Kapitel XXX.

[312] Tritt in die Kammer, schau nach seinem Bett.

Kein Geist des Friedens scheidet so von hinnen,

Der, wie die Lerche auf zum Himmel steigt,

Bei lindem Morgenwind und reinstem Thau,

Auf Thränen, Seufzern, sich zum Himmel aufschwingt,

So scheidet Anselm nicht.


Altes Schauspiel.


Während der Ruhe, welche nach dem ersten glücklichen Erfolge der Belagerer eintrat, indem die eine Partei sich rüstete, ihren Vortheil weiter zu verfolgen, und die andere, ihre Vertheidigungsmittel zu verstärken, hielten der Templer und de Bracy eine kurze Berathung in der Halle des Schlosses.

»Wo ist Front de Boeuf?« fragte der letztere, der das Schloß auf der andern Seite vertheidigt hatte; »man sagt ja, er sei gefallen.«

»Er lebt,« entgegnete der Templer kalt, »wenigstens jetzt noch, aber hätte er auch wirklich den Schädel eines Stiers gehabt, von dem er den Namen führt, und wäre dieser mit zehnfachen Eisenplatten belegt gewesen, er hätte doch unter den Streichen jener furchtbaren Axt erliegen müssen. Noch wenig Stunden, und Front de Boeuf befindet sich bei seinen Vätern – ein mächtiges Glied abgelöst von Prinz Johanns Unternehmen.«

»Und ein trefflicher Zuwachs zu dem Reiche des Satans,« sagte de Bracy; »das kommt davon, daß man Engel und Heilige verachtet und Bilder von heiligen Dingen auf die Köpfe dieser schurkischen Bogenschützen hinunterwerfen läßt.«[313]

»Geh, Du bist ein Narr,« sagte der Templer. »Dein Aberglaube ist um nichts besser, als Front de Boeufs Unglaube; es kann ja keiner von euch einen Grund dafür angeben.«

»Benedicite! Haltet Eure Zunge besser im Zaum, Herr Templer,« versetzte de Bracy, »wenn Ihr von mir redet. Bei der Mutter Gottes, ich bin ein besserer Christ als Ihr und Eure Genossen; denn es geht unverblümt das Gerücht, der heilige Orden des Tempels von Zion nähre manchen Ketzer in seinem Schoße, zu denen Ihr auch gehört, Sir Brian.«

»Bekümmere Dich doch nicht um solche Gerüchte,« sagte der Templer, »sondern laß uns jetzt auf den Schutz des Schlosses bedacht sein. – Wie fechten denn diese Schurken von Landsassen auf Deiner Seite?«

»Wie eingefleischte Teufel,« sagte de Bracy, »sie schwärmten bis dicht an die Wälle, angeführt, wie es schien, von dem Schurken, der den Preis im Bogenschießen erhielt, denn ich erkannte ihn an Horn und Wehrgehänge. Das ist des alten Fitzurse gepriesene Klugheit, daß er diese Kerle zur Empörung gegen uns aufmuntert. Wäre meine Rüstung nicht so gut gestählt, der Schelm hätte mich schon zehnmal mit derselben Kaltblütigkeit niedergeschossen, wie einen Rehbock. Er hat mir jede Fuge der Rüstung mit einem Pfeile gezeichnet, und trüge ich nicht ein spanisches Panzerhemd unter der Rüstung, so wäre es längst aus mit mir.«

»Aber Ihr behauptetet Euren Posten!« sagte der Templer; »wir verloren das Außenwerk auf unserer Seite.«

»Das ist ein sehr schlimmer Verlust,« sagte de Bracy, »nun decken sich die Schurken dadurch beim Angriffe. Front de Boeuf kann uns durch seinen Ochsenkopf und seine Stärke nicht mehr schützen. Was meinst Du, Sir Brian, wäre es nicht besser, aus der Noth eine Tugend zu machen und uns durch Auslieferung der Gefangenen mit den Schurken zu vertragen?«

»Was?« rief der Templer, »die Gefangenen ausliefern? uns lächerlich und verhaßt zugleich machen? Unbeschützte Reisende des Nachts überfallen konnten wir wohl, würd' es heißen, aber kein Schloß gegen Landstreicher und Rechtlose vertheidigen, die unter der Anführung von Schweinehirten, Gauklern und ähnlichem Auswurf stehn. Nimmermehr! Eher sollen mich die Trümmer des[314] Schlosses begraben, als ich zu einem solchen Vertrage meine Einwilligung gebe.«

»Auf die Mauern denn!« rief de Bracy. »Niemand, weder Türke noch Templer kann sein Leben geringer achten, als ich; aber ich halte es doch nicht für ehrlos, jetzt ein paar Dutzend von meiner Freicompagnie herbei zu wünschen. Wie würde das Gesindel vor ihnen auseinander stieben!«

»Wünsche, was Du willst,« versetzte der Templer, »aber laß uns dabei alles zur Vertheidigung thun, was wir mit den noch übrigen Truppen können. Vorzüglich werden Front de Boeufs Gefährten von den Engländern gehaßt wegen so vieler Thaten des Uebermuths und der Unterdrückung.«

»Desto besser werden sich die Schufte bis auf den letzten Blutstropfen wehren, um der Rache der Bauernflegel draußen zu entrinnen,« sagte de Bracy; »ich werde mich heute zeigen, wie es einem Manne von edler Abkunft ziemt. Vorwärts, Brian, auf Leben und Tod!«

»Auf die Mauern!« rief der Templer, und beide stiegen nun auf die Festungswerke, um alles, was ihre Kunst vermochte, zur Gegenwehr zu thun. Ein großer Nachtheil für sie war es indessen, daß sie alle Punkte des Schlosses besetzt halten mußten, da sie nicht wußten, wo und wann der Hauptsturm erfolgen werde.

Unterdeß befand sich der Herr des belagerten Schlosses auf seinem Lager im Zustande körperlicher Schmerzen und geistiger Qual. Die gewöhnliche Hilfsquelle bigotter Individuen stand ihm nicht zu Gebote; er vermochte nicht wie jene die begangenen Verbrechen durch freigebige Schenkungen an die Kirche gut zu machen und so die Angst vor dem künftigen Strafgericht zu sühnen. Geiz war sein vorherrschendes Laster. Die Pfaffen, wie er sagte, waren ihm immer zu theuer gewesen.

Im gegenwärtigen Augenblicke aber schwanden die Erde und all ihre Schätze vor seinen Augen dahin. Das Herz des wilden Barons, wenn auch bis jetzt so hart wie ein Mühlstein, entsetzte sich vor dem Blick in die Ewigkeit. Die Fieber seines Körpers steigerten die Qualen seiner Seele. Die Schauder vor dem Jenseits und sein eingewurzelter Trotz kämpften in ihm und zerfleischten sein Inneres.[315]

»Wo sind jetzt die Hundepfaffen?« raste er; »die ihren geistlichen Mummenschanz so hoch im Preise halten? – Wo sind nun die barfüßigen Karmeliter, für die der alte Front de Boeuf das Kloster zur heiligen Anna stiftete und damit seinen Sohn um manch schönen Quadratfuß Wiese und Weizenacker brachte? Wo sind die gierigen Hunde jetzt? Beim Biersaufen oder am Bett eines armseligen Bauernkerls! Mich, für den sie verbunden sind zu beten, lassen die undankbaren Schufte hier verenden wie einen Hund, ohne Oelung, ohne Absolution – holt mir den Templer! er kann vielleicht – nein laßt ihn! Der Satan selber könnte eher meine Beichte anhören – beten – beten? Ich kann nicht – ich darf nicht« –

»Lebt Reginald Front de Boeuf,« sagte eine gebrochene und widrig schnarrende Stimme dicht neben ihm, »um zu sagen, es gibt etwas, das er nicht darf?«

Der Mann schauderte. Ihm kam die Stimme vor wie die jener Dämonen, die sich am Bett sterbender Menschen niederlassen sollen, um ihre Gedanken vom Himmel abzulenken.

Aber er schauderte nur einen Moment, dann raffte er sich zusammen und schrie: »Wer ist da? – Wer bist Du, der es wagt, meine Worte zu wiederholen wie der Nachtrabe? Tritt vor mein Bett, daß ich Dich sehe!«

»Ich bin Dein böser Engel, Reginald Front de Boeuf,« erwiderte die Stimme.

»Komm, laß Dich sehen in leiblicher Gestalt,« fuhr der Ritter fort; »bist Du ein Teufel, denke nicht, daß ich vor Dir erbleichen werde. Beim ewigen Höllenpfuhl! Könnte ich nur dieser Schauder so gut Herr werden, wie leiblicher Gefahren. Himmel und Hölle sollten nicht sagen, daß ich den Kampf mit ihnen scheue.«

»Gedenke Deiner Sünden, Front de Boeuf!« sagte die infernalische Stimme. »Denke an Aufruhr, Raub, Mord! – Wer reizte den ausschweifenden Johann zum Kriege gegen seinen greisen Vater – gegen seinen edeln Bruder?«

»Sei Du ein Höllenfeind, ein Priester oder Teufel,« versetzte Front de Boeuf, »Du lügst in Deinen Hals hinein! – Ich reizte Johann nicht zur Empörung – ich nicht allein; – fünfzig Ritter und Barone mit mir, die Blüte der mittlern Grafschaften – und[316] bessere Männer haben nie die Lanze eingelegt! Und ich allein soll die Schuld büßen? Falscher Teufel, ich biete Dir Trotz! Geh, laß mich ruhig sterben, wenn Du ein Sterblicher bist! Und bist Du ein Dämon, so ist Deine Stunde noch nicht da.«

»Ruhig sollst Du nicht sterben,« versetzte die Stimme; »im Tode noch sollst Du das Gewimmer hören, womit Deine Grausamkeit diese Hallen erfüllte, sollst das Blut sehen, das von diesem Boden aufgesogen wurde.«

»Deine alberne Bosheit soll mich nicht erschüttern,« antwortete Front de Boeuf mit gräßlichem, erzwungenem Lachen. »Wie ich mit dem ungläubigen Juden verfuhr, das war ein Verdienst im Himmel; warum werden sonst Menschen heilig gesprochen, die ihre Hände in das Blut der Saracenen tauchen? – Die sächsischen Schweine, die ich erschlug, waren die Feinde meines Vaterlandes, meiner Familie, meines Lehnsherrn. – Ha, ha! Siehst Du, es ist keine Spalte in meinem Harnisch! – Bist Du fort oder bist Du zum Schweigen gebracht?«

»Nein, nein, schändlicher Vatermörder!« versetzte die Stimme, »Denke an diesen Bankettsaal, wo sein Blut floß, das von der Hand seines eigenen Sohnes vergossen wurde!«

»Ha!« antwortete der Baron nach einer langen Pause, »wenn Du das weißt, so bist Du in der That der Urheber des Bösen und allwissend, wie die Priester von Dir sagen! Nur in einer Brust, außer der meinen, ruht noch dieses Geheimniß – in der der Theilnehmerin meiner Schuld. – Geh von mir zu der sächsischen Hexe Ulrica; die kann Dir sagen, was nur sie weiß und ich. – Geh zu ihr, die die Wunden des Erschlagenen wusch und dem Todten das Ansehen gab, als sei er auf natürliche Art gestorben. – Sie war mein Versucher! Sie reizte mich zur That; laß auch sie das Vorgefühl der Höllenqualen empfinden, das mich martert!«

»Sie empfindet sie schon,« sagte Ulrica, indem sie jetzt vor Front de Boeufs Lager trat, »sie hat diesen Kelch längst getrunken, und seine Bitterkeit wird nur dadurch versüßt, daß sie Dich ihn theilen sieht. Knirsche nicht mit den Zähnen, Front de Boeuf – rolle Deine Augen nicht – drohe mir nicht mit der Faust! – Die Hand, welche gleich der Deines berühmten Ahnherrn, der[317] Deinem Geschlecht den Namen erwarb, mit einem Schlage den Schädel des wilden Stiers hätte zerschmettern können, ist jetzt entnervt und kraftlos gleich der meinen!«

»Elende mörderische Hexe!« entgegnete Front de Boeuf; »abscheuliche Nachteule! Willst Du noch jauchzen bei den Trümmern, zu deren Umsturz Du geholfen?«

»Ja, Reginald Front de Boeuf,« antwortete sie, »es ist Ulrica! – Es ist die Tochter des ermordeten Torquil Wolfganger! – Es ist die Schwester seiner erschlagenen Söhne! Sie ist es, die von Dir und Deines Vaters Haus Vater, Brüder, Ehre und Namen fordert, alles, was sie durch den Namen Front de Boeuf verlor! – Denke an Deine Schandthaten, Front de Boeuf, und antworte mir, ob ich nicht die Wahrheit rede. – Du warst mein böser Engel, und ich will der Deine sein! Ich will Dich verfolgen bis zum Augenblick der Auflösung!«

»Abscheuliche Furie!« rief Front de Boeuf, »den Augenblick sollst Du nie sehen! – He! Giles! Clemens! Eustace! Saint Maur! Stephan! Ergreift die Hexe und stürzt sie kopfüber von[318] der Mauer! Sie hat uns den Sachsen verrathen! – Holla! Saint Maur, Clemens! – Wo bleibt ihr, falsche Schurken?«

»Rufe nur Deine Sklaven, tapferer Baron,« sagte die Alte mit höhnischem Lächeln: »Rufe Deine Vasallen um Dich! Laß die Zögernden lebendig schinden und ins Gefängniß werfen! Aber, mächtiger Häuptling, Du wirst keine Antwort erhalten und auch keine Hilfe! Hörst Du diese schrecklichen Töne?« – In der That begann das Getöse des Sturms von neuem. »Bei diesem Kampfgeschrei geht Dein Haus zu Grunde! Front de Boeufs mit Blut befestigte Macht wankt bis zum Grunde und vor seinen verachtetsten Feinden! – Die Sachsen, Reginald, die verachteten Sachsen stürmen Deine Mauern! Was liegst Du denn hier wie eine abgehetzte Hündin, wenn der Sachse Deine Feste stürmt?«

»Gott und Teufel!« rief der verwundete Ritter, »nur noch einen Augenblick Stärke, daß ich auf die Mauern stürme und sterbe, wie es meinem Namen ziemt!«

»Denk nicht daran, tapferer Krieger!« versetzte sie, »Du sollst nicht wie ein Ritter sterben – nein, wie der Fuchs in seinem Bau, wenn die Landleute ringsum Feuer angezündet haben. Erinnerst Du Dich des Strohmagazins unter diesem Zimmer?«

»Weib!« rief er mit Wuth, »Du hast doch nicht Feuer dort angelegt? Bei Gott, Du hast's gethan, das Schloß steht in Flammen!«

»Wenigstens nehmen die Flammen überhand,« sagte Ulrica. »Ein Signal soll bald den Siegern andeuten, diejenigen hart zu bedrängen, die es löschen wollen. Leb wohl, Front de Boeuf! Mögen Thor, Wodan und die Schicksalsschwestern, die Götter der alten Sachsen – Teufel, wie die Priester sie nennen – die Stelle der Tröster an Deinem Lager vertreten! Ulrica sieht Dich nicht wieder. – Doch wenn das Dich trösten kann, so wisse, daß Ulrica eben so dem finstern Ufer entgegeneilt, wie Du! – Jetzt, Vatermörder, lebe wohl auf ewig! – Möge jeder Stein dieser gewölbten Decke eine Zunge erhalten und Dir diesen Namen ins Ohr schreien!«

Mit diesen Worten verließ sie das Gemach. Front de Boeuf vernahm das Geräusch des Schlüssels, als sie die Thür hinter ihm abschloß und ihm so die letzte Hoffnung zum Entkommen nahm.[319] Die wüthendste Verzweiflung bemächtigte sich seiner. Umsonst rief er mit der größten Anstrengung seiner noch übrigen Kräfte nach seinen Leuten und Freunden.

»Sie hören mich nicht – sie können mich nicht hören – meine Stimme dringt nicht durch das Getöse des Kampfes. – Die rothen Flammen schlagen schon prasselnd hervor! – Der böse Feind zieht gegen mich unter dem Banner seines eigenen Elements. Fliehe, böser Geist! Ich gehe nicht mit dir ohne meine Gefährten! Alle, alle sind sie dein, die in diesen Mauern hausen; der ungläubige Templer, der ausschweifende de Bracy, Ulrica, die mörderische Vettel! – Die sächsischen Hunde, der verfluchte Jude! Die ich sing, – alle, alle sollen mir folgen! – Die stattlichste Gesellschaft, die je zur Hölle zog! Ha! ha! ha!« – Hier lachte er im wilden Wahnsinn, daß das Gewölbe wiederhallte. – »Wer lacht hier? – Wer lacht hier? Bist Du es Ulrica? Sprich, Hexe, ich verzeihe Dir, – denn nur Du, oder der höllische Feind konnte selbst in diesem Augenblick lachen. Fort, hebe Dich hinweg von mir! – Stephan und St. Maur! – Clemens und Giles! – Ich verbrenne hier ohne Rettung! – Zu Hilfe! zu Hilfe! wackrer Bois-Guilbert! tapfrer de Bracy! – Front de Boeuf ruft! – Der Rauch wirbelt dicker und dicker herauf!«

Die Verzweiflung machte ihn wahnwitzig. Bald stimmte er in die Schlachtrufe der Kämpfer ein – bald murmelte er Flüche gegen sich, gegen die Menschheit, ja selbst gegen die Allmacht vor sich hin.

Quelle:
Scott, Walter: Ivanhoe. Berlin 1901, S. 312-320.
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