Dritte Szene

[194] Eine Straße. Ungewitter.

Casca, mit gezognem Schwert, und Cicero kommen von verschiednen Seiten.


CICERO.

Guten Abend, Casca! Kommt Ihr her vom Cäsar?

Warum so atemlos und so verstört?[194]

CASCA.

Bewegt's Euch nicht, wenn dieses Erdballs Feste

Wankt wie ein schwaches Rohr? O Cicero!

Ich sah wohl Stürme, wo der Winde Schelten

Den knot'gen Stamm gespaltet, und ich sah

Das stolze Meer anschwellen, wüten, schäumen,

Als wollt' es an die droh'nden Wolken reichen.

Doch nie bis heute nacht, noch nie bis jetzt

Ging ich durch einen Feuerregen hin.

Entweder ist im Himmel innrer Krieg,

Wo nicht, so reizt die Welt durch Übermut

Die Götter, uns Zerstörung herzusenden.

CICERO.

Ja, saht Ihr jemals wundervoll're Dinge?

CASCA.

Ein Sklave, den Ihr wohl von Ansehn kennt,

Hob seine linke Hand empor; sie flammte

Wie zwanzig Fackeln auf einmal, und doch,

Die Glut nicht fühlend, blieb sie unversengt.

Auch kam (seitdem steckt' ich mein Schwert nicht ein)

Beim Kapitol ein Löwe mir entgegen.

Er gaffte starr mich an, ging mürrisch weiter,

Und tat mir nichts. Auf einen Haufen hatten

Wohl hundert bleiche Weiber sich gedrängt,

Entstellt von Furcht; die schwuren, daß sie Männer

Mit feur'gen Leibern wandern auf und ab

Die Straßen sahn. Und gestern saß der Vogel

Der Nacht sogar am Mittag auf dem Markte,

Und kreischt' und schrie. Wenn dieser Wunderzeichen

So viel zusammentreffen, sage niemand:

»Dies ist der Grund davon, sie sind natürlich.«

Denn Dinge schlimmer Deutung, glaub' ich, sind's

Dem Himmelstrich, auf welchen sie sich richten.

CICERO.

Gewiß, die Zeit ist wunderbar gelaunt.

Doch Menschen deuten oft nach ihrer Weise

Die Dinge, weit entfernt vom wahren Sinn.

Kommt Cäsar morgen auf das Kapitol?

CASCA.

Ja, denn er trug es dem Antonius auf,

Euch kund zu tun, er werde morgen kommen.

CICERO.

Schlaft wohl denn, Casca! Dieser Aufruhr läßt

Nicht draußen weilen.[195]

CASCA.

Cicero, lebt wohl!


Cicero ab.


Cassius tritt auf.


CASSIUS.

Wer da?

CASCA.

Ein Römer.

CASSIUS.

Casca, nach der Stimme.

CASCA.

Eu'r Ohr ist gut. Cassius, welch eine Nacht!

CASSIUS.

Die angenehmste Nacht für wackre Männer.

CASCA.

Wer sah den Himmel je so zornig drohn?

CASSIUS.

Die, welche so voll Schuld die Erde sahn.

Ich, für mein Teil, bin durch die Stadt gewandert,

Mich unterwerfend dieser grausen Nacht,

Und so entgürtet, Casca, wie Ihr seht,

Hab' ich die Brust dem Donnerkeil entblößt.

Und wenn des Blitzes schlängelnd Blau zu öffnen

Des Himmels Busen schien, bot ich mich selbst

Dem Strahl des Wetters recht zum Ziele dar.

CASCA.

Warum versuchtet Ihr den Himmel so?

Es steht den Menschen Furcht und Zittern an,

Wenn die gewalt'gen Götter solche Boten

Furchtbarer Warnung, uns zu schrecken, senden.

CASSIUS.

O Casca! Ihr seid stumpf: der Lebensfunke,

Der glühen sollt' in Römern, fehlt Euch, oder

Ihr braucht ihn nicht. Ihr sehet bleich und starrt,

Von Furcht ergriffen und versenkt in Staunen,

Des Himmels ungewohnten Grimm zu schauen.

Doch wolltet Ihr den wahren Grund erwägen,

Warum die Feu'r, die irren Geister alle,

Was Tier' und Vögel macht vom Stamm entarten,

Und Greise faseln, Kinder prophezein;

Warum all diese Dinge ihr Gesetz,

Natur und angeschaffne Gaben wandeln

In Mißbeschaffenheit: nun, so erkennt Ihr,

Der Himmel hauchte diesen Geist in sie,

Daß sie der Furcht und Warnung Werkzeug würden

Für irgendeinen mißbeschaffnen Staat.

Nun könnt' ich, Casca, einen Mann dir nennen,

Ganz ähnlich dieser schreckenvollen Nacht,[196]

Der donnert, blitzt, die Gräber öffnet, brüllt,

So wie der Löwe dort im Kapitol;

Ein Mann, nicht mächtiger als ich und du

An Leibeskraft, doch drohend angewachsen

Und furchtbar, wie der Ausbruch dieser Gärung.

CASCA.

s' ist Cäsar, den Ihr meint. Nicht, Cassius?

CASSIUS.

Es sei auch, wer es sei: die Römer haben

Jetzt Mark und Bein, wie ihre Ahnen hatten.

Doch weh uns! unsrer Väter Geist ist tot,

Und das Gemüt der Mütter lenket uns,

Denn unser Joch und Dulden zeigt uns weibisch.

CASCA.

Ja freilich heißt's, gewillt sei der Senat,

Zum König morgen Cäsarn einzusetzen;

Er soll zur See, zu Land die Krone tragen,

An jedem Ort, nur in Italien nicht.

CASSIUS.

Ich weiß, wohin ich diesen Dolch dann kehre:

Denn Cassius soll von Knechtschaft Cassius lösen.

Darin, ihr Götter, macht ihr Schwache stark,

Darin, ihr Götter, bändigt ihr Tyrannen:

Noch felsenfeste Burg, noch eh'rne Mauern,

Noch dumpfe Kerker, noch der Ketten Last

Sind Hindernisse für des Geistes Stärke.

Das Leben, dieser Erdenschranken satt,

Hat stets die Macht, sich selber zu entlassen.

Und weiß ich dies, so wiss' auch alle Welt:

Den Teil der Tyrannei, der auf mir liegt,

Werf' ich nach Willkür ab.

CASCA.

Das kann auch ich.

So trägt ein jeder Sklav' in eigner Hand

Gewalt, zu brechen die Gefangenschaft.

CASSIUS.

Warum denn wäre Cäsar ein Tyrann?

Der arme Mann! Ich weiß, er wär' kein Wolf,

Wenn er nicht säh', die Römer sind nur Schafe.

Er wär' kein Leu, wenn sie nicht Rehe wären.

Wer eilig will ein mächtig Feuer machen,

Nimmt schwaches Stroh zuerst: was für Gestrüpp

Ist Rom, und was für Plunder, wenn es dient

Zum schlechten Stoff, der einem schnöden Dinge[197]

Wie Cäsar Licht verleiht? Doch oh, mein Gram!

Wo führtest du mich hin? Ich spreche dies

Vielleicht vor einem will'gen Knecht: dann weiß ich,

Daß ich muß Rede stehn; doch führ' ich Waffen,

Und mich bekümmern die Gefahren nicht.

CASCA.

Ihr sprecht mit Casca, einem Mann, der nie

Ein Ohrenbläser war. Hier meine Hand!

Werbt nur Partei zur Abstellung der Übel,

Und dieser Fuß soll Schritt mit jedem halten,

Der noch so weit geht.

CASSIUS.

Ein geschloßner Handel!

Nun, Casca, wißt: ich habe manche schon

Der Edelmütigsten von Rom beredet,

Mit mir ein Unternehmen zu bestehn

Von ehrenvoll-gefährlichem Erfolg.

Ich weiß, sie warten in Pompejus' Halle

Jetzt eben mein: denn in der furchtbar'n Nacht

Kann niemand unter freiem Himmel dauern.

Des Elementes Antlitz und Gestalt

Ist wie das Werk beschaffen, das wir treiben,

Höchst blutig, feurig und höchst fürchterlich.


Cinna tritt auf.


CASCA.

Seid still ein Weilchen, jemand kommt in Eil'.

CASSIUS.

Ich hör' am Gange, daß es Cinna ist;

Er ist ein Freund. – Cinna, wohin so eilig?

CINNA.

Euch sucht' ich. Wer ist das? Metellus Cimber?

CASSIUS.

Nein, es ist Casca, ein Verbündeter

Zu unsrer Tat. Werd' ich erwartet, Cinna?

CINNA.

Das ist mir lieb. Welch eine grause Nacht!

Ein paar von uns sahn seltsame Gesichte.

CASSIUS.

Werd' ich erwartet, sagt mir?

CINNA.

Ja.

Ihr werdet es. O Cassius! könntet Ihr

In unsern Bund den edlen Brutus ziehn –

CASSIUS.

Seid ruhig! Guter Cinna, diesen Zettel,

Seht, wie Ihr in des Prätors Stuhl ihn legt,

Daß Brutus nur ihn finde; diesen werft[198]

Ihm in das Fenster; diesen klebt mit Wachs

Ans Bild des alten Brutus! Dies getan,

Kommt zu Pompejus' Hall' und trefft uns dort!

Ist Decius Brutus und Trebonius da?

CINNA.

Ja, alle bis auf Cimber, und der sucht

In Eurem Haus Euch auf. Gut, ich will eilen,

Die Zettel anzubringen, wie Ihr wünscht.

CASSIUS.

Dann stellt Euch ein bei des Pompejus Bühne!


Cinna ab.


Kommt, Casca, laßt uns beide noch vor Tag

In seinem Hause Brutus sehn: Drei Viertel

Von ihm sind unser schon; der ganze Mann

Ergibt sich bei dem nächsten Angriff uns.

CASCA.

Oh, er sitzt hoch in alles Volkes Herzen,

Und was in uns als Frevel nur erschiene,

Sein Ansehn wird es, wie der Stein der Weisen,

In Tugend wandeln und in Würdigkeit.

CASSIUS.

Ihn, seinen Wert, wie sehr wir ihn bedürfen,

Habt Ihr recht wohl getroffen. Laßt uns gehn,

Es ist nach Mitternacht: wir wollen ihn

Vor Tage wecken und uns sein versichern.


Ab.[199]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 194-200.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Julius Cäsar
Julius Caesar Wordsworth classics
Julius Caesar by Shakespeare, William ( AUTHOR ) Apr-01-2011 Paperback
Julius Cäsar
Julius Caesar [Zweisprachig]
Julius Cäsar: Zweisprachige Ausgabe

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon