[995] Vor dem Zimmer des Staatsrats.
Cranmer tritt auf. Türsteher und Bediente draußen wartend.
CRANMER.
's ist, hoff' ich, nicht zu spät, und doch empfahl mir
Der Bote, den der Staatsrat mir gesandt,
So große Eil' – Noch zu? Was heißt das? He! –
Wer hat den Dienst? Ihr kennt mich doch?
TÜRSTEHER.
O ja,
Mylord; doch kann ich Euch nicht helfen.
CRANMER.
Wie! –
TÜRSTEHER.
Ihr müßt noch stehn, Mylord, bis man Euch ruft.
CRANMER.
So? –
Doktor Butts tritt auf.
BUTTS für sich.
Nun, das ist rechte Bosheit! Ich bin froh,
Daß ich zum Glück den Weg hier nahm. – Der König
Soll dies sogleich erfahren.
Ab.
CRANMER.
Das ist Butts,
Des Königs Arzt. Als er vorüberging,
Wie ernst er seinen Blick auf mich geheftet!
Wenn er nur nicht mein Unglück weiß! Gewiß ist's
Absichtlich angelegt durch meine Feinde
(Gott beßre sie, nie reizt' ich ihre Tücke! –)
Zu meinem Schimpf; sonst schämten sie sich wohl,
Mich vor der Tür zu lassen, ihresgleichen[995]
Im Staatsrat, unter Troß und Knechten. Mag
Ihr Wille doch geschehn, ich warte ruhig
Der König und Butts, oben am Fenster.
BUTTS.
Ich zeig' Eur' Hoheit den seltsamsten Auftritt ...
KÖNIG.
Was meinst du?
BUTTS.
Ich denk', Eur' Hoheit sah dies wohl nicht oft.
KÖNIG.
Zum Element! Wo ist's? –
BUTTS.
Seht hier, mein Fürst,
Das Standserhöhn Mylords von Canterbury,
Der Fuß gefaßt am Tor, mit Häschern, Pagen
Und Dienertroß.
KÖNIG.
Ha, wirklich! Er ist's selbst!
Auf solche Weise ehren sie einander?
Gut, daß doch einer höher ist. Ich dachte,
Sie alle hätten so viel Sinn für Recht
(Zum mind'sten gute Sitte), nicht zu dulden,
Daß solches Rangs ein Mann, und uns so nah,
Hier ihrer Gnaden Wohlgefall'n erwarte,
Und an der Tür, wie 'n Postknecht mit Paketen!
Butts, bei der Mutter Gott's, so handeln Schufte!
Doch laß sie nur, ziehn wir den Vorhang zu,
Wir werden weiter sehn. –
Das Zimmer des Staatsrats. Der Lord Kanzler setzt sich oben an die Tafel zur Linken; ein Sitz über ihm bleibt leer, als der dem Erzbischof von Canterbury gehört. Die Herzoge von Norfolk, Suffolk, Surrey, der Lord Kämmerer und der Bischof von Winchester setzen sich nach der Ordnung zu beiden Seiten der Tafel. Cromwell als Sekretär zu unterst.
KANZLER.
Beginnt den Vortrag jetzt, Herr Sekretär.
Was führt uns heut zusammen?
CROMWELL.
Gnäd'ge Herrn,
Der Fall betrifft Mylord von Canterbury.
GARDINER.
Gab man ihm Nachricht?
CROMWELL.
Ja.
NORFOLK.
Wer wartet dort?
TÜRSTEHER.
Dort außen?
GARDINER.
Ja.[996]
TÜRSTEHER.
Nun, der Herr Erzbischof,
Der Eures Winks seit einer Stunde harrt.
KANZLER.
Laßt ihn herein!
TÜRSTEHER.
Eu'r Gnaden kann jetzt kommen.
Cranmer nähert sich der Versammlung.
KANZLER.
Werter Herr Erzbischof! – Mit tiefem Kummer
Sitz' ich allhier und sehe jenen Stuhl
Erledigt; doch wir alle sind nur Menschen,
Schwachheit ist unser Erb', und wen'ge nur,
Weil noch im Fleisch, sind Engel. Welche Schwachheit
Uund blöde Weisheit Euch zumal verführt,
Der uns das beste Beispiel sollte geben,
Euch zu versünd'gen, und fürwahr, nicht leicht!
Zuerst am König; dann am Recht, indem
Das Reich durch Euch und Eurer Pfarrherrn Lehre
(Denn so verlautet's) neuer Irrtum füllt,
Sektierung und Gefahr, kurz, Ketzerei,
Die, nicht gedämpft, Verderbnis muß erzeugen.
GARDINER.
Und solche Dämpfung tut uns eilend not,
Ihr edlen Herrn; wer wilde Hengste zähmt,
Dem reicht die Hand nicht aus, sie fromm zu ziehn,
Er zwängt ihr Haupt mit scharfem Zaum und spornt sie,
Bis sie der Führung weichen. Dulden wir
Nach unsrer Lässigkeit und kind'scher Sorgfalt
Für eines Mannes Ruf solch schnöde Pest,
Dann, Heilkunst, fahre wohl! Was wird die Folge?
Aufruhr, Empörung, allgemeine Seuche
Des ganzen Staats, wie kürzlich unsre Nachbarn
Im niedern Deutschland teuer g'nug bezeugt,
Die noch ganz neulich unsern Schmerz erregt.
CRANMER.
Ich habe treu bisher gekämpft, Mylords,
In meines Amts und Lebens ganzem Fortgang,
Und nicht mit kleiner Mühe, daß mein Wort
Und meines Lehreransehns strenger Gang
Die gleiche Bahn bewahrten, und das Gute
Blieb stets mein Ziel; auch lebt auf Erden wohl –
Das sag' ich treuen Herzens, edle Lords –[997]
Nicht einer, der die Störer heim'schen Friedens
Mehr haßt als ich, noch ihnen mehr entgegnet.
Gott geb', es diente keiner je dem König
Mit mind'rer Treu' und Liebe! Wem der Neid,
Die krumme Arglist Nahrung gibt, des Biß
Wagt an die Besten sich. Ich bitt' euch, Herrn,
Laßt meine Kläger mir in dieser Sache,
Wer sie auch sei'n, hier gegenüber stehn
Und ohne Rücksicht zeugen.
SUFFOLK.
Nein, Mylord,
Das geht nicht an: Ihr seid des Staatsrats Mitglied,
Und solche Würde schützt vor aller Klage.
GARDINER.
Mylord, weil uns Bedeutenders noch obliegt,
Seid kürzlich abgefertigt! Seine Hoheit,
Nach unserm Schluß, zu beßrer Untersuchung,
Verlangt, daß Ihr Euch gleich zum Turm begebt,
Wo Ihr, Privatmann wiederum geworden,
Erfahren sollt, wieviel Ihr Kläger habt;
Und, fürcht' ich, mehr, als Ihr gewärtig seid.
CRANMER.
Ei, werter Lord von Winchester, ich dank' Euch,
Wart Ihr doch stets mein Freund; nach Eurem Wunsch
Spracht Ihr zugleich die Klage wie das Urteil,
So menschlich seid Ihr. Euer Trachten seh' ich,
's ist mein Verderben; Lieb' und Nachsicht, Lord,
Ziemt frommen Hirten mehr, als Sucht der Ehre; –
Mit Glimpf verirrte Seelen wieder werben,
Und keine von sich stoßen. Mich zu rein'gen,
Und beugt Ihr auch mir gänzlich die Geduld,
Bleibt mir kein Zweifel, gleich wie Euch kein Skrupel
Für täglich Unrecht. Mehr noch könnt' ich sagen,
Doch mahnt die Achtung für Eu'r Amt zur Demut.
GARDINER.
Mylord, Mylord, Ihr seid ein Sektenstifter,
Das liegt am Tag; Eu'r gleißend heller Firnis
Hüllt Schwäch' und leere Worte nimmer ein.
CROMWELL.
Mylord von Winchester, verzeiht in Gnaden,
Ihr dünkt mich fast zu hart. So edle Männer,
Wenn gleich im Irrtum, sollten Nachsicht finden[998]
Für das, was sie gewesen. Grausam ist's,
Den Fallenden zu drängen.
GARDINER.
Mein Herr Schreiber,
Ich bitt' Eu'r Gnaden um Verzeihung; Ihr,
Der Schlimmst' am Tisch hier, darf so sprechen.
CROMWELL.
Wie?
GARDINER.
Kenn' ich Euch etwa nicht als zugetan
Der neuen Sekt'? Ihr seid nicht rein.
CROMWELL.
Nicht rein? –
GARDINER.
Nicht rein, sag' ich.
CROMWELL.
Wärt Ihr nur halb so ehrlich,
Dann folgt Euch Segen nach, wie jetzt die Furcht.
GARDINER.
Des frechen Worts gedenk' ich.
CROMWELL.
Immerhin,
Doch Eures frechen Lebens auch.
LORD KÄMMERER.
Zu viel! –
Ihr Herrn, hört auf!
GARDINER.
Ich bin zu End'.
CROMWELL.
Ich auch.
LORD KÄMMERER.
Was Euch betrifft, Mylord, so glaub' ich, ward
Einstimmig der Beschluß gefaßt, zum Turm
Euch als Gefangnen schleunig abzusenden,
Wo Ihr verbleibt, bis fernrer Auftrag uns
Vom König kommt. Mylords, sind alle einig?
ALLE.
Das sind wir.
CRANMER.
Ist für mich kein mildrer Weg,
Muß ich durchaus zum Turm, ihr Herrn?
GARDINER.
Welch andrer
Bleibt wohl für Euch? Ihr seid sehr überlästig!
Ruft von der Wache wen hieher!
CRANMER.
Für mich?
So stellt ihr mich Verrätern gleich?
Es treten einige von der Wache in den Saal.
GARDINER.
Empfangt ihn
Und führt ihn in den Turm!
CRANMER.
Halt, gute Lords![999]
Gönnt mir zwei Worte noch! – Seht, werte Herrn,
Kraft dieses Ringes nehm' ich meine Sache
Aus böser Menschen Klau'n und gebe sie
Einem höhern Richter, meinem Herrn und König.
LORD KÄMMERER.
Das ist des Königs Ring.
SURREY.
's ist kein verfälschter.
SUFFOLK.
Der echte Ring; bei Gott, ich sagt' euch allen,
Als ihr versucht, den schlimmen Fels zu rollen,
Er träf' uns selbst zuletzt.
NORFOLK.
Glaubt ihr, Mylords,
Der König lasse diesem Mann auch nur
Den kleinen Finger kränken?
LORD KÄMMERER.
Nur zu wahr!
Und wie viel mehr liegt ihm an diesem Leben!
Ich wollt', ich wär' heraus.
CROMWELL.
Mir wird es klar,
Als ihr noch Kundschaft suchtet und Verdacht
Wider solchen Mann, des Redlichkeit allein
Der Teufel und sein Anhang sieht mit Neid,
Ihr schürtet selbst das Feuer, das euch brennt:
Nun mögt ihr's haben! –
Der König tritt herein und sieht mit zürnenden Blicken auf die Herren vom Staatsrat. Dann setzt er sich.
GARDINER.
Erhabner Fürst, wie danken wir's dem Himmel
Alltäglich, der uns solchen Herrn gegönnt,
Nicht nur höchst weis' und gut, doch fromm vor allem:
Ein König, der die Kirch' in seiner Demut
Zum Ziel des höchsten Ruhms sich wählt und selbst,
Um solche Pflicht zu kräft'gen, voller Huld
Der heut'gen Sitzung naht, um ihren Rechtsfall
Mit jenem Hauptverbrecher zu vernehmen.
KÖNIG.
Lobreden aus dem Stegreif scheint Eu'r Fach,
Bischof von Winchester; doch komm« ich nicht,
Solch Schmeicheln mir ins Antlitz jetzt zu hören,
Zu dünn und schal, die Bosheit zu verhüllen.
Ihr reicht nicht hoch genug – dem Schoßhund ähnlich,
Meint Ihr mit Zungenspiel mich zu gewinnen;[1000]
Doch wie du auch mich nimmst, ich bin gewiß,
Du hegst grausame, blut'ge Sinnesart. –
Setz' dich, mein guter Cranmer. Nun, laßt sehn!
Laßt nun den Kecksten, der am meisten wagt,
Nur seinen Finger heben wider dich!
Beim Himmel! besser tat' er, zu verhungern,
Als dächt' er, dieser Platz sei dir zu gut.
SURREY.
Gefall' Eu'r Hoheit, –
KÖNIG.
Nein, Sir, es mißfällt mir.
Ich dacht', ich hätte Männer von Verstand
Und Einsicht hier im Rat, doch täuscht' ich mich.
War's klug getan, ihr Herrn, hier diesen Mann,
Den guten Mann – wen nennt' ich so von euch?
Den Ehrenmann, gleich einem lump'gen Knecht
Stehn lassen vor der Tür? Ihn, der euresgleichen? –
Ei, welche Schmach! Hieß meine Vollmacht nur
So gänzlich euch vergessen? Ich erlaubt' euch,
Ihn zum Verhör zu ziehn als meinen Staatsrat,
Nicht als 'nen Burschen. Zwar, ich seh' hier manchen,
Der mehr aus Arglist denn aus reinem Eifer,
Vermöcht' er's, ihm das Ärgste zuerkennte:
Allein das sollt ihr nie, weil ich noch lebe.
KANZLER.
Bis hieher, höchster Herr, vergönn Eu'r Hoheit
Den Hergang zu entschuld'gen. Was beliebt ward,
Anlangend sein Gefängnis, traf vielmehr,
Wenn Treu' und Glauben gelten, ein Verhör
Und Rein'gung vor der Welt, als bösen Zweck;
In mir zum mind'sten.
KÖNIG.
Ehrt ihn denn, ihr Herrn;
So nehmt ihn auf und liebt ihn, er verdient es.
Ich sage nur so viel von ihm: kann je
Ein Fürst dem Untertan verpflichtet sein,
Bin ich es ihm für seine Lieb' und Dienste;
Macht keine Umstand' mehr, umarmt ihn alle;
Seid Freunde, schämt euch, Lords! – Lord Canterbury,
Ich hab' 'ne Bitt' an Euch, versagt mir's nicht:
Noch fehlt die Tauf' 'nem art'gen kleinen Fräulein,
Ihr müßt Gevatter sein und sie vertreten.[1001]
CRANMER.
Der größte König würd' erfreut und stolz
Durch solche Ehre; wie verdien' ich so viel! –
Ich, Eu'r geringer, schwacher Untertan.
KÖNIG.
Geht, geht, Mylord; ich glaub', Ihr spartet gern
Die Patenlöffel – Ich besorg' Euch noch
Zwei würdige Gehülfen: Lady Norfolk
Und Marquis Dorsets Frau: gefällt's Euch so?
Noch einmal, Mylord Winchester, ich sag's Euch,
Küßt diesen Mann und liebt ihn!
GARDINER.
Brüderlich
Und treues Herzens seid umarmt!
CRANMER.
Der Himmel
Bezeug' es, wie mich dieses Wort erfreut!
KÖNIG.
Du Redlicher!
Die Freudenträne zeigt dein treues Herz.
Des Volkes Stimme seh' ich hier bewährt,
Die oft gesagt: Spielt Mylord Canterbury
'nen schlimmen Streich, dann habt Ihr ihn zum Freund.
Kommt, Herrn, die Zeit ist edel, mich verlangt,
Als Christin meine Kleine bald zu sehn.
Doch ihr bleibt einig, wie ihr jetzt euch zeigt,
Daß meine Macht wie eure Wohlfahrt steigt!
Alle ab.
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
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