|
[223] Ein Nonnenkloster.
Es treten auf Isabella und Franziska.
ISABELLA.
Und habt ihr Nonnen keine Freiheit sonst?
FRANZISKA.
Scheint diese dir zu klein? –
ISABELLA.
O nein! Ich sprach's nicht, als begehrt' ich mehr;
Im Gegenteil, ich wünschte strengre Zucht
Sankt Klarens Schwesterschaft und ihrem Orden.
LUCIO draußen.
He! Friede diesem Ort! –
ISABELLA.
Wer ruft denn da? –
FRANZISKA.
Es ist ein Mann. O liebe Isabella,
Schließt Ihr ihm auf und fragt, was sein Begehr.
Ihr könnt es tun, ich nicht: Ihr schwurt noch nicht:
Doch eingekleidet sprecht Ihr nie mit Männern,
Als nur in der Äbtissin Gegenwart,
Und wenn Ihr sprecht, bleibt Eu'r Gesicht verhüllt;
Entschleiert Ihr das Antlitz, müßt Ihr schweigen.
Er ruft noch einmal: bitt' Euch, gebt ihm Antwort!
Franziska ab.
ISABELLA.
Frieden und Heil mit Euch! Wer ist's, der ruft? –
Lucio tritt auf.[223]
LUCIO.
Heil, Jungfrau! Daß Ihr's seid, verkündet mir
Die Wangenblüte. Könnt Ihr so mich fördern,
Zum Fräulein Isabella mich zu führen,
Die hier Novize ist; der schönen Schwester
Des unglücksel'gen jungen Claudio?
ISABELLA.
Warum unsel'gen Claudio? Frag' ich Euch,
Und um so mehr, weil ich Euch melden muß,
Ich selbst bin Isabella, seine Schwester.
LUCIO.
Holdsel'ge Schöne, Euer Bruder grüßt Euch,
Doch daß ich's kürzlich meld': er ist im Kerker.
ISABELLA.
Weh' mir! Für was? –
LUCIO.
Um das, wofür, wenn ich sein Richter wär',
Er seine Straf' empfangen sollt' in Dank:
Er half zu einem Kinde seiner Freundin.
ISABELLA.
Herr, macht mich nicht zu Euerm Scherz!
LUCIO.
's ist wahr;
Ich möchte nicht, ist's gleich mein alter Fehl,
Mit Mädchen Kiebitz spielen, weit vom Herzen
Die Zunge, – so mit allen Jungfrau'n tändeln:
Ihr seid mir ein verklärter Himmelsgast
Und durch Enthaltsamkeit unkörperlich;
Drum muß das Wort mit Euch wahrhaftig sein,
Als nahte man sich einer Heiligen.
ISABELLA.
Ihr lästert das Erhabne, mich verhöhnend.
LUCIO.
Das glaubt nicht! Kurz und wahr, so steht die Sache:
Eu'r Bruder und sein Liebchen herzten sich;
Und wie die Speise füllt; der blüh'nde Mai
Den dürren Furchen nach der Saat verhilft
Zu schwell'nder Fülle: also zeigt ihr Schoß
Sein fleißiges Bemühn und emsig Tun.
ISABELLA.
Ist jemand von ihm schwanger? Muhme Julia?
LUCIO.
So, ist sie Eure Muhme?
ISABELLA.
Durch Wahl: wie Schülerinnen Namen tauschen
In kindisch treuer Freundschaft.
LUCIO.
Diese ist's.
ISABELLA.
Oh, nehm' er sie zur Frau!
LUCIO.
Das ist der Punkt: –
Der Herzog hat höchst seltsam sich entfernt;[224]
Und manchen Edeln – (mich nebst andern) – foppt er
Mit Hoffnung auf ein Amt; doch hören wir
Von solchen, die den Nerv des Staates kennen,
Was er uns vorgab, sei unendlich weit
Von seiner wahren Absicht. Jetzt regiert
Statt seiner, mit der unbeschränkt'sten Vollmacht,
Lord Angelo, ein Mann, dem statt des Bluts
Schneewasser in den Adern fließt; der nie
Der Sinne muntre Trieb' und Regung kannte;
Der ihren Stachel hemmt und abgestumpft
Mit geist'ger Arbeit, Fasten und Studieren.
Dieser, in Furcht zu setzen Lust und Freiheit,
Die lang' das drohende Gesetz umschwärmt
(Wie Mäus' um Löwen), klaubt den Spruch hervor,
Durch dessen schweren Inhalt Claudios Leben
Verwirkt ist; setzt sogleich ihn in Verhaft
Und folgt genau der Satzung totem Wort
Zu strenger Warnung. Alles ist verloren,
Wenn Euch nicht Gnade wird, durch holdes Flehn
Ihn zu erweichen. Dies nun ist der Kern
Des Auftrags, den mir Euer Bruder gab.
ISABELLA.
So will er seinen Tod?
LUCIO.
Hat die Sentenz
Schon unterschrieben, und der Schließer, hör' ich,
Erhielt Befehl, das Urteil zu vollziehn.
ISABELLA.
Ach, welche arme Fähigkeit besitz' ich,
Ihm noch zu helfen?
LUCIO.
Eure Macht versucht!
ISABELLA.
Weh mir! Ich zweifle –
LUCIO.
Zweifel sind Verräter,
Die oft ein Gut entziehn, das wir erreichten, –
Weil den Versuch wir scheuten. Geht zu Angelo
Und lehrt ihn, daß, wenn Jungfrau'n flehn, die Männer
Wie Götter geben; weinen sie und knien,
Dann wird ihr Wunsch so frei ihr Eigentum,
Als ob sie selber die Gewährung sprächen.
ISABELLA.
Ich will versuchen, was ich kann.
LUCIO.
Nur schnell! –[225]
ISABELLA.
Ich geh' sogleich,
Nicht länger säum' ich; der Äbtissin nur
Meld' ich's vorher. Ich dank' Euch, Herr, in Demut;
Empfehlt mich meinem Bruder: noch vor Nacht
Send' ich ihm sichre Nachricht des Erfolgs. –
LUCIO.
Dann nehm' ich Abschied.
ISABELLA.
Gott befohlen, Herr! –
Beide gehn.[226]
Ausgewählte Ausgaben von
Maß für Maß
|
Buchempfehlung
In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.
74 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro