Neunte Szene

[414] Belmont. Ein Zimmer in Porzias Hause.


Nerissa kommt mit einem Bedienten.


NERISSA.

Komm hurtig, hurtig: zieh' den Vorhang auf!

Der Prinz von Arragon hat seinen Eid

Getan und kommt sogleich zu seiner Wahl.


Trompetenstoß. Der Prinz von Arragon, Porzia und beider Gefolge.


PORZIA.

Schaut hin, da stehn die Kästchen, edler Prinz:

Wenn Ihr das wählet, das mich in sich faßt,

Soll die Vermählung gleich gefeiert werden.

Doch fehlt Ihr, Prinz, so müßt Ihr, ohne weiters,

Im Augenblick von hier Euch wegbegeben.

ARRAGON.

Drei Dinge gibt der Eid mir auf zu halten:

Zum ersten, niemals jemand kund zu tun,

Welch Kästchen ich gewählt; sodann, verfehl' ich

Das rechte Kästchen, nie in meinem Leben

Um eines Mädchens Hand zu werben; endlich,

Wenn sich das Glück zu meiner Wahl nicht neigt,

Sogleich Euch zu verlassen und zu gehn.

PORZIA.

Auf diese Pflichten schwört ein jeder, der

Zu wagen kommt um mein geringes Selbst.

ARRAGON.

Und so bin ich gerüstet. Glück, wohlauf

Nach Herzens Wunsch! – Gold, Silber, schlechtes Blei.

»Wer mich erwählt, der gibt und wagt sein alles dran.«

Du müßtest schöner aussehn, eh' ich's täte.

Was sagt das goldne Kästchen? Ha, laßt sehn!

»Wer mich erwählt, gewinnt, was mancher Mann begehrt.«

Was mancher Mann begehrt? – Dies mancher meint vielleicht

Die Torenmenge, die nach Scheine wählt,

Nur lernend, was ein blödes Auge lehrt;

Die nicht ins Innre dringt und, wie die Schwalbe,

Im Wetter bauet an der Außenwand,

Recht in der Kraft und Bahn des Ungefährs.

Ich wähle nicht, was mancher Mann begehrt,

Weil ich nicht bei gemeinen Geistern hausen,

Noch mich zu rohen Haufen stellen will.[414]

Nun dann zu dir, du silbern Schatzgemach!

Sag mir noch 'mal die Inschrift, die du führst:

»Wer mich erwählt, bekommt so viel, als er verdient.«

Ja, gut gesagt: denn wer darf darauf ausgehn,

Das Glück zu täuschen und geehrt zu sein,

Den das Verdienst nicht stempelt? Maße keiner

Sich einer unverdienten Würde an.

O würden Güter, Rang und Ämter nicht

Verderbter Weis' erlangt, und würde Ehre

Durch das Verdienst des Eigners rein erkauft!

Wie mancher deckte dann sein bloßes Haupt!

Wie mancher, der befiehlt, gehorchte dann!

Wie viel des Pöbels würde ausgesondert

Aus reiner Ehre Saat! und wie viel Ehre

Gelesen aus der Spreu, dem Raub der Zeit,

Um neu zu glänzen! – Wohl, zu meiner Wahl!

»Wer mich erwählt, bekommt so viel, als er verdient.«

Ich halt' es mit Verdienst: gebt mir dazu den Schlüssel,

Und unverzüglich schließt mein Glück hier auf.

PORZIA.

Zu lang' geweilt, für das, was Ihr da findet.

ARRAGON.

Was gibt's hier? Eines Gecken Bild, der blinzt

Und mir 'nen Zettel reicht? Ich will ihn lesen.

O wie so gar nicht gleichst du Porzien!

Wie gar nicht meinem Hoffen und Verdienst!

»Wer mich erwählt, bekommt so viel, als er verdient.«

Verdient' ich nichts als einen Narrenkopf?

Ist das mein Preis? Ist mein Verdienst nicht höher?

PORZIA.

Fehlen und Richten sind getrennte Ämter,

Und die sich widersprechen.

ARRAGON.

Was ist hier?

»Siebenmal im Feu'r geklärt

Ward dies Silber: so bewährt

Ist ein Sinn, den nichts betört.

Mancher achtet Schatten wert,

Dem ist Schattenheil beschert.

Mancher Narr in Silber fährt,

So auch dieser, der Euch lehrt.

Nehmet, wen Ihr wollt, zum Weib,[415]

Immer trägt mich Euer Leib:

Geht und sucht Euch Zeitvertreib!«

Mehr und mehr zum Narr'n mich macht

Jede Stunde, hier verbracht.

Mit einem Narrenkopf zum Frein

Kam ich her, und geh' mit zwei'n.

Herz, leb wohl! Was ich versprach,

Halt' ich, trage still die Schmach.


Arragon mit Gefolge ab.


PORZIA.

So ging dem Licht die Motte nach!

O diese weisen Narren! wenn sie wählen,

Sind sie so klug, durch Witz es zu verfehlen.

NERISSA.

Die alte Sag' ist keine Ketzerei,

Daß Frein und Hängen eine Schickung sei.

PORZIA.

Komm, zieh' den Vorhang zu, Nerissa!


Ein Bedienter kommt.


BEDIENTER.

Wo ist mein Fräulein?

PORZIA.

Hier; was will mein Herr?

BEDIENTER.

An Eurem Tor ist eben abgestiegen

Ein junger Venezianer, welcher kommt,

Die nahe Ankunft seines Herrn zu melden,

Von dem er stattliche Begrüßung bringt;

Das heißt, nebst vielen art'gen Worten, Gaben

Von reichem Wert; ich sahe niemals noch

Solch einen holden Liebesabgesandten.

Nie kam noch im April ein Tag so süß,

Zu zeigen, wie der Sommer köstlich nahe,

Als dieser Bote seinem Herrn voran.

PORZIA.

Nichts mehr, ich bitt' dich; ich besorge fast,

Daß du gleich sagen wirst, er sei dein Vetter:

Du wendest solchen Festtagswitz an ihn.

Komm, komm, Nerissa; denn er soll mich freun,

Cupidos Herold, so geschickt und fein.

NERISSA.

Bassanio, Herr der Herzen! laß es sein!


Alle ab.[416]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 414-417.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Kaufmann von Venedig
Der Kaufmann von Venedig
Der Kaufmann von Venedig [Zweisprachig]
Der Kaufmann von Venedig
Ein Sommernachtstraum /Der Kaufmann von Venedig /Viel Lärm um nichts /Wie es euch gefällt /Die lustigen Weiber von Windsor
Der Kaufmann von Venedig: Zweisprachige Ausgabe

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon