[410] Belmont. Ein Zimmer in Porzias Hause.
Trompetenstoß. Porzia und der Prinz von Marokko treten auf, beide mit Gefolge.
PORZIA.
Geht, zieht beiseit' den Vorhang, und entdeckt
Die Kästchen sämtlich diesem edlen Prinzen! –
Trefft Eure Wahl nunmehr!
MAROKKO.
Von Gold das erste, das die Inschrift hat:
»Wer mich erwählt, gewinnt, was mancher Mann begehrt.«
Das zweite, silbern, führet dies Versprechen:
»Wer mich erwählt, bekommt so viel, als er verdient.«
Das dritte, schweres Blei, mit plumper Warnung:
»Wer mich erwählt, der gibt und wagt sein alles dran.«
Woran erkenn' ich, ob ich recht gewählt?
PORZIA.
Das eine faßt mein Bildnis in sich, Prinz:
Wenn Ihr das wählt, bin ich zugleich die Eure.
MAROKKO.
So leit' ein Gott mein Urteil! Laßt mich sehn,
Ich muß die Sprüche nochmals überlesen.
Was sagt dies blei'rne Kästchen?
»Wer mich erwählt, der gibt und wagt sein alles dran.«
Der gibt – wofür? für Blei? und wagt für Blei?
Dies Kästchen droht: wenn Menschen alles wagen,
Tun sie's in Hoffnung köstlichen Gewinns.
Ein goldner Mut fragt nichts nach niedern Schlacken,
Ich geb' also und wage nichts für Blei.
Was sagt das Silber mit der Mädchenfarbe?
»Wer mich erwählt, bekommt so viel, als er verdient.«
So viel, als er verdient? – Halt' ein, Marokko,
Und wäge deinen Wert mit stäter Hand:
Wenn du geachtet wirst nach deiner Schätzung,
Verdienest du genug, doch kann genug
Wohl nicht so weit bis zu dem Fräulein reichen.
Und doch, mich ängsten über mein Verdienst,
Das wäre schwaches Mißtraun in mich selbst.
So viel, als ich verdiene? – Ja, das ist
Das Fräulein; durch Geburt verdien' ich sie,[410]
Durch Glück, durch Zier und Gaben der Erziehung;
Doch mehr verdien' ich sie durch Liebe. Wie,
Wenn ich nicht weiter schweift' und wählte hier?
Laßt nochmals sehn den Spruch, in Gold gegraben:
»Wer mich erwählt, gewinnt, was mancher Mann begehrt.«
Das ist das Fräulein: alle Welt begehrt sie,
Aus jedem Weltteil kommen sie herbei,
Dies sterblich atmend Heil'genbild zu küssen.
Hyrkaniens Wüsten und die wilden Öden
Arabiens sind gebahnte Straßen nun
Für Prinzen, die zur schönen Porzia reisen.
Das Reich der Wasser, dessen stolzes Haupt
Speit in des Himmels Antlitz, ist kein Damm
Für diese fremden Geister; nein, sie kommen,
Wie über einen Bach, zu Porzias Anblick.
Eins von den drei'n enthält ihr himmlisch Bild.
Soll Bleies in sich fassen? Läst'rung wär's,
Zu denken solche Schmach: es wär' zu schlecht,
Im düstern Grab ihr Leichentuch zu panzern.
Und soll ich glauben, daß sie Silber einschließt,
Von zehnmal minderm Wert als reines Gold?
O sündlicher Gedanke! Solch ein Kleinod
Ward nie geringer als in Gold gefaßt.
In England gibt's 'ne Münze, die das Bild
Von einem Engel führt, in Gold geprägt.
Doch der ist drauf gedruckt: hier liegt ein Engel
Ganz drin im goldnen Bett. – Gebt mir den Schlüssel,
Hier wähl' ich, und geling' es, wie es kann!
PORZIA.
Da nehmt ihn, Prinz, und liegt mein Bildnis da,
So bin ich Euer.
Er schließt das goldne Kästchen auf.
MAROKKO.
O Hölle, was ist hier?
Ein Beingeripp, dem ein beschriebner Zettel
Im hohlen Auge liegt? Ich will ihn lesen.
»Alles ist nicht Gold, was gleißt,
Wie man oft Euch unterweist.
Manchen in Gefahr es reißt,
Was mein äußrer Schein verheißt:
Goldnes Grab hegt Würmer meist.[411]
Wäret Ihr so weis' als dreist,
Jung an Gliedern, alt an Geist,
So würdet Ihr nicht abgespeist
Mit der Antwort: Geht und reist!«
Ja fürwahr, mit bittrer Kost.
Leb wohl denn, Glut! Willkommen, Frost!
Lebt, Porzia, wohl! Zu langem Abschied fühlt
Mein Herz zu tief: so scheidet, wer verspielt.
Ab.
PORZIA.
Erwünschtes Ende! Geht, den Vorhang zieht:
So wähle jeder, der ihm ähnlich sieht!
Alle ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Kaufmann von Venedig
|
Buchempfehlung
Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.
82 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro