Dritte Szene

[254] Ein andrer Teil des Schlachtfeldes.

Getümmel. Cassius und Titinius kommen.


CASSIUS.

O sieh, Titinius! sieh! Die Schurken fliehn.

Ich selbst ward meiner eignen Leute Feind:

Dies unser Banner wandte sich zur Flucht,

Ich schlug den Feigen und entriß es ihm.

TITINIUS.

O Cassius! Brutus gab das Wort zu früh.

Im Vorteil gegen den Octavius, setzt' er

Zu hitzig nach: sein Heer fing an zu plündern,

Indes uns alle Mark Anton umzingelt.


Pindarus kommt.[254]


PINDARUS.

Herr, flieht doch weiter! Flieht doch weiter weg!

Antonius ist in Euren Zelten, Herr:

Drum, edler Cassius, flieht! Flieht weit hinweg!

CASSIUS.

Der Hügel hier ist weit genug. – Schau', schau',

Titinius! Sind das meine Zelte nicht,

Wo ich das Feuer sehe?

TITINIUS.

Ja, mein Feldherr.

CASSIUS.

Wenn du mich liebst, Titinius, so besteig'

Mein Pferd, setz' ihm die Spornen in die Seite,

Bis es zu jener Mannschaft dich gebracht

Und wieder her: damit ich sicher wisse,

Ob jene Mannschaft Freund ist oder Feind.

TITINIUS.

Wie ein Gedanke bin ich wieder hier.


Ab.


CASSIUS.

Geh, Pindarus, steig' höher auf den Hügel,

Denn mein Gesicht ist kurz; acht' auf Titinius!

Und sag mir, was du auf dem Feld entdeckst!


Pindarus ab.


An diesem Tage atmet' ich zuerst:

Die Zeit ist um, und enden soll ich da,

Wo ich begann: mein Leben hat den Kreislauf

Vollbracht. – Du dort, was gibt's?

PINDARUS oben.

O Herr!

CASSIUS.

Was gibt's?

PINDARUS.

Titinius ist von Reitern ganz umringt,

Sie jagen auf ihn zu, doch spornt er weiter.

Nun sind sie dicht schon bei ihm – nun, Titinius!

Sie steigen ab – er auch – er ist gefangen, –

Und horcht! sie jubeln laut.


Freudengeschrei.


CASSIUS.

Steig' nur herunter, sieh nicht weiter zu. –

O Memme, die ich bin, so lang' zu leben,

Bis ich den besten Freund vor meinen Augen

Gefangen sehen muß!


Pindarus kommt zurück.


Komm, Bursch, hieher!

Ich macht' in Parthia dich zum Gefangnen,[255]

Und ließ dich schwören, deines Lebens Retter,

Was ich nur immer tun dich hieß', du wollest

Es unternehmen. Komm nun, halt' den Schwur!

Sei frei nun, und mit diesem guten Schwert,

Das Cäsars Leib durchbohrt, trifft diesen Busen!

Erwidre nichts! Hier fasse du das Heft,

Und ist mein Angesicht verhüllt, wie jetzt,

So führ' das Schwert! – Cäsar, du bist gerächt,

Und mit demselben Schwert, das dich getötet.


Er stirbt.


PINDARUS.

So bin ich frei, doch wär' ich's lieber nicht,

Hätt' es auf mir beruht. – O Cassius!

Weit wegflieht Pindarus von diesem Lande,

Dahin, wo nie ein Römer ihn bemerkt.


Ab.


Titinius und Messala kommen.


MESSALA.

Es ist nur Tausch, Titinius; denn Octav

Ward von des edlen Brutus Macht geschlagen,

Wie Cassius' Legionen vom Antonius.

TITINIUS.

Die Zeitung wird den Cassius sehr erquicken.

MESSALA.

Wo ließt Ihr ihn!

TITINIUS.

Ganz trostlos, neben ihm.

Sein Sklave Pindarus, auf diesem Hügel.

MESSALA.

Ist er das nicht, der auf dem Boden liegt?

TITINIUS.

Er liegt nicht da wie lebend. – O mein Herz!

MESSALA.

Nicht wahr? er ist es?

TITINIUS.

Nein, er war's, Messala:

Doch Cassius ist nicht mehr. – O Abendsonne!

Wie du in deinen roten Strahlen sinkst,

So ging in Blut der Tag des Cassius unter.

Die Sonne Roms ging unter; unser Tag

Ist hingeflohn: nun kommen Wolken, Tau,

Gefahren; unsre Taten sind getan.

Mißtraun in mein Gelingen bracht' ihn um.

MESSALA.

Mißtraun in guten Ausgang bracht' ihn um!

O hassenswerter Wahn! der Schwermut Kind!

Was zeigst du doch dem regen Witz der Menschen[256]

Das, was nicht ist? O Wahn, so bald empfangen!

Zu glücklicher Geburt gelangst du nie,

Und bringst die Mutter um, die dich erzeugt!

TITINIUS.

Auf, Pindarus! Wo bist du, Pindarus?

MESSALA.

Such' ihn, Titinius; ich indessen will

Zum edlen Brutus und sein Ohr durchbohren

Mit dem Bericht. Wohl nenn' ich es durchbohren,

Denn scharfer Stahl und gift'ge Pfeile würden

Dem Ohr des Brutus so willkommen sein

Als Meldung dieses Anblicks.

TITINIUS.

Eilt, Messala!

Ich suche Pindarus indessen auf.


Messala ab.

Warum mich ausgesandt, mein wackrer Cassius?

Traf ich nicht deine Freunde? Setzten sie

Nicht diesen Siegeskranz auf meine Stirn,

Ihn dir zu bringen? Vernahmst du nicht ihr Jubeln?

Ach, jeden Umstand hast du mißgedeutet!

Doch halt, nimm diesen Kranz um deine Stirn;

Dein Brutus hieß mich dir ihn geben, ich

Vollführe sein Gebot. – Komm schleunig, Brutus,

Und sieh, wie ich den Cajus Cassius ehrte!

Verzeiht, ihr Götter! – Dies ist Römerbrauch:

Komm, Cassius' Schwert! triff den Titinius auch!


Er stirbt.


Getümmel. Messala kommt zurück mit Brutus, dem jungen Cato, Strato, Volumnius und Lucilius.


BRUTUS.

Wo? Wo, Messala? Sag, wo liegt die Leiche?

MESSALA.

Seht, dort! Titinius trauert neben ihr.

BRUTUS.

Titinius' Antlitz ist emporgewandt.

CATO.

Er ist erschlagen.

BRUTUS.

O Julius Cäsar! Du bist mächtig noch!

Dein Geist geht um: er ist's, der unsre Schwerter

In unser eignes Eingeweide kehrt.

Lautes Getümmel.[257]


CATO.

Mein wackrer Freund Titinius! Seht doch her,

Wie er den toten Cassius gekränzt!

BRUTUS.

Und leben noch zwei Römer, diesen gleich?

Du letzter aller Römer, lebe wohl!

Unmöglich ist's, daß Rom je deinesgleichen

Erzeugen sollte. – Diesem Toten, Freunde,

Bin ich mehr Tränen schuldig, als ihr hier

Mich werdet zahlen sehen: aber, Cassius,

Ich finde Zeit dazu, ich finde Zeit.

Drum kommt und schickt nach Thassos seine Leiche:

Er soll im Lager nicht bestattet werden;

Es schlüg' uns nieder. – Komm, Lucilius!

Komm, junger Cato! Zu der Walstatt hin!

Ihr, Flavius und Labeo, laßt unsre Scharen rücken!

Es ist drei Uhr und, Römer, noch vor Nacht

Versuchen wir das Glück in einer zweiten Schlacht.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 254-258.
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