|
[238] Ich werb' um sie wie um sein Weib der Leu.
Douglas.
Während die eben geschilderten Scenen in andern Theilen des Schlosses vor sich gingen, erwartete die Jüdin Rebekka ihr Geschick in einem entfernten und abgesonderten Thurme. Zwei von den verkleideten Räubern hatten sie hierher gebracht und in eine kleine Zelle gestoßen, wo sie sich in Gesellschaft einer alten Frau befand, die ein sächsisches Lied vor sich hin murmelte, als wollte sie damit den Takt der Spindel angeben, die in ihren Fingern schnurrte. Sie erhob bei Rebekkas Eintritt das Haupt, und schielte das schöne Judenkind mit einem so feindseligen Blicke an, wie Alter und Häßlichkeit, wenn sie mit boshafter Gesinnung gepaart sind, ihn gewöhnlich auf Jugend und Schönheit zu werfen pflegen.
»Du mußt jetzt fort, alte Heuschrecke,« sagte einer von den Männern, »unser Herr befiehlt es. Du mußt dies Gemach einem schönern Gaste räumen.«
»Ei!« kreischte die Alte. »So also belohnt man Dienste? Es gab eine Zeit, wo mein bloßes Wort den besten Panzerreiter unter euch aus Sattel und Dienst geworfen hätte, und jetzt soll ich dem Befehl eines jeden Reiterknechts weichen.«
»Gute Frau Urfried, erhebt statt aller Bedenken lieber Euch selbst und macht Euch fort!« »Herren Gebot verlangt schnell Gehör,« sagte der andere Mann. »Du hast Deine guten Tage gehabt, alte Dame, aber Deine Sonne ist nun längst unter. Du bist jetzt das wahre Ebenbild einer alten abgedankten Schlachtmähre, die zu ihrer[239] Zeit in stolzem Schritt einherging und nun steif dahin humpelt. Komm, komm! humple nur hinweg!«
»Mög euch doch beiden Unheil auf den Fersen folgen und ihr im Hundestall verenden! Möge Niccus, der böse Wasserriese mich Glied um Glied zerreißen, wenn ich meine Zelle eher verlasse, als bis ich den Hanf von meinem Rocken vollends abgesponnen.«
»Das will ich unserem Herrn sogleich melden, alter Drache!« sagte der Knecht und entfernte sich. Rebekka aber blieb bei dem alten Weibe zurück, in deren Gesellschaft sie mit Gewalt gedrängt worden war.
»Welche Teufelei haben sie nur wieder vor,« murmelte die Alte vor sich hin, und warf dabei einen stechenden feindseligen Blick auf Rebekka. »Leicht zu errathen! Funkelnde Augen, schwarzes Haar, Haut wie Papier, ehe der Pfaffe es mit seiner schwarzen Salbe besudelt. Es ist klar, warum man sie hieher in den einsamen Thurm schickt, wo man einen Schrei ebenso wenig hören kann, wie fünfhundert Klaftern tief in der Erde. Ei, ei, Schönchen, Eulen wirst Du hier zur Gesellschaft haben; und ihr Geschrei wird ebenso weit gehört und beachtet werden wie das Deine. Ausländerin noch dazu!« fuhr sie fort, und beschaute Rebekkas Kleidung und Kopfputz. »Aus welchem Lande denn? Aus welchem Lande? Saracenin? Oder aus Egypten? Nun, Deine Antwort, Püppchen, Deine Antwort! Kannst nur weinen? kannst nicht sprechen?«
»Sei nicht böse, gute Mutter,« wimmerte Rebekka.
»Brauchst mir nicht mehr zu sagen,« versetzte Urfried, »man kennt den Fuchs, der den Schwanz schleppt, an der Schneespur, das Judenkind an der Sprache.«
»Um Gottes Barmherzigkeit willen,« sagte Rebekka, »sprich, was habe ich als Ende der Gewaltthat, die mich hieher führte, zu erwarten? Ist es mein Leben, das sie verlangen? Soll ich büßen für meinen Glauben? O, gern, gern bringe ich es als Opfer dar!«
»Dein Leben, Püppchen? Was für Vergnügen würde es ihnen machen, Dir bloß das Leben zu nehmen? Nicht doch! Dein Leben ist ungefährdet. O, man wird Dich sogar behandeln, wie man einst eine sächsische Edle zu behandeln für gut fand. Soll eine Jüdin klagen, daß sie kein besseres Loos erwartet? Schau mich[240] an! Auch ich war jung und zweimal schöner als Du bist, da stürmte Front de Boeuf, Reginalds Vater, dieses Schloß. Mein Vater und seine sieben Söhne vertheidigten ihr Erbe von Treppe zu Treppe, von Thür zu Thür. Da war kein Gemach, keine Stufe, die nicht von ihrem Blute getrieft hätte. Sie fielen, sie fielen alle, einer nach dem andern; und ehe ihre Leichen kalt waren, ehe ihr Blut trocknete, war ich schon die Beute und der Spott des Siegers geworden.«
»Ist denn hier keine Hilfe? Kein Mittel zu entrinnen?« sagte Rebekka. »Reichlich, reichlich kann und will ich Deinen Beistand vergelten!«
»Ach,« sagte die Alte, »von hier ist kein andres Entkommen als durch die Pforten des Todes; und es wird spät, spät,« setzte sie hinzu, ihr graues Haupt schüttelnd, »ehe die sich uns öffnen! Aber es ist ein Trost dabei, daß wir auf Erden die zurücklassen, die ebenso elend sein werden wie wir. Leb wohl, Jüdin! Jüdin oder Heidin, Dein Loos würde das nämliche sein. Du hast mit Leuten zu thun, die kein Gewissen, kein Erbarmen kennen. Leb wohl, sage ich; mein Tagewerk ist abgesponnen, Deins geht erst an.«
»Bleib! um Gottes Willen, bleib!« schrie Rebekka außer sich, »wäre es auch nur, um mir zu fluchen, mich zu verwünschen; aber Deine Gegenwart schützt mich doch.«
»Und wäre die Mutter Gottes selbst zugegen, so würde Dirs kein Schutz sein,« versetzte die Alte. »Dort steht sie,« fuhr sie fort, auf ein roh gemeißeltes Bild der Madonna zeigend, »sieh zu, ob sie das Loos abwenden wird, das Dich erwartet. Mich hat sie nicht geschützt.«
Mit diesen Worten verließ sie das Gemach, ihre Züge zu einer Art höhnischen Lachens verzerrend, das ihr Gesicht noch widriger machte, als es an sich war. Sie schloß die Thür hinter sich und Rebekka konnte ihre Flüche auf jeder Stufe hören, als sie die steile Thurmtreppe hinabkeuchte.
Rebekka mußte ein noch weit schrecklicheres Loos erwarten, als Rowena. Denn wie war daran zu denken, daß man Milde und Anstand gegen ein Mädchen des unterdrückten Judenvolkes beobachten würde, wenn man auch einen Schein von Rücksicht gegen eine sächsische Erbin annehmen mochte? Indessen hatte die Jüdin[241] vor Rowena den Vorzug, daß sie durch Gewöhnung zum Nachdenken und durch die natürliche Stärke des Gemüths besser vorbereitet war, persönlichen Gefahren zu begegnen. Schon von zarter Jugend an von ernstem sinnendem Charakter, hatte sie sich durch den Reichthum und die Pracht, die ihr Vater innerhalb seiner vier Wände entfaltete, und die sie in den Häusern andrer reicher Juden fand, durchaus nicht über die Gefahren täuschen lassen, unter denen man sie genoß. Wie Damokles bei dem berühmten Mahle erblickte Rebekka unaufhörlich mitten in Glanz und Luxus das Schwert, welches an einem Pferdehaare über den Häuptern der Ihrigen hing. Diese Betrachtungen hatten einen Charakter, der unter andern Umständen leicht hochfahrend, stolz und hartnäckig hätte werden können, gezähmt und einsichtsvoll macht.
Durch ihres Vaters Beispiel und Anleitung hatte Rebekka gelernt, sich gegen alle ihre Untergebenen artig zu benehmen. Sie war freilich nicht im Stande, seine übertriebene Unterwürfigkeit nachzuahmen, weil ihr die Niedrigkeit der Gesinnung und der immerwährende Zustand von Furcht und Angst fremd war, der jene Gesinnung erzeugte; allein sie benahm sich mit einer Art stolzer Demuth, als unterwerfe sie sich gewissermaßen den unglücklichen Verhältnissen, indeß sie das Selbstbewußtsein in sich trug, durch ihren Werth zu einer höheren Stufe berechtigt zu sein, als religiöser Fanatismus und willkürliche Tyrannei ihr anzuweisen für gut fanden. So war sie stets auf Widerwärtigkeiten gefaßt, und hatte damit die Festigkeit erworben, in den Kampf gegen dieselben einzutreten.
Ihre erste Sorge war, das Gemach zu untersuchen; es gewährte ihr wenig Hoffnung auf Schutz oder Flucht. Außer der Thür, durch die sie hereingeschoben war, hatte der Raum zwar weder geheime Eingänge noch Fallthüren, sondern schien nur von der run den Thurmmauer umschlossen, aber inwendig hatte die Thür weder Riegel noch Schloß. Das einzige Fenster ging auf eine Thurmzinne, die Rebekka anfangs einige Hoffnung auf Flucht zu versprechen schien. Aber sie fand bald, daß dieser Raum mit keinem andern Theile der Mauer zusammenhing und einen Balkon bildete, der wie gewöhnlich durch eine Brustwehr mit Schießscharten geschützt war. Es blieb ihr also nichts übrig als duldende Festigkeit[242] und jenes muthige Gottvertrauen, das edlen und großen Seelen jederzeit eigen ist.
Trotzdem bebte die Gefangene und wurde bleich, als sie den Tritt eines Menschen auf der Treppe hörte, die Thür des Gemachs sich langsam öffnete, und ein großer Mann, wie einer jener Banditen gekleidet, denen sie ihr Unglück zuschreiben mußte, langsam hereintrat und die Thür hinter sich schloß. Seine Mütze, die er tief herabgezogen hatte, verdeckte den obern Theil des Gesichts, und den Mantel hielt er so, daß die übrige Gestalt verhüllt war. So verkleidet, als schäme er sich seines Vorhabens, trat er vor die erschrockene Gefangene. Gleichwohl schien er in Verlegenheit zu sein, Rebekka den eigentlichen Vorsatz anzukündigen, der ihn hergeführt. So fand sie Zeit seiner Erklärung zuvorzukommen. Sie nahm zwei Armbänder und ein Halsband ab und reichte den Schmuck dem vermeintlichen Räuber dar.
»Nehmt dies, guter Freund,« sagte sie, »und seid um Gottes Willen barmherzig gegen mich und meinen alten Vater. Dieser Schmuck ist werthvoll, und doch ist es nur eine Kleinigkeit gegen das, was er hergeben wird, damit wir frei und ungekränkt dieses Schloß verlassen dürfen.«
»Schöne Blume Palästinas,« versetzte der Pseudo-Landflüchtige, »diese Perlen sind zwar orientalische, aber sie stehen an Weiße Deinen Zähnen nach. Diese Diamanten sind feurig, doch kommen sie an Glanz Deinen Augen nicht gleich. Lange, ehe ich mich diesem wilden Gewerbe widmete, habe ich geschworen, die Schönheit stets dem Reichthum vorzuziehn.«
»Thue Dir nicht selbst Unrecht,« sagte Rebekka, »nimm dieses Lösegeld, und sei mitleidig! Gold wird Dir Vergnügen erkaufen – uns mißhandeln kann Dir ja nur Gewissensbisse einbringen. Mein Vater wird bereitwillig Deine kühnsten Wünsche befriedigen; und wenn Du weise handeln willst, kannst Du Dir mit unserer Beute die Wiederaufnahme in die bürgerliche Gesellschaft erkaufen, kannst Verzeihung Deiner Vergehungen erhalten, und der Nothwendigkeit enthoben sein, ferner dergleichen zu begehen.«
»Wohl gesprochen,« versetzte der Geächtete in französischer Sprache, denn er schien es schwer zu finden, die Unterhaltung mit Rebekka sächsisch, wie er sie angefangen, fortzusetzen, »aber wisse,[243] schöne Lilie des Thales Baca, daß Dein Vater sich bereits in den Händen eines mächtigen Alchymisten befindet, der es wohl versteht, auch die verrosteten Stäbe eines Kerkers in Gold und Silber zu verwandeln. Der ehrwürdige Isaak befindet sich schon in einer Retorte, um alles aus ihm herauszudestilliren, was er werth hält, ohne daß es dazu meiner Bitte oder Hilfe bedarf. Dein Lösegeld mußt Du durch Liebe und Schönheit zahlen, andere Münze nehme ich nicht an.«
»Du bist kein Geächteter,« sagte Rebekka in derselben Sprache, in der sie angeredet worden, »ein Geächteter hätte ein solches Anerbieten nicht ausgeschlagen. Kein Geächteter in diesem Lande spricht die Sprache, in der Du mich jetzt anredest. Du bist kein Geächteter, sondern ein Normann, ein Normann vielleicht von edler Geburt; o, sei es auch durch Thaten, und wirf diese scheußliche Larve der Gewaltthätigkeit und Zügellosigkeit von Dir.«
»Und Du, die Du so gut zu rathen verstehst,« sagte Brian de Bois-Guilbert, indem er den Mantel zurückwarf, »Du bist keine wahre Tochter Israels, Du bist in allem, Schönheit und Jugend ausgenommen, eine wahre Hexe von Endor. Du hast Recht, schöne Rose von Saron, ich bin kein Geächteter, ich bin ein Mann, der eher Deine Arme und Deinen Hals mit Perlen und Diamanten zieren wird, die Dir so schön stehen, als Dich dieses Schmuckes berauben.«
»Was willst Du denn von mir, außer meinem Reichthum?« sagte Rebekka. »Unter uns kann nichts gemein sein, Du bist ein Christ und ich eine Jüdin. Unsere Verbindung würde den Gesetzen der Kirche und der Synagoge gleich sehr zuwider sein.«
»In der That,« versetzte der Templer lachend, »eine Jüdin heirathen? Des par Dieu! Nein, nicht wenn sie die Königin von Saba wäre. Wisse überdieß, holde Tochter Zions, und wenn der allerchristlichste König mir seine allerchristlichste Tochter und Languedoc zur Mitgift geben wollte, so könnte ich sie doch nicht heirathen. Es ist gegen mein Gelübde, ein Mädchen anders als par amour zu lieben, und so will ich Dich lieben. Ich bin ein Templer. Sieh hier das Kreuz meines heiligen Ordens.«
»Wagst Du es, Dich jetzt darauf zu berufen?« sagte Rebekka.
»Und wenn ich es wage,« versetzte der Templer, »Dich gehts[244] nichts an, denn Du glaubst nicht an das gesegnete Zeichen unserer Erlösung.«
»Ich glaube, was meine Väter mich lehrten,« sagte Rebekka, »und Gott mag mir vergeben, wenn mein Glaube irrig ist. Aber, Herr Ritter, welches ist der Eurige, wenn Ihr unbedenklich das anruft, was Euch das Heiligste ist, selbst in dem Augenblicke, wo Ihr im Begriffe seid, das feierlichste Eurer Gelübde, das eines Ritters und Priesters zu brechen?«
»Recht schön und würdig gepredigt, Tochter Sirachs,« versetzte der Templer; »aber, liebenswürdige Ecclesiastica, Deine beschränkten jüdischen Vorurtheile machen Dich blind gegen unsere hohen Vorrechte. Die Ehe freilich würde ein unverzeihliches Verbrechen für einen Tempelherrn sein. Aber was ich an geringeren Thorheiten begehe, davon werde ich schnell bei dem nächsten Präceptorium unsers Ordens absolvirt. Der weiseste der Monarchen, sowie sein Vater, dessen Beispiel Du doch für wichtig anerkennen mußt, beanspruchten Vorrechte, wie wir armen Soldaten des Tempels Zions durch unsern Eifer in seiner Vertheidigung sie uns erworben haben. Die Beschützer von Salomons Tempel dürfen doch auf Salomons Freiheiten Anspruch machen.«
»Wenn Du die Schrift nur liesest,« versetzte die Jüdin, »um Deine Schlechtigkeit und Deine Leidenschaft zu rechtfertigen, so ist Dein Verbrechen dem eines Menschen gleich, der aus den gesundesten und nothwendigsten Kräutern Gift zieht.«
Die Augen des Templers sprühten Feuer und Flammen bei dieser Antwort. »Höre, Rebekka,« sagte er, »bisher habe ich sanft mit Dir gesprochen, aber nun soll meine Sprache die eines Eroberers sein. Du bist die Gefangene meines Bogens und Speers, meinem Willen unterworfen durch die Gesetze aller Völker, daher werde ich auch nicht einen Zoll breit von mei nem Rechte abgehn, oder mich hindern lassen, mit Gewalt zu nehmen, was Du den Bitten versagst.«
»Nahe Dich nicht,« sagte Rebekka, »und höre mich, ehe Du eine solche Todsünde zu begehen Dich anschickest. Meine Kraft magst Du leicht überwältigen, denn Gott hat mich als ein schwaches Weib erschaffen und meine Vertheidigung dem Edelmuthe des Mannes anvertraut. Aber, Templer, ich werde Deine Schändlichkeit[245] von einem Ende Europas bis zum andern verbreiten. Dem Aberglauben Deiner Brüder werde ich verdanken, was ihr Mitleiden mir verweigern mag. Jedes Präceptorium, jedes Kapitel Deines Ordens soll es erfahren, daß Du, wie ein Ketzer, mit einer Jüdin gesündigt hast. Diejenigen, welche bei Deinem Verbrechen nicht erzittern, werden Dich für verflucht halten, daß Du das Kreuz, welches Du trägst, so entehrt hast, einer Tochter meines Volkes nachzugehn.«
»Dein Witz ist scharf,« entgegnete der Templer, der wohl wußte, daß ihre Rede keine Lüge war, und daß die Regeln seines Ordens auf das bestimmteste und unter den härtesten Strafen Liebeshändel, wie den seinen, verdammten, und daß zuweilen schon Degradation darauf gefolgt war. »Dein Witz ist scharf, allein laut muß Deine Klage sein, wenn man sie außerhalb der Mauern dieses Schlosses hören soll; innerhalb desselben verklingen sie ohne alle Wirkung. Eins nur, eins allein kann Dich retten, Rebekka! Unterwirf Dich Deinem Schicksal, nimm unsere Religion an, und Du sollst sogleich in einem Zustande von dannen gehen, daß manche normännische Dame ebenso an Pracht wie an Schönheit der Favoritin der besten Lanze unter den Vertheidigern des Tempels nachstehen soll.«
»Meinem Schicksale mich unterwerfen,« sagte Rebekka, »heiliger Gott, welchem Schicksale! Deine Religion annehmen! Und was kann das für eine Religion sein, die in solch einem Scheusal wohnt? Du die beste Lanze der Templer? Elender Ritter, meineidiger Priester, ich verachte Dich! Ich trotze Dir! Der Gott Abrahams hat seiner Tochter einen Weg der Rettung eröffnet, selbst aus diesem Abgrunde der Schande!«
Mit diesen Worten öffnete sie schnell das Gitterfenster, welches zu dem Balkon führte, und in einem Augenblick stand sie am äußersten Rande desselben, so daß nichts sie von der grausenden Tiefe zu ihren Füßen trennte. Unvorbereitet auf solch einen verzweifelten Entschluß, denn sie hatte bisher ganz bewegungslos dagestanden, hatte Bois-Guilbert nicht Zeit gehabt, sie zu hindern oder sie aufzuhalten. Als er sich ihr jetzt nähern wollte, rief sie: »Bleib, wo Du bist, stolzer Templer! Einen Schritt näher, und ich stürze mich in den Abgrund; eher soll mein Körper an diesen Steinen zerschmettern als ein Opfer Deiner Rohheit werden!«[246]
Sie faltete die Hände und streckte sie zum Himmel empor, gleich als wollte sie um Erbarmung für ihre Seele flehen, ehe sie den furchtbaren Sprung thäte. Der Templer zögerte, und seine Entschlossenheit, die nie Mitleid empfunden oder dem Unglück nachgegeben hatte, wich der Bewunderung ihrer Seelenstärke.
»Komm herab, unbesonnenes Mädchen,« sagte er, »ich schwöre bei der Erde, dem Meer und dem Himmel, ich werde Dir kein Leid anthun.«
»Ich traue Dir nicht, Templer,« versetzte Rebekka, »Du hast mich die Tugenden Deines Ordens besser würdigen gelehrt. Das nächste Präceptorium würde Dich ja von einem Eide entbinden, der nichts weiter betrifft als die Ehre oder die Entehrung eines elenden jüdischen Mädchens.«
»Du thust mir Unrecht,« sagte der Templer, »ich schwöre Dir bei dem Namen, den ich führe, bei dem Kreuze auf meiner Brust, ja bei dem Schwerte an meiner Seite und dem alten Waffenschmucke meiner Väter schwöre ich, Du hast von mir keine Kränkung zu befürchten. Schone Dich, wenn auch nicht um Deiner selbst, doch um Deines Vaters willen! Ich will sein Freund sein, und in diesem Schlosse bedarf er eines mächtigen Freundes.«
»Ach,« sagte Rebekka, »leider weiß ich das nur zu gut! Darf ichs wagen, Dir zu trauen?«
»Möge mein Schild umgekehrt, mein Name entehrt werden,« sagte Brian de Bois-Guilbert, »wenn Du Dich über mich zu beklagen haben wirst. Manches Gesetz, manchen Befehl habe ich gebrochen, aber nie ein gegebenes Wort.«
»Nun, ich will Dir trauen,« sagte Rebekka, »aber nur so weit,« und sie stieg von der Spitze der Zinne herab und stellte sich an einen der Einschnitte. »Hier,« sagte sie, »nehme ich meinen Stand. Bleib wo Du bist, denn wenn Du Dich nur einen Schritt zu nähern wagst, so sollst Du sehen, wie ein jüdisches Mädchen seine Seele lieber Gott befiehlt, als ihre Ehre einem Templer.«
Während Rebekka so sprach, gab die erhabene und feste Entschlossenheit, die so herrlich mit der ausdrucksvollen Schönheit ihres ganzen Wesens übereinstimmte, ihren Blicken, Mienen und Bewegungen eine fast übermenschliche Würde. Ihr Blick war nicht ängstlich, ihre Wange nicht bleich, im Gegentheil, der Gedanke, daß ihr[247] Schicksal in ihren Willen gestellt sei, indem sie der Schande durch den Tod entgehen könnte, lieh ihrer weißen Haut eine röthere Farbe und ihrem Auge einen höheren Glanz.
Der stolze und muthvolle Bois-Guilbert gestand sich, daß er nie eine so lebensvolle und imponirende Schönheit gesehen habe.
»Laß Friede zwischen uns sein, Rebekka,« sagte er.
»Wenn Du willst, ja,« versetzte sie, »doch nur in dieser Entfernung.«
»Du brauchst mich nicht mehr zu fürchten,« sagte Bois-Guilbert.
»Ich fürchte Dich nicht. Dank dem Himmel, daß dieser Thurm so hoch ist, daß nichts, was herunterstürzt, am Leben bleiben kann; Dank dem Gott Israels! Ich fürchte Dich nicht!«
»Du thust mir Unrecht, wahrlich, Du thust mir Unrecht,« fuhr der Templer fort, »ich bin von Natur nicht, wofür Du mich halten mußt, hart, selbstsüchtig, unbarmherzig Ein Weib war es, das mich Grausamkeit lehrte, und an Weibern habe ich sie geübt, aber nicht an solchen, wie Du bist. Höre mich, Rebekka! – Nie ergriff ein Ritter seine Lanze mit mehr Liebe für seine Dame, als Brian de Bois-Guilbert. Sie, die Tochter eines kleinen Barons, dessen ganzes Erbe auf einen verfallenen Thurm und einen unfruchtbaren Weinberg, sowie auf wenige Morgen dürren Haidelandes in der Gegend von Bordeaux beschränkt war, o! ihr Name ward durch mich bekannt, wo nur glänzende Waffenthaten geschahen, er ward weiter verbreitet als der einer Dame, die eine Grafschaft zur Morgengabe besaß. – Ja,« fuhr er fort, indem er auf der kleinen Platform in einer Bewegung umherging, in der er Rebekkas Gegenwart ganz zu vergessen schien, »ja, meine Thaten, meine Gefahr, mein Blut machten den Namen Adelheid von Montemare von dem Hofe Castiliens bis zu dem von Byzanz bekannt. Doch – wie ward mir gelohnt? Als ich zurückkehrte mit dem theuer erkauften Ehrenzeichen, erkauft mit Blut und Mühen, fand ich sie vermählt – vermählt an einen gascognischen Landjunker, dessen Name nie gehört worden war außer dem Umkreise seines eigenen erbärmlichen Gutes! Treu liebte ich sie, und schwer habe ich mich gerächt wegen ihrer Untreue. Allein meine Rache ist auf mich selbst zurückgefallen. Seit dem Tage habe ich mich vom Leben und seinen Banden losgesagt. Kein zärtliches Weib soll mein Mannesalter beglücken, kein häusliches Glück mir blühen![248] Mein Grab soll einsam und verlassen bleiben, und kein Sprößling den alten Namen Bois-Guilbert zu fernen Geschlechtern tragen. Zu den Füßen meiner Obern habe ich das Recht der Selbstbestimmung, der Unabhängigkeit niedergelegt. Der Templer, ein Sklav in jeder Beziehung, kann weder Land noch Gut besitzen, darf weder leben, lieben, noch für sich athmen, alles, alles nur nach dem Willen seiner Obern.«
»Aber,« sagte Rebekka, »welche Vortheile entschädigen denn für ein solches Opfer?«
»Die Macht zu rächen,« erwiderte der Templer, »und die Aussichten der Ehre.«
»Eine schlechte Entschädigung,« sagte Rebekka, »für die Hingabe von Rechten, welche der Menschheit Theuerstes bleiben.«
»Sage das nicht, Mädchen,« versetzte der Templer, »Rache ist ein Fest für Götter! Und wenn die Götter sich, wie uns die Priester lehren, diese selbst vorbehalten haben, so ist es geschehen, weil sie sie für einen Genuß halten, der zu köstlich ist für bloße Sterbliche. Und Ehre? Das ist eine Versuchung, die den Genuß des Glückes im Himmel selbst stören könnte.« – Hier hielt er einen Augenblick inne, dann setzte er hinzu: »Rebekka, Rebekka, wer den Tod der Entehrung vorziehen konnte, muß eine stolze und hohe Seele haben. Mein mußt Du werden! Doch starre mich nicht so an, nicht ohne Deinen Willen, nur auf Deine Bedingungen. Du mußt mit mir Hoffnungen theilen, größer, als man sie von dem Throne eines Monarchen erblickt. Höre mich, ehe Du antwortest, und urtheile, ehe Du mich verwirfst. Der Templer verliert, wie gesagt, seine gesellschaftlichen Rechte, seine Unabhängigkeit, er wird Glied eines mächtigen Körpers, vor welchem heut schon Throne erbeben, er gleicht dem einzelnen Regentropfen, der, sich mit dem Meere vermischend, ein Theil wird des ewig bewegten Oceans, welcher Felsen untergräbt und königliche Flotten verschlingt. Solch eine schwellende Fluth ist dieser mächtige Bund. Von ihm bin ich keines der kleinsten Glieder, bereits einer der Hauptbefehlshaber, und ich darf wohl einst auf den Stab des Großmeisters Anspruch machen. Die armen Streiter des Tempels werden nicht allein ihren Fuß auf den Nacken von Königen setzen, nein, unser gewappneter Tritt schreitet selbst den Thron hinan, unsere Eisenhand nimmt ihnen das Scepter aus der[249] Faust. Das Reich Eures umsonst erwarteten Messias bietet Euren zerstreuten Stämmen keine solche Macht dar, als die ist, auf die ich ziele. Nur einen feurigen Geist habe ich gesucht, sie mit mir zu theilen, und den habe ich in Dir gefunden.«
»Sagst Du das zu einer von meinem Volke?« erwiderte Rebekka. »Bedenke doch« –
»Berufe Dich nicht auf den Unterschied unseres Glaubens. In unsern geheimen Versammlungen verlachen wir solche Ammenmärchen Denke nicht, daß wir lange blind geblieben sind für den thörichten Götzendienst unserer Stifter, welche jedes Lebensglück verschworen, um den Genuß, als Märtyrer durch Hunger, Durst, Pestilenz und das Schwert der Wilden umzukommen, indeß sie sich vergebens bestrebten, eine öde Wüste zu vertheidigen, die nur in den Augen des blinden Aberglaubens einigen Werth haben konnte. Unser Orden hegte bald kühnere und weitere Absichten und fand eine bessere Entschädigung für die von ihm dargebrachten Opfer. Unsere unermeßlichen Besitzungen in allen Reichen Europas, unser hoher kriegerischer Ruf, der die Blüthe der Ritterschaft aus jedem Lande der Christenheit in unsern Kreis führt, dies alles ist Endzwecken gewidmet, von welchen sich unsere frommen Stifter nichts träumen ließen, und die auch den schwachen Seelen, die dem Orden noch nach den alten Grundsätzen sich zuwenden, und deren Aberglaube sie nur zu unsern folgsamen Werkzeugen macht, streng verborgen bleiben. Doch ich will Dir den Schleier unserer Geheimnisse nicht weiter lüften. Der Ton des Horns da draußen deutet auf etwas, was meine Gegenwart erfordert. Denke nach über das, was ich Dir gesagt habe. Lebe wohl! Ich sage nicht, vergib mir meine Gewaltthätigkeit, denn sie war nothwendig, mir Deinen Charakter zu enthüllen. Gold kann nur auf dem Prüfsteine erkannt werden. Bald kehre ich zurück, und dann sprechen wir weiter.«
Er trat zurück in das Thurmgemach, stieg die Treppe hinab und ließ Rebekka allein, weniger erschrocken über die Aussicht des Todes, dem sie so nahe gewesen war, als über die wilde Ehrfurcht des kühnen Mannes, in dessen Gewalt sie sich unglücklicherweise gegeben sah. Als sie selbst wieder in das Gemach zurückkehrte, war ihr erstes Geschäft, dem Gotte Jakobs für den Schutz zu danken, den er ihr bewiesen hatte, und um ferneren Schutz für sich und[250] ihren Vater zu flehen. Ein anderer Name noch mischte sich in ihr Gebet; es war der des verwundeten Christen, den das Schicksal gleichfalls in die Hand blutdürstiger Menschen, seiner erklärten Feinde, gegeben hatte. Das Herz bebte ihr freilich im Busen, als sich in ihre frommen Ergießungen das Andenken eines Mannes mischte, dessen Loos nie mit dem ihrigen sich vereinen konnte, eines Nazareners, eines Feindes ihres Glaubens, allein das Gebet war schon gesprochen, und kein enges Vorurtheil konnte Rebekka den Wunsch entlocken, das Geschehene ungeschehen zu wissen.
Ausgewählte Ausgaben von
Ivanhoe
|
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro