann hat er weiter noch gesungen

Von seiner ungetreuen Braut;

Da hätte bald sein Lied geklungen,

Wie ein bewegter Seufzerlaut.[322]

Doch herrlich über alle Schmerzen

Empor das hohe Lied sich reißt,

Er singt von Ihr aus festem Herzen

Als einem abgeschiednen Geist.


»Ist gleich mein Haus zerbrochen immer,

Zerbrochen auch mein edles Herz,

So ragen doch die hohen Trümmer

Mit Lust und stolz noch himmelwärts:

Und hieher hab' ich mich geflüchtet,

Verstoßen aus der neuen Welt:

Wer je gekämpft, geliebt, gedichtet,

Für den ist Wohnung hier bestellt.


Nun denn, ihr alten Heldengeister,

So schämt euch des Genossen nicht!

Ihr weitgepriesnen Sangesmeister,

Nehmt freundlich mich in Lehr' und Pflicht!

O kommt hervor, ihr treuen Frauen,

Mit hoher Minne Leid vertraut,

Laßt mich in euer Antlitz schauen,

Und tröstet mich für meine Braut!«


Der Ritter hat schon lang geschwiegen,

Der Donner rollt noch immer fort;

Man sieht ihn oft im Blitze liegen,

Ganz sanft und selig liegt er dort,

Geschloßnen Auges, blasser Wangen;

Ist's Schlaf, ist's Tod, ich weiß es kaum;

Doch sicher träumt er ohne Bangen

Von Staufen einen lichten Traum!

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 321-323.
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