[219] Daselbst.
Es treten auf der Schließer, Claudio und Gerichtsdiener; Lucio und die zwei Edelleute; Julia wird vorüber geführt.
CLAUDIO.
Mensch, warum muß die ganze Welt mich sehn? –
Bring' mich zum Kerker, wie dir aufgetragen.
SCHLIESSER.
Ich tu' dies nicht aus eignem bösen Willen,
Nur weil's Lord Angelo bestimmt verlangt.
CLAUDIO.
Ja, so kann dieser Halbgott Majestät
Uns nach Gewicht die Sünde zahlen lassen.
Des Himmels Wort: wen ich erwähl', erwähl' ich,
Wen nicht, verstoß' ich. ... und doch stets gerecht! –
LUCIO.
Nun sag doch, Claudio, woher solcher Zwang?
CLAUDIO.
Von zu viel Freiheit, Lucio, zu viel Freiheit!
Wie Überfüllung strenge Fasten zeugt,
So wird die Freiheit, ohne Maß gebraucht,
In Zwang verkehrt; des Menschen Hang verfolgt
(Wie Ratten gierig selbst ihr Gift sich rauben)
Die durst'ge Sünd', und tödlich wird der Trunk! –
LUCIO. Wenn ich im Arrest so weislich zu reden wüßte, so würde ich einige von meinen Gläubigern rufen lassen. Und doch, die Wahrheit zu sagen, mir ist die Narrenteidung der Freiheit lieber als die Moral der Gefangenschaft. Was ist dein Vergehn, Claudio? –
CLAUDIO. Was nur zu nennen neuen Anstoß gäbe!
LUCIO.
Was: ist's ein Mord?
CLAUDIO.
Nein!
LUCIO.
Unzucht?[219]
CLAUDIO.
Nenn' es so.
SCHLIESSER.
Fort, Herr, Ihr müßt jetzt weiter.
CLAUDIO.
Ein Wort, mein Freund; Lucio, ein Wort mit Euch.
Nimmt ihn auf die Seite.
LUCIO.
Ein Dutzend, wenn's dir irgend helfen kann.
Wird Unzucht so bestraft?
CLAUDIO.
So steht's mit mir: – nach redlichem Verlöbnis
Nahm ich Besitz von meiner Julia Bett.
Ihr kennt das Fräulein; sie ist ganz mein Weib,
Nur daß wir noch bisher nicht kund getan
Die äußre Förmlichkeit; dies unterblieb
Um einer nicht bezahlten Mitgift willen,
Die noch in ihrer Vettern Truhen liegt;
So daß wir unsern Bund verschweigen wollten,
Bis Zeit sie uns befreundet. Doch der Raub
Höchst wechselseit'gen Kosens zeigt sich leider
Mit allzu großer Schrift auf ihr geprägt.
LUCIO.
Schwanger vielleicht?
CLAUDIO.
Zum Unglück ist es so!
Denn unsers Herzogs neuer Stellvertreter,
Sei es die Schuld und falscher Glanz der Neuheit,
Sei's, daß ihm das gemeine Wohl erscheint
Gleich einem Roß, auf dem der Landvogt reitet,
Der, kaum im Sattel, daß es gleich empfinde
Des Reiters Kunst, den Sporn ihm fühlen läßt;
Sei's, daß die Tyrannei im Herrscheramt,
Sei's, daß sie wohn' im Herzen Seiner Hoheit, –
Ich weiß es nicht: genug, der neue Richter
Weckt mir die längst verjährten Strafgesetze,
Die gleich bestäubter Wehr im Winkel hingen,
So lang', daß neunzehn Jahreskreise schwanden
Und keins gebraucht ward; und aus Sucht nach Ruhm
Muß ihm das schläfrige, vergeßne Recht
Frisch wider mich erstehn: ja, nur aus Ruhmsucht!
LUCIO. Ja, wahrhaftig, so ist es, und dein Kopf steht so kitzlig auf deinen Schultern, daß ein verliebtes Milchmädchen[220] ihn herunter seufzen könnte. Sende dem Herzog Botschaft und appelliere an ihn! –
CLAUDIO.
Das tat ich schon, doch ist er nicht zu finden;
Ich bitt' dich, Lucio, tu' mir diese Freundschaft:
Heut tritt ins Kloster meine Schwester ein,
Und ihre Probezeit beginnt sie dort:
Erzähl' ihr die Gefahr, die mich bedroht;
In meinem Namen flehe, daß sie Freunde
Dem strengen Richter schickt, ihn selbst beschwört.
Ich hoffe viel von ihr; denn ihre Jugend
Ist kräft'ge Rednergabe ohne Wort,
Die Männer rührt; zudem ist sie begabt,
Wenn sie es will, mit holdem Spruch und Witz,
Und leicht gewinnt sie jeden.
LUCIO. Der Himmel gebe, daß sie es könne, sowohl zum Trost aller derer, die sich im gleichen Fall befinden und sonst unter schwerer Zucht stehn wür den, als damit du dich deines Lebens erfreust; denn es wäre mir leid, wenn du's so närrischer Weise um ein Spiel Tricktrack verlieren solltest. Ich gehe zu ihr.
CLAUDIO. Ich danke dir, mein bester Freund.
LUCIO. In zwei Stunden –
CLAUDIO. Kommt, Schließer; wir gehn.
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