Erste Szene

[934] Straße.


Zwei Edelleute treten auf, von verschiedenen Seiten.


ERSTER.

Wohin so eilig?

ZWEITER.

Oh! Gott grüß' Euch! Grade

Zur Halle ging ich, um das Schicksal forschend

Des großen Herzog Buckingham.

ERSTER.

Ich spar' Euch

Die Mühe, Sir; 's ist alles schon geschehn.

Jetzt wird er heimgeführt.

ZWEITER.

Ihr wart zugegen?

ERSTER.

Ja wohl!

ZWEITER.

Dann, bitt' Euch, sagt, wie war der Hergang?

ERSTER.

Das rät sich leicht!

ZWEITER.

Erkannte man ihn schuldig?

ERSTER.

Nun allerdings, und sprach sogleich sein Urteil.

ZWEITER.

Das geht mir nah!

ERSTER.

Das tut es vielen andern.

ZWEITER.

Doch jetzt erzählt: wie trug sich alles zu?

ERSTER.

Ich meld's Euch kürzlich. Vor die Schranken trat

Der große Herzog, wo auf alle Klagen

Er seine Unschuld scharf verfocht und Gründe

Anhäuft', um dem Gesetz sich zu entziehn.

Des Königs Anwalt dahingegen drang

Auf das Verhör, den Eid, das Eingeständnis

Verschiedner Zeugen, die sogleich der Herzog

Persönlich ihm vor Augen bat zu führen:

Worauf sein Hausvogt wider ihn erschien,

Sir Gilbert Peck, sein Kanzler, und John Court,[934]

Sein Beicht'ger; ferner jener Teufelsmönch,

Hopkins, der schuld an allem.

ZWEITER.

Eben der,

Der ihn getäuscht mit Prophezei'n?

ERSTER.

Derselbe.

Sie klagten sämtlich hart ihn an. Gern hätt' er

Sie von sich abgelehnt, doch konnt' er's nicht;

Und also sprachen, nach sotanem Zeugnis,

Ihn seine Pairs des Hochverrates schuldig.

Viel und Gelehrtes sprach er für sein Leben,

Doch ward's bedauert aber nicht beachtet.

ZWEITER.

Und nach dem allen, wie betrug er sich?

ERSTER.

Als vor die Schrank' er wieder trat und hörte

Sein Grabgeläut', sein Urteil, da erfaßt' ihn

Die Todesangst; ihm brach der Schweiß hervor,

Und sprach im Zorn ein Wen'ges, schlecht und hastig.

Doch kehrt' er bald zu sich zurück und blieb

Höchst edel und gefaßt, bis ganz zu Ende.

ZWEITER.

Er scheut den Tod wohl nicht?

ERSTER.

Gewißlich nicht.

So weibisch war er nie; obwohl die Ursach'

Ihn sicherlich muß kränken.

ZWEITER.

Zuverlässig

War hier der Kardinal im Spiel.

ERSTER.

So scheint es

Nach allem Fug: zuerst Kildairs Anklage,

Der erst Regent in Irland war, dem, abgerufen,

Lord Surrey folgt', und zwar in großer Eil',

Damit er nicht dem Vater hülf'.

ZWEITER.

Welch hämischer

Verborgner Streich der Staatskunst!

ERSTER.

Kehrt er heim,

Wird er Vergeltung üben. Allgemein

Ist schon bekannt, daß, wem der König günstig,

Dem suche flugs der Kardinal ein Amt,

Das fern genug vom Hof.

ZWEITER.

All die Gemeinen

Sind ihm von Herzen gram und säh'n ihn gern[935]

Zehn Klafter tief: so wie sie Lieb' und Treu'

Dem Herzog schenkten, der ihr güt'ger Buckingham

Bei ihnen heißt und aller Sitte Spiegel.

ERSTER.

Verweilt! Dort kommt der arme, würd'ge Pair.


Buckingham tritt auf, von seinem Verhör kommend. Gerichtsdiener gehen vor ihm, die Schneide ihrer Beile gegen ihn gekehrt. Hellebardierer auf beiden Seiten. Ihm folgen Sir Thomas Lovell, Sir Nikolas Vaux, Sir William Sands. Volk.


ZWEITER.

Kommt näher; seh'n wir ihn!

BUCKINGHAM.

Ihr guten Leute,

Die mich voll Mitleid also weit begleitet,

Hört mich, und dann geht heim, vergesset mich!

Mir ist Verräters Urteil heut gesprochen,

Und dies gibt mir den Tod. Doch weiß der Himmel,

Und hab' ich ein Gewissen, treff' es mich,

So wie die Axt fällt, war ich jemals treulos!

Den Richtern groll' ich nicht um meinen Fall;

Sie übten Recht nur, nach der Sache Hergang.

Doch, die's veranlaßt, wünscht' ich beßre Christen! –

Wie sie auch sei'n, verzeih' ich ihnen gern;

Nur, daß sie nie mit ihrem Unheil prahlen,

Noch ihre Bosheit baun aufs Grab der Großen;

Dann schriee wider sie mein schuldlos Blut.

Auf längres Leben hoff' ich nicht hienieden,

Noch fleh' ich drum, ist gleich der König reicher

An Huld als ich an Fehlen. Ihr Getreuen,

Die ihr's noch wagt, um Buckingham zu weinen,

Ihr edlen Freund' und Brüder, deren Abschied

Allein ihm bitter wird, allein'ger Tod,

Folgt mir, gleich guten Engeln, hin zum Tode:

Und wie der Stahl mich trifft, die lange Scheidung,

Laßt eu'r Gebet ein lieblich Opfer steigen

Und hebt die Seel' empor gen Himmel. Weiter,

In Gottes Namen! –

LOVELL.

Ich ersuch' Eu'r Gnaden,

Wenn jemals gegen mich ein Haß verborgen

In Eurer Brust, vergebt mir ohne Rückhalt![936]

BUCKINGHAM.

Sir Thomas, ich vergeb' Euch, wie mir selber

Vergeben werde; ich vergebe allen.

Es gibt so ungezähltes Unrecht nicht

An mir, das ich nicht könnt' entsühnen; sicher

Soll schwarzer Haß mein Grab nicht baun. Empfehlt mich

Dem König; und spricht er von Buckingham,

Sagt ihm, er war schon halb im Himmel. Stets

Sind meine Wünsch' und Bitten ganz des Königs

Und werden, bis die Seele mich verläßt,

Um Segen für ihn flehn. Er lebe länger,

Als Zeit mir bleibt, zu zählen seine Jahre! –

Sein Walten sei stets liebreich und geliebt!

Und führt ihn Alter spät dereinst hinab,

Erfüllen Herzensgüt' und er ein Grab! –

LOVELL.

Zur Wasserseite soll ich Euch geleiten,

Dann übernimmt mein Amt Sir Niclas Vaux,

Der Euch zu Eurem Ende führt.

VAUX.

Macht Anstalt;

Der Herzog kommt: seid mit dem Boot bereit

Und ziert es aus mit Schmuck, wie sich's geziemt

Für seine fürstliche Person.

BUCKINGHAM.

Nein, Sir,

Laßt gut sein; jetzund höhnt mein Rang mich nur.

Ich kam hieher als Lord Groß-Connetable,

Herzog von Buckingham; jetzt bin ich nur

Der arme Eduard Bohun; und reicher dennoch

Als die Elenden, die mich angeklagt

Und Wahrheit nie gekannt. Ich geb' ihr Zeugnis

Mit meinem Blut, um das sie einst noch ächzen.

Mein edler Vater, Heinrich Buckingham,

Der gegen Richards Tyrannei zuerst stritt,

Als er entflohn zu seinem Diener Banister,

Fand, weil in Not, Verrat durch diesen Buben

Und fiel ohn' Untersuchung: Gott sei mit ihm!

Der sieb'te Heinrich dann, wahrhaft bekümmert

Ob meines Vaters Mord, der edle König,

Gab Ehre mir und Gut zurück und schuf mir

Aus Trümmern doppelt hellen Glanz. Jetzt rafft[937]

Sein Sohn, Heinrich der Achte, Leben, Ehre

Und Nam' und was mich glücklich je gemacht,

Mit einem Streich auf ewig aus der Welt.

Mir gönnte man gerichtliches Verhör,

Und zwar ein wahrhaft edles, das beglückt mich

Ein wenig mehr als meinen armen Vater.

Doch sonst ward beiden gleiches Los: wir beide

Gestürzt durch Diener, durch die liebsten Männer!

Höchst treulos, unnatürliche Vergeltung! –

Der Himmel legt in alles Zweck. Ihr aber

Nehmt diese Warnung von dem Sterbenden:

Wo Lieb' ihr und Vertrau'n freigebig schenkt,

Bewahrt die Zung': die ihr zu Freunden macht,

Die Herzen ihnen gebt, gewahren sie

Den kleinsten Stoß an eurem Glück, sie rollen

Wie Wellen von euch fort, nur wiederkehrend,

Euch zu verschlingen. All ihr guten Menschen,

Betet für mich! Ich geh'! Die letzte Stunde

Des müden, langen Lebens hat geschlagen.

Lebt wohl!

Und wollt ihr Trauriges einmal erzählen,

Sagt, wie ich fiel. – So schließ' ich. Gott verzeih' mir! –


Buckingham und Gefolge ab.


ERSTER.

Oh, dies ist jammervoll! Dies, fürcht' ich, ruft

Zu viele Flüch' auf aller Haupt, die solches

Veranlaßt.

ZWEITER.

Wenn der Herzog schuldlos stirbt,

Ist's grau'nvoll; doch ich könnt' Euch Winke geben

Von einem nahen Übel, das, eintretend,

Noch größer wäre.

ERSTER.

Schützt uns, gute Geister!

Was kann es sein? Mißtraut nicht meiner Treu'; –

ZWEITER.

So wichtiges Geheimnis heischt bewährte

Verschwiegenheit, es zu verschließen.

ERSTER.

Gönnt mir's;

Ich rede wenig.

ZWEITER.

Wohl, ich will Euch traun.[938]

Hört an: Vernahmt Ihr nicht vor wenig Tagen

Ein heimlich Munkeln über nahe Scheidung

Des Königs von Kathrinen?

ERSTER.

Ja, doch schwand es wieder:

Der König, als er kaum davon gehört,

Hat zornig dem Lord Mayor Befehl gesandt,

Zu hemmen solch Gerücht und schnell zu bänd'gen

Die Zungen, die's verbreitet.

ZWEITER.

Dennoch, Sir,

Ward jenes Lästern Wahrheit; denn aufs neu'

Erhebt sich's stärker, und man glaubt gewiß

Den König schon bestimmt. Der Kardinal,

Wo nicht, vom Hof ein andrer, weckt in ihm,

Die gute Füstin hassend, solche Skrupel,

Die ihr Verderben drohn; und nun erwägt

Des Kardinals Campejus neulich Kommen,

Das alle hierauf deuten.

ERSTER.

's ist allein

Der Kardinal, der Rache sucht am Kaiser,

Weil ihm das Erzbistum Toledo nicht

Auf sein Gesuch von jenem ward gewährt.

ZWEITER.

Ich denk', Ihr traft den Fleck. Doch ist's nicht grausam,

Daß sie dies büßen muß? Der Kardinal

Folgt seinem Sinn: drum fällt sie.

ERSTER.

's ist betrübt.

Wir stehn zu offen hier für solch Gespräch;

Laßt uns daheim noch ferner drüber denken.


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 934-939.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Heinrich VIII.
König Heinrich VIII. / King Henry VIII.

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon