7. Wer der Appenzeller Feldhauptmann ward

[425] Draußen tagt die Landsgemeine

Wieder in dem Wiesenthal,

Denn es sammeln sich am Rheine

Stolze Ritter ohne Zahl.

Kämpfen sollen sie schon morgen,

Arm und Waffen sind bereit,

Eins nur fragen sie mit Sorgen:

Wer soll Führer sein im Streit?


Eh' sie den gefunden haben,

Sehn die Rotten durch das Feld

Einen schlanken Reiter traben,

Rüstig wie ein Kriegesheld.

Den schmückt herrliches Geschmeide!

Männer, hört! das ist kein Hirt,

Der in seinem Herrenkleide

Sich in unsern Rat verirrt.


Ei! das ließ Herr Anderhalde

Doch nicht träumen sich im Schlaf!

Drüben aus der Burg am Walde

Ist's der Werdenberger Graf;

Hält und steigt von seinem Pferde,

Naht den Hirten ohne Trutz,

An der armen Bauern Heerde

Sucht der edle Ritter Schutz.
[425]

Und er sprach: »Mir kam zu Ohren,

Daß euch Oesterreich bekriegt,

Bin ich euch zu hochgeboren,

Nachbarn, daß ihr mir's verschwiegt?

Wisset nur, ich bin vertrieben,

Bin ein arm und einsam Haupt!

Was vom Erbe mir geblieben,

Hat der Herzog mir geraubt!


Ihr seid frei und reich zu nennen,

Ich bin ärmer als ein Knecht,

Eure Namen wird man kennen,

Ausgeblüht hat mein Geschlecht.

Stolze Herren mögt ihr hassen,

Ich bin nicht des Hasses wert,

Nichts hat mir der Feind gelassen,

Als mein Herz und als mein Schwert.


Kann ein Ritterschwert euch frommen

Und ein Herz von Zorn entbrannt,

Nun so heißt auch mich willkommen,

Laßt mich schirmen euer Land.

Wenn der Streit ist ausgestritten,

Gönnt mir eures Thales Rast,

Nehmt mich auf in eure Hütten,

Pfropft mich auf den wilden Ast!«


Spricht's und löst die goldne Scheide

Seines Schwertes aus dem Gurt,

Reißt den Wappenschild vom Kleide,

Vor dem Volk, das freudig murrt.

Pflückt den Federschmuck des Hutes,

Leget ab, was stolz und fremd,

Fodert sich getrosten Mutes

Ein gemeines Hirtenhemd.


Und der Männer Wohlgefallen

Bricht mit lautem Jubel aus,

Der in langen Widerhallen

Rollt bis an der Felsen Haus.[426]

Und dem neuen Bundsgenossen

Rufet die Gemeine zu:

»Edler Herr, es ist beschlossen,

Unser Feldhauptmann bist du.«


Rudolph, zu dem Hirtenkleide,

Legt er schlichte Rüstung an,

Führt sein Volk, dem Feind zum Leide,

Weislich auf der Kriegesbahn;

Vor den kühnen Scharen reitet

Er auf adeligem Roß,

Und dem Traume folgend schreitet

Rasch das Heer empor zum Stoß.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 425-427.
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