[444] CHORUS tritt auf.
Nun lasset euch gemahnen eine Zeit,
Wo schleichend Murmeln und das späh'nde Dunkel
Des Weltgebäudes weite Wölbung füllt.
Von Lager hallt zu Lager, durch der Nacht
Unsaubern Schoß, der Heere Summen leise,
Daß die gestellten Posten fast vernehmen
Der gegenseit'gen Wacht geheimes Flüstern.
Die Feu'r entsprechen Feuern, und es sieht
Durch ihre bleichen Flammen ein Geschwader
Des andern bräunlich überfärbt Gesicht.
Roß droht dem Roß, ihr stolzes Wiehern dringt
Ins dumpfe Ohr der Nacht; und von den Zelten,
Den Rittern helfend, geben Waffenschmiede,
Die Rüstung nietend mit geschäft'gem Hammer,
Der Vorbereitung grauenvollen Ton.
Des Dorfes Hähne krähn, die Glocken schlagen
Des schlafbetäubten Morgens dritte Stunde.
Stolz auf die Zahl und sichern Muts verspielen
Die muntern, selbstvertrauenden Franzosen
Die nichtsgeacht'ten Englischen in Würfeln
Und schmähn den krüppelhaften Gang der Nacht,
Die, einer schnöden, garst'gen Hexe gleich,
Hinweg so zögernd hinkt. Die armen Englischen,
Wie Opfer sitzen sie bei wachen Feuern
Geduldig und erwägen innerlich
Die morgende Gefahr; die trübe Miene
Auf hohlen Wangen und, vom Krieg vernutzt,
Die Röcke stellen sie dem schau 'nden Mond
Wie grause Geister dar. Oh, wer nun sehen mag[444]
Den hohen Feldherrn der verlornen Schar
Von Wacht zu Wacht, von Zelt zu Zelte wandeln,
Der rufe: »Preis und Ruhm sei seinem Haupt!«
Denn er geht aus, besucht sein ganzes Heer,
Beut mit bescheidnem Lächeln guten Morgen
Und nennt sie Brüder, Freunde, Landesleute.
Auf seinem königlichen Antlitz ist
Kein Merkmal, welch ein furchtbar Heer ihn drängt,
Noch widmet er ein Tüttelchen von Farbe
Der schläfrigen und ganz durchwachten Nacht;
Nein, er sieht frisch und übermannt die Schwäche
Mit frohem Schein und holder Majestät,
Daß jeder Arme, bleich gehärmt zuvor,
Ihn sehend, Trost aus seinen Blicken schöpft:
Und allgemeine Gaben, wie die Sonne,
Erteilet jedem sein freigebig Auge,
Auftauend kalte Furcht. Drum, Hoh' und Niedre,
Seht, wie Unwürdigkeit ihn zeichnen mag,
Den leichten Abriß Heinrichs in der Nacht.
So muß zum Treffen unsre Szene fliegen,
Wo wir (o Schmach!) gar sehr entstellen werden
Mit vier bis fünf zerfetzten schnöden Klingen,
Zu lächerlichem Balgen schlecht geordnet,
Den Namen Agincourt. Doch sitzt und seht,
Das Wahre denkend, wo sein Scheinbild steht.
Ab.
Ausgewählte Ausgaben von
König Heinrich V.
|
Buchempfehlung
Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro