[835] Ein Zimmer im Palast.
Der Erzbischof von York, der junge Herzog von York, Königin Elisabeth und die Herzogin von York treten auf.
ERZBISCHOF.
Sie lagen, hör' ich, nachts zu Northampton;
Zu Stony-Stratford soll'n sie heute sein,
Und morgen oder übermorgen hier.
HERZOGIN.
Von Herzen sehr verlangt mich nach dem Prinzen.
Seit ich ihn sah, ist er gewachsen, hoff' ich.
ELISABETH.
Ich höre, nein: sie sagen, mein Sohn York
Hat fast in seinem Wuchs ihn eingeholt.
YORK.
Ja, Mutter; doch ich wollt', es wär' nicht so.
HERZOGIN.
Warum, mein Enkel? Wachsen ist ja gut.
YORK.
Großmutter, einmal speisten wir zu Nacht,
Da sprach mein Oheim Rivers, wie ich wüchse
Mehr als mein Bruder; »Ja«, sagt' Oheim Gloster,
»Klein Kraut ist fein, groß Unkraut hat Gedeihn.«[835]
Seitdem nun möcht' ich nicht mit Wachsen eilen,
Weil Unkraut schießt und süße Blumen weilen.
HERZOGIN.
Fürwahr, fürwahr! das Sprichwort traf nicht zu
Bei ihm, der selbiges dir vorgerückt:
Er war als Kind das jämmerlichste Ding,
Er wuchs so langsam und so spät heran,
Daß, wär' die Regel wahr, er müßte fromm sein.
ERZBISCHOF.
Auch zweifl' ich nicht, das ist er, gnäd'ge Frau.
HERZOGIN.
Ich hoff', er ist's; doch laßt die Mutter zweifeln.
YORK.
Nun, meiner Treu, hätt' ich es recht bedacht,
So konnt' ich auch dem gnäd'gen Ohm sticheln
Auf seinen Wachstum, mehr als er auf meinen.
HERZOGIN.
Wie, junger York? Ich bitte, laß mich's hören.
YORK.
Ei, wie sie sagen, wuchs mein Oheim so schnell,
Daß er, zwei Stunden alt, schon Rinden nagte;
Zwei volle Jahre hatt' ich keinen Zahn.
Großmutter, beißend wär' der Spaß gewesen.
HERZOGIN.
Mein art'ger York, wer hat dir das gesagt?
YORK.
Großmutter, seine Amme.
HERZOGIN.
Ei, die war tot, eh' du geboren warst.
YORK.
Wenn sie's nicht war, so weiß ich es nicht mehr.
ELISABETH.
Ein kecker Bursch! – Geh, du bist zu durchtrieben.
ERZBISCHOF.
Zürnt nicht mit einem Kinde, gnäd'ge Frau.
ELISABETH.
Die Krüge haben Ohren.
Ein Bote tritt auf.
ERZBISCHOF.
Da kommt ein Bote, seht. – Was gibt es Neues?
BOTE.
Mylord, was anzumelden mich betrübt.
ELISABETH.
Was macht der Prinz?
BOTE.
Er ist gesund und wohl.
HERZOGIN.
Was bringst du sonst?
BOTE.
Lord Rivers und Lord Grey sind fort nach Pomfret,
Benebst Sir Thomas Vaughan, als Gefangne.
HERZOGIN.
Und wer hat sie verhaftet?
BOTE.
Die mächt'gen Herzoge, Gloster und Buckingham.
ELISABETH.
Für welch Vergeh'n?
BOTE.
Was ich nur weiß und kann, eröffnet' ich.[836]
Warum, wofür die Herrn verhaftet sind,
Ist gänzlich unbenannt mir, gnäd'ge Fürstin.
ELISABETH.
Weh mir! Ich sehe meines Hauses Sturz.
Der Tiger hat das zarte Reh gepackt;
Verwegne Tyrannei beginnt zu stürmen
Auf den harmlosen, ungescheuten Thron.
Willkommen, Blut, Zerstörung, Metzelei!
Ich sehe, wie im Abriß, schon das Ende.
HERZOGIN.
Verfluchte Tage unruhvollen Zanks!
Wie manchen euer sah mein Auge schon!
Mein Gatte ließ sein Leben um die Krone,
Und meine Söhne schwankten auf und ab:
Gewinn, Verlust gab Freude mir und Weh.
Nun, da sie eingesetzt, und Bürgerzwist
Ganz weggeräumt, bekriegen selber sie,
Die Sieger selber, sich; Bruder mit Bruder,
Blut mit Blut, Selbst gegen Selbst. – O du verkehrte,
Wahnsinn'ge Wut, laß den verruchten Grimm,
Sonst laß mich sterben, nicht den Tod mehr schaun!
ELISABETH.
Komm, komm, mein Kind, wir suchen heil'ge Zuflucht.-
Gehabt Euch wohl!
HERZOGIN.
Bleibt noch, ich gehe mit.
ELISABETH.
Ihr habt nicht Ursach'.
ERZBISCHOF zur Königin.
Gnäd'ge Fürstin, geht
Und nehmet Euren Schatz und Güter mit.
Für mein Teil geb' ich mein vertrautes Siegel
Eu'r Hoheit ab; und mög' es wohl mir gehn,
Wie ich Euch wohl will und den Euren allen!
Kommt, ich geleit' Euch zu der heil'gen Zuflucht.
Alle ab.[837]
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard III.
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