Vierte Szene

[760] London. Ein Zimmer im Palast.


Königin Elisabeth und Rivers treten auf.


RIVERS.

Was hat Euch, gnäd'ge Frau, so schnell verwandelt?

KÖNIGIN ELISABETH.

Wie, Bruder Rivers? Müßt Ihr's erst erfahren,

Welch Unglück König Eduard jüngst betroffen?

RIVERS.

Verlust von einem Treffen gegen Warwick?

KÖNIGIN ELISABETH.

Nein, seiner fürstlichen Person Verlust.

RIVERS.

So ward mein Fürst erschlagen?

KÖNIGIN ELISABETH.

Ja, fast erschlagen: denn er ward gefangen,

Sei's, daß der Wachen Falschheit ihn verriet,

Sei's, daß der Feind ihn jählings überfallen;

Und, wie man ferner meldet, ist er nun

Beim Erzbischof von York in Haft, dem Bruder

Des grimmen Warwick, folglich unserm Feind.

RIVERS.

Ich muß gestehn, die Zeitung ist betrübt.

Doch, gnäd'ge Fürstin, müßt Ihr nicht verzagen:

Vom Warwick kann der Sieg zu uns sich schlagen.

KÖNIGIN ELISABETH.

Bis dahin muß mein Leben Hoffnung tragen.

Und der Verzweiflung wehr' ich gern aus Liebe

Zu Eduards Sprößling unter meinem Herzen.

Das ist's, was Leidenschaft mich zügeln lehrt

Und milde tragen meines Unglücks Kreuz;

Ja, darum zieh' ich manche Träne ein

Und hemme Seufzer, die das Blut wegsaugen,

Damit sie nicht ertränken und verderben

Den Sprößling Eduards, Englands echten Erben.[760]

RIVERS.

Doch, gnäd'ge Frau, wo kam denn Warwick hin?

KÖNIGIN ELISABETH.

Man meldet mir, daß er nach London zieht,

Nochmals die Kron' auf Heinrichs Haupt zu setzen.

Das Weitre magst du selber raten nun:

Die Freunde König Eduards müssen fallen.

Doch der Gewalt des Wütrichs vorzubeugen

(Denn dem trau' nie, der einmal Treue brach),

Will ich von hier sogleich zur Freistatt hin,

Von Eduards Recht den Erben mind'stens retten;

Da bleib' ich sicher vor Gewalt und Trug.

Komm also auf die Flucht, weil sie noch offen:

Von Warwicks Hand ist nur der Tod zu hoffen.

Beide ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 760-761.
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