8. Die Schlacht am Stoß

[427] An den Gräbern zu Sankt Gallen

Hat er lang sein Schwert gewetzt;

Mutig durch die dichte Waldung

Dringt empor der Adel jetzt,

Haut den Weg sich mit der Axt,

Bäum' und Feinde wirft er nieder,

Von den lauten Schlägen hallt

Dumpf des Rheinthals Kessel wieder.


Weh! der Hirten Vorhut weichet,

Uli Rotach führt sie an,

Ist zu eilig vorgedrungen

Auf gewohnter Siegesbahn.

Und sein Haufen wankt erdrückt

Von dem eisernen Gewichte,

Dreißig stürzen rechts und links,

Vor des Führers Angesichte.


Von den Seinigen verlassen

(Viele starben, wenig flohn),

Siehet sich umringt der Uli

Und zwölf Ritter ihn bedrohn.

Eines Sennen Hütte steht

Einsam an des Waldes Saume,

Bietet seinem Rücken Schutz,

Und so ficht er als im Traume:
[427]

Denn von seiner grimmen Gegner

Hochgehobnem, rundem Schild

Gähnt ihn an mit offnem Rachen

Mannichfaches, grauses Wild;

Der von Ramswag hält ihm vor

Ein entsetzlich Paar von Löwen,

Ein gehörntes Flügelthier

Dräut im Schilde des von Höwen.


Doch die Löwen und den Drachen

Fällt der Appenzeller Bär,

Bald auf ihren Schilden liegen

Beide Kämpfer stumm und schwer.

Zornig mit dem Vogel Greif

Drängt sich vor der Greifensteiner;

Von der Streitaxt fallen sie,

Mann und Vogel, auf steht keiner.


Und geschirmt vom Dach der Hütte

Beut der Held noch Neunen Trutz,

Wolfurt sucht und Ebersberger

Hinter Wolf und Eber Schutz.

Aber den durchfährt der Speer,

Und der Andre stürzt vom Schwerte:

Sieben kämpfen aufrecht noch,

Fünfe liegen auf der Erde.


Sechs umringen Jenen streitend,

Einer aber nimmt sich Frist,

Facht ein Feuer an im Laube,

Sinnt auf eine böse List:

Nicht umsonst führt er im Schild

Eine feuerspei'nde Schlange,

Schleudert seinen Feuerbrand

Nach des Daches Ueberhange.


Und des Hirten Stirn umwirbelt

Tückisch bald der finstre Rauch,

Blinzend wehrt er ab die Streiche,

Und der Flamme glüh'nden Hauch;[428]

Seinen Geist befiehlt er Gott,

Denn jetzt stürzt das Dach zusammen!

So erliegt der fromme Held

Nicht dem Schwerte, nein, den Flammen!


Von dem schweren Kampf mit Einem

Ruh'n die sieben Ritter aus,

Ueber sich hoch auf dem Berge

Hören sie der Schlacht Gebraus;

Denn es rang der Edlen Heer

Siegreich sich empor nach oben,

Kämpfend weicht der Hirt zurück,

Immer ferner hallt das Toben.


Endlich auf dem höchsten Gipfel

Mit der neuen Brüder Schar

Hält der kluge Werdenberger,

Keine Flucht ihr Weichen war;

Freilich ist ihr Häuflein dünn,

Und der Feinde sind dreitausend,

Doch dem Himmel trauen sie –

Und am Himmel regt sich's brausend.


Auf des schwülen Föhnes Flügel

Zieht's vom hohen Säntis her,

Wolken schichten sich auf Wolken,

Liegen auf dem Walde schwer.

Blitzesschein erhellt die Schlacht,

Wie auf Rossen fliegt das Wetter,

Gottes Feldposaune dröhnt

Mit dem hallenden Geschmetter.


Und auf ihren Ruf ergießen

Sich des Regens Ströme dicht,

Zwar den Hirten in den Rücken,

Doch den Rittern in's Gesicht.

Auf dem Boden glatt und naß

Haften nicht der Männer Schritte,

Da vom Pferde springt der Graf,

Stellt sich in der Hirten Mitte.
[429]

»Ahmet mir nach,« schreit er, »Brüder!

Streifet ab vom Fuß den Schuh!

Jetzt geflogen sichern Trittes

Auf die schwanken Feinde zu!«

Barfuß rennt der Held voran,

Zu der Donner lauten Hallen

Läßt die Streitaxt er zuerst

In die dichten Haufen fallen.


Pfeil und Wurfspieß fliegt herunter,

Schwerter blitzen kühn darein,

Und die kaum verlaßnen Hügel

Nimmt der Hirte wieder ein.

Sorglich zieht der Feind zurück

Seine festgeschloßnen Glieder;

Aber links, vom Bergesrand,

Was bewegt sich dort hernieder?


Hirt und Ritter schaun und zögern:

Eine lange, stille Schar,

Ziehen blendende Gestalten

Längs den Höhen wunderbar.

Woher kommt das neue Heer?

Grausen faßt das Herz der Ritter:

Hat Gespenster ausgespie'n

Dieses höllische Gewitter?


Auch der Hirte sinnt mit Staunen,

Wie ihm Hilfe kommen soll;

Plötzlich ruft der Werdenberger

Laut und heil'ger Freude voll:

»Kämpfen wir nicht heut im Herrn,

Brüder, am Frohnleichnamsfeste?

Seine Heerschar sendet er,

Engel sind es, Himmelsgäste!«


Und hernieder von dem Gipfel

Wallt der lange, fremde Zug;

Weiße, wogende Gewande

Flattern in des Windes Flug.[430]

Tausend Arme heben sich

Halb zu beten, halb zu schlagen,

Und darüber rollt und blitzt

Gottes glüh'nder Donnerwagen.


Ein Entsetzen faßt die Feinde,

Rücklings stürzen sie hinab,

Und der Fels und feuchter Rasen

Und der Rheinstrom wird ihr Grab.

Tausende mit edlem Blut

Haben Wald und Flur gedünget,

Und des Volkes Freiheit steigt

Aus der Schlacht empor verjünget.


Und verschwunden ist das Wetter,

Abendsonne scheinet klar;

Droben auf der Höhe wartet

Immer noch die weiße Schar.

Und der Hirte klimmt empor:

Wird er Engel Gottes schauen? –

Sieh! da stehn im Sonnenglanz

Seine Töchter, seine Frauen!


Sollten sie zu Hause sitzen,

Von der Männer Geist erfüllt?

Nein! in langes Hirtenhemde

Haben sie den Leib gehüllt.

Nicht vergebens folgten sie

Ihres Herzens kühnem Schlage;

Und bezahlet ihre Schuld

Haben sie dem großen Tage.


Fröhlich an der Männer Seite

Schauen sie in's grüne Thal:

Rebenhügel, blüh'nde Gärten,

Burgen glühn im Abendstral;

Und dazwischen strömt der Rhein,

Wälzt vergoldet seine Wogen;

Morgen ins gelobte Land

Kommen Hirten eingezogen!
[431]

»Brüder!« spricht der Werdenberger,

»Vorher gilt's noch einen Strauß,

Denn es horstet noch der Adler

Drüben in Sankt Gallens Haus!

Erst den Herzog fortgejagt!

Erst den Abt in Wyl gefangen!« –

»Nein,« jauchzt ihm der Hirte zu,

»Erst gen Werdenberg gegangen!«

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 427-432.
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