Achte Szene

[412] Venedig. Eine Straße.


Salarino und Solanio treten auf.


SALARINO.

Ja, Freund, ich sah Bassanio unter Segel;

Mit ihm ist Graziano abgereist,

Und auf dem Schiff ist sicher nicht Lorenzo.

SOLANIO.

Der Schelm von Juden schrie den Doge auf,

Der mit ihm ging, das Schiff zu untersuchen.

SALARINO.

Er kam zu spät, das Schiff war unter Segel;

Doch da empfing der Doge den Bericht,

In einer Gondel habe man Lorenzo

Mit seiner Liebsten Jessica gesehn.

Auch gab Antonio ihm die Versich'rung,

Sie sei'n nicht mit Bassanio auf dem Schiff.

SOLANIO.

Nie hört' ich so verwirrte Leidenschaft,

So seltsam, wild und durcheinander, als

Der Hund von Juden in den Straßen ausließ:

»Mein' Tochter – mein' Dukaten – o mein' Tochter!

Fort mit 'nem Christen – o mein' christliche Dukaten!

Recht und Gericht! mein' Tochter! mein' Dukaten!

Ein Sack, zwei Säcke, beide zugesiegelt,

Voll von Dukaten, doppelten Dukaten,

Gestohl'n von meiner Tochter; und Juwelen,

Zwei Stein' – zwei reich' und köstliche Gestein'[412]

Gestohl'n von meiner Tochter! O Gerichte,

Find't mir das Mädchen! – Sie hat die Steine bei sich

Und die Dukaten.«

SALARINO.

Ja, alle Gassenbuben folgen ihm,

Und schrein: »Die Stein', die Tochter, die Dukaten!«

SOLANIO.

Daß nur Antonio nicht den Tag versäumt,

Sonst wird er hiefür zahlen.

SALARINO.

Gut bedacht!

Mir sagte gestern ein Franzose noch,

Mit dem ich schwatzte, in der engen See,

Die Frankreich trennt und England, sei ein Schiff

Von unserm Land verunglückt, reich geladen;

Ich dachte des Antonio, da er's sagte,

Und wünscht' im stillen, daß es seins nicht wär'.

SOLANIO.

Ihr solltet ihm doch melden, was Ihr hört;

Doch tut's nicht plötzlich, denn es könnt' ihn kränken.

SALARINO.

Ein beßres Herz lebt auf der Erde nicht.

Ich sah Bassanio und Antonio scheiden.

Bassanio sagt' ihm, daß er eilen wolle

Mit seiner Rückkehr: »Nein«: erwidert' er,

»Schlag' dein Geschäft nicht von der Hand, Bassanio,

Um meinetwillen, laß die Zeit es reifen.

Und die Verschreibung, die der Jude hat,

Sie komme nicht in deinen Brudersinn.

Sei fröhlich, wende die Gedanken ganz

Auf Gunstbewerbung und Bezeugungen

Der Liebe, wie sie dort dir ziemen mögen.«

Und hier, die Augen voller Tränen, wandt' er

Sich abwärts, reichte seine Hand zurück,

Und, als ergriff ihn wunderbare Rührung,

Drückt' er Bassanios Hand: so schieden sie.

SOLANIO.

Ich glaub', er liebt die Welt nur seinetwegen.

Ich bitt' Euch, laßt uns gehn, ihn aufzufinden,

Um seine Schwermut etwas zu zerstreun

Auf ein' und andre Art.

SALARINO.

Ja, tun wir das!


Beide ab.[413]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 412-414.
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