[829] Ebendaselbst.
Die Herzogin von York tritt auf mit des Clarence Sohn und Tochter.
SOHN.
Großmutter, sagt uns, ist der Vater tot?
HERZOGIN.
Nein, Kind.
TOCHTER.
Was weint Ihr denn so oft und schlagt die Brust?
Und ruft: »O Clarence! Unglücksel'ger Sohn!«
SOHN.
Was seht Ihr so und schüttelt Euren Kopf
Und nennt uns arme, ausgestoßne Waisen,
Wenn unser edler Vater noch am Leben?
HERZOGIN.
Ihr art'gen Kinder mißversteht mich ganz.
Des Königs Krankheit jammr' ich, sein Verlust
Macht Sorge mir; nicht eures Vaters Tod:
Verloren wär' der Gram um den Verlornen.
SOHN.
So wißt Ihr ja, Großmutter, er sei tot.
Mein Ohm, der König, ist darum zu schelten;
Gott wird es rächen: ich will in ihn dringen
Mit eifrigem Gebet um einzig dies.
TOCHTER.
Das will ich auch.
HERZOGIN.
Still, Kinder, still! Der König hat euch lieb;
Unschuldige, harmlose Kleinen ihr,
In eurer Einfalt könnt ihr nicht erraten,
Wer eures Vaters Tod verschuldet hat.[829]
SOHN.
Großmutter, doch! Vom guten Oheim Gloster
Weiß ich, der König, von der Königin
Gereizt, sann Klagen aus, ihn zu verhaften.
Und als mein Oheim mir das sagte, weint' er,
Bedau'rte mich und küßte meine Wange.
Hieß mich auf ihn vertraun als einen Vater,
Er wolle lieb mich haben als sein Kind.
HERZOGIN.
Ach, daß der Trug so holde Bildung stiehlt
Und Bosheit mit der Tugend Larve deckt!
Er ist mein Sohn, und hierin meine Schmach,
Doch sog er nicht an meiner Brust den Trug.
SOHN.
Denkt Ihr, mein Ohm verstellte sich, Großmutter?
HERZOGIN.
Ja, Kind.
SOHN.
Ich kann's nicht denken. Horch, was für ein Lärm
Königin Elisabeth tritt auf, außer sich; Rivers und Dorset folgen ihr.
ELISABETH.
Wer will zu weinen mir und jammern wehren,
Mein Los zu schelten und mich selbst zu plagen?
Bestürmen mit Verzweiflung meine Seele
Und selber meine Feindin will ich sein.
HERZOGIN.
Wozu der Auftritt wilder Ungeduld?
ELISABETH.
Zu einem Aufzug trag'schen Ungestüms:
Der König, mein Gemahl, dein Sohn, ist tot.
Was blühn die Zweige, wenn der Stamm verging?
Was welkt das Laub nicht, dem sein Saft gebricht?
Wollt Ihr noch leben? Jammert! Sterben? Eilt!
Daß unsre Seelen seiner nach sich schwingen,
Ihm folgend wie ergebne Untertanen
Zu seinem neuen Reich der ew'gen Ruh'.
HERZOGIN.
Ach, so viel Teil hab' ich an deinem Leiden,
Als Anspruch sonst an deinem edlen Gatten.
Ich weint' um eines würd'gen Gatten Tod
Und lebt' im Anblick seiner Ebenbilder;
Nun sind zwei Spiegel seiner hohen Züge
Zertrümmert durch den bösgesinnten Tod;
Mir bleibt zum Troste nur ein falsches Glas,
Worin ich meine Schmach mit Kummer sehe.
Zwar bist du Witwe, doch du bist auch Mutter,[830]
Und deiner Kinder Trost ward dir gelassen:
Mir riß der Tod den Gatten aus den Armen
Und dann zwei Krücken aus den schwachen Händen,
Clarence und Eduard. O wie hab' ich Grund,
Da deins die Hälfte meines Leids nur ist,
Dein Wehgeschrei durch meins zu übertäuben!
SOHN.
Ach, Muhm', Ihr weintet nicht um unsern Vater:
Wie hülfen wir Euch mit verwandten Tränen?
TOCHTER.
Blieb unsre Waisennot doch unbeklagt;
Sei unbeweint auch Euer Witwengram!
ELISABETH.
O steht mir nicht mit Jammerklagen bei,
Ich bin nicht unfruchtbar, sie zu gebären.
In meine Augen strömen alle Quellen,
Daß ich, hinfort vom feuchten Mond regiert,
Die Welt in Tränenfülle mög' ertränken.
Ach, weh um meinen Gatten, meinen Eduard!
DIE KINDER.
Um unsern Vater, unsern teuern Clarence!
HERZOGIN.
Um beide, beide mein, Eduard und Clarence!
ELISABETH.
Wer war mein Halt als Eduard? Er ist hin.
DIE KINDER.
Wer unser Halt als Clarence? Er ist hin.
HERZOGIN.
Wer war mein Halt als sie? Und sie sind hin.
ELISABETH.
Nie keine Witwe büßte so viel ein.
DIE KINDER.
Nie keine Waise büßte so viel ein.
HERZOGIN.
Nie keine Mutter büßte so viel ein.
Weh mir! Ich bin die Mutter dieser Leiden:
Vereinzelt ist ihr Weh, meins allgemein.
Sie weint um einen Eduard, und ich auch;
Ich wein' um einen Clarence, und sie nicht;
Die Kinder weinen Clarence, und ich auch:
Ich wein' um einen Eduard, und sie nicht.
Ach, gießt ihr drei auf mich dreifach Geschlagne
All eure Tränen: Wärterin des Grams,
Will ich mit Jammern reichlich ihn ernähren.
DORSET.
Mut, liebe Mutter! Gott ist ungehalten,
Daß Ihr sein Tun mit Undank so empfangt.
In Weltgeschäften nennt man's undankbar,
Mit trägem Widerwillen Schulden zahlen,
Die eine milde Hand uns freundlich lieh;[831]
Viel mehr, dem Himmel so sich widersetzen,
Weil er von Euch die königliche Schuld
Zurücke fodert, die er Euch geliehn.
RIVERS.
Bedenkt als treue Mutter, gnäd'ge Frau,
Den Prinzen, Euren Sohn; schickt gleich nach ihm
Und laßt ihn krönen. In ihm lebt Euer Trost:
Das Leid senkt in des toten Eduard Grab,
Die Lust baut auf des blüh'nden Eduard Thron.
Gloster, Buckingham, Stanley, Hastings, Ratcliff und andre treten auf.
GLOSTER.
Faßt, Schwester, Euch; wir alle haben Grund,
Um die Verdunklung unsers Sterns zu jammern:
Doch niemand heilt durch Jammern seinen Harm. –
Ich bitt' Euch um Verzeihung, gnäd'ge Mutter,
Ich sah Eu'r Gnaden nicht. Demütig auf den Knie'n
Bitt' ich um Euren Segen.
HERZOGIN.
Gott segne dich! und flöße Milde dir,
Gehorsam, Lieb' und echte Treu' ins Herz!
GLOSTER.
Amen!
Und lass' als guten alten Mann mich sterben! –
Beiseit.
Das ist das Hauptziel eines Muttersegens:
Mich wundert, daß Ihr' Gnaden das vergaß.
BUCKINGHAM.
Umwölkte Prinzen, herzbeklemmte Pairs,
Die diese schwere Last des Jammers drückt!
Hegt all in eurer Lieb' einander nun.
Ist unsre Ernt' an diesem König hin,
So werden wir des Sohnes Ernte sammeln.
Der Zwiespalt eurer hochgeschwollnen Herzen,
Erst neulich eingerichtet und gefugt,
Muß sanft bewahrt, gepflegt, gehütet werden.
Mir deucht es gut, daß gleich ein klein Gefolg
Von Ludlow her den jungen Prinzen hole,
Als König hier in London ihn zu krönen.
RIVERS.
Warum ein klein Gefolg, Mylord von Buckingham?
BUCKINGHAM.
Ei, Mylord, daß ein großer Haufe nicht
Des Grolles neugeheilte Wunde reize;
Was um so mehr gefährlich würde sein,
Je mehr der Staat noch wild und ohne Führer.[832]
Wo jedes Roß den Zügel ganz beherrscht
Und seinen Lauf nach Wohlgefallen lenkt.
Sowohl des Unheils Furcht als wirklich Unheil
Muß, meiner Meinung nach, verhütet werden.
GLOSTER.
Der König schloß ja Frieden mit uns allen,
Und der Vertrag ist fest und treu in mir.
RIVERS.
So auch in mir, und so, denk' ich, in allen;
Doch weil er noch so frisch ist, sollte man
Auf keinen Anschein eines Bruchs ihn wagen,
Den viel Gesellschaft leicht befördern könnte.
Drum sag' ich mit dem edlen Buckingham,
Daß wen'ge nur den Prinzen holen müssen.
HASTINGS.
Das sag' ich auch.
GLOSTER.
So sei es denn; und gehn wir, zu entscheiden,
Wer schnell sich auf nach Ludlow machen soll. –
Fürstin und Ihr, Frau Mutter, wollt ihr gehn,
Um mitzustimmen in der wicht'gen Sache?
Alle ab außer Buckingham und Gloster.
BUCKINGHAM.
Mylord, wer auch zum Prinzen reisen mag,
Um Gottes willen, bleiben wir nicht aus:
Denn unterwegs schaff' ich Gelegenheit,
Als Eingang zu dem jüngst besprochnen Handel,
Der Königin hochmüt'ge Vetterschaft
Von der Person des Prinzen zu entfernen.
GLOSTER.
Mein andres Selbst! Du meine Ratsversammlung,
Orakel und Prophet! Mein lieber Vetter,
Ich folge deiner Leitung wie ein Kind.
Nach Ludlow denn! Wir bleiben nicht zurück.
Beide ab.
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard III.
|
Buchempfehlung
Das Trauerspiel um den normannischen Herzog in dessen Lager vor Konstantinopel die Pest wütet stellt die Frage nach der Legitimation von Macht und Herrschaft. Kleist zeichnet in dem - bereits 1802 begonnenen, doch bis zu seinem Tode 1811 Fragment gebliebenen - Stück deutliche Parallelen zu Napoleon, dessen Eroberung Akkas 1799 am Ausbruch der Pest scheiterte.
30 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro