Zweite Szene

[337] Perikles, auf dem Schiffe.


PERIKLES.

Du Gott der großen Flut, schilt diese Wogen,

Die Himmel und Hölle waschen! Du, der Stürmen

Gebeut, verschließ' in Erz sie, der du erst

Sie aus der Tiefe rief'st; o schweige doch

Die furchtbar betäubenden Donner, lösch' die behenden

Schweflichten Flammen! – Ha, Lychorida!

Wie geht's der Königin? – So stürm' denn rasend!

Willst du dich ganz ausspei'n? – Des Seemanns Pfeife

Ist wie Geflister in des Todes Ohr.

Lychorida! – Du hörst nicht? – O Lucina,

Göttlichster Schutz, und güt'ge Hülfe denen,

Die nächtlich zu dir schrei'n, bring' deine Gottheit

Auf unser tanzend Schiff; mach kurz die Wehen

Des seufzenden Gemahls. – Lychorida –


Lychorida tritt auf.


LYCHORIDA.

Hier ist ein Ding, zu jung für solchen Ort,

Hätt' es Verstand, es stürbe, wie ich noch muß;

Faßt in die Arm' dies Stück der toten Kön'gin.

PERIKLES.

Ha! – Wie? – Lychorida! –

LYCHORIDA.

Geduldig, guter Herr, helft nicht dem Sturm,

Dies blieb von Eurer Königin lebendig:

Ein Töchterlein, um derentwillen seid

Gefaßt, und tröstet Euch.

PERIKLES.

Ihr großen Götter!

Was gebt ihr uns Geschenke, die wir lieben,

Und reißt sie wieder von uns?

Wir nehmen nicht, was wir geschenkt, zurück,

Und können so mit euch in Ehre eifern.

LYCHORIDA.

Geduldig, Herr, um diese Eure Sorge.[337]

PERIKLES.

Es möge milde sein dein Leben!

Nie hatt' ein Kind wohl stürmisch're Geburt.

Dein Sinn mag sanft und immer ruhig sein;

So rauh ward nie in diese Welt bewillkommt

Ein Fürstenkind. Beglückt sei deine Zukunft!

Wild tobend war die Stunde der Geburt,

Den ärgsten Gruß gab Feuer, Wasser, Erde,

Luft, Himmel dir, aus Mutterleib erscheinend;

Im Anbeginn ist dein Verlust schon größer,

Als dir das Leben je ersetzen kann.

Ihr Götter schaut gütig und freundlich nieder!


Zwei Matrosen kommen.


ERSTER MATROSE. Wie stets um den Mut, Herr? Gott erhalt' Euch!

PERIKLES.

Ha, Mut genug, ich fürchte nicht den Sturm,

Er tat das Ärgste mir; um Willen doch

Des armen Kindes, des allzu kleinen Seemanns,

Möcht' ich, es würde ruhig.

ERSTER MATROSE.

Schlaff die Boileinen! – Wird's nicht? –

Wird's nicht? Nun so blasé bis du platzest!

ZWEITER MATROSE. Nur Seeraum, so mögen Salzflut und wolkenhohe Wogen den Mond küssen? Was kümmert's mich?

ERSTER MATROSE. Herr, Eure Königin muß über Bord; die See geht hoch, der Wind ist laut, und wird nicht ruhig, bis das Schiff von Toten gesäubert ist.

PERIKLES. Das ist nur Euer Aberglaube.

ERSTER MATROSE. Vergebung, Herr, bei uns zur See wird's immer so gehalten; sind wir streng, drum gebt sie ohne Umstände, sie muß über Bord.

PERIKLES. So wie Ihr wollt. – O arme Königin!

LYCHORIDA. Da liegt sie, Herr.

PERIKLES.

Ein furchtbar Kindbett hatt'st du, meine Teure,

Nicht Licht, nicht Feu'r; die wilden Elemente

Vergaßen dich so ganz, auch fehlt mir Zeit,

Geweiht dich in dein Grab zu legen; stracks,[338]

Kaum eingesargt, werf' ich dich in die Flut,

Wo statt des Monuments auf deiner Leiche,

Statt Lampen, über dir der Walfisch wälzt,

Das Wasser summend dein Gebein umtost,

Auf Muscheln liegend: O Lychorida!

Nestor soll Spezerei'n, Papier und Tinte,

Das Kästchen mit dem Schmuck mir bringen, Nikander

Den Seidenschrein; so lege denn das Kind

Auf Kissen; schnell! Indes ein fromm Fahrwohl

Ich ihr noch sage. Eile dich, du Frau!

ZWEITER MATROSE. Herr, wir haben unten im Raum eine Kiste, die schon verstopft und ausgepicht ist.

PERIKLES. Dank! Sag', Matrose, welche Küst' ist dies?

ZWEITER MATROSE. Wir sind nahe bei Tharsus.

PERIKLES.

Dahin, mein Freund,

Statt Tyrus, segeln wir. Wann kommst du hin?

ZWEITER MATROSE. Mit Tages Anbruch, wenn der Wind ruhig wird.

PERIKLES.

Auf denn, nach Tharsus!

Cleon besuch' ich dort; denn bis nach Tyrus

Hält dieses Kind nicht aus. Dort lass' ich es

In ems'ger Pflege. Geh nur, guter Schiffer,

Ich bringe dir den Leichnam gleich.


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 337-339.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon