[559] In einer Hütte.
Kent und Gloster treten ein.
GLOSTER. Hier ist's besser, als in der freien Luft; nehmt es dankbar an; ich werde zu eurer Bequemlichkeit hier hinzufügen, was ich vermag; gleich bin ich wieder bei euch.
KENT. Alle Kraft seines Geistes ist seiner Ungeduld gewichen. Die Götter lohnen Euch Eure Freundlichkeit! –
Gloster geht ab. Lear, Edgar und der Narr kommen herein.
EDGAR. Frateretto ruft mir und sagt, Nero fische im Pfuhl der Finsternis. Zum Narren. Bete, du Unschuldiger, und hüte dich vor dem bösen Feind!
NARR. Bitt' dich, Gevatter, sag mir, ist ein toller Mann ein Edelmann oder ein Bürgersmann? –
LEAR. Ein König, ein König!
NARR. Nein, 's ist ein Bürgersmann, dereinen Edelmann zum in hat; denn der ist ein wahnsinniger Bürgersmann, der aen Sohn früher als sich zum Edelmann werden sieht.: Daß ihrer tausend mit rot glüh'nden Spießen at zischend auf sie stürzten! –
EDGAR. Der böse Feind beißt mich im Rücken.
NARR. Der ist toll, der auf die Zahmheit eines Wolfs baut, auf die Gesundheit eines Pferdes, eines Knaben Liebe, oder einer Hure Schwur.
LEAR.
Es soll geschehn, gleich sprech' ich euer Urteil.
Zu Edgar.
Komm, setz' dich her, du hochgelehrter Richter;
Zum Narren.
Du, weiser Herr, sitz' hier! Nun, ihr Wölfinnen!
EDGAR. Sieh, wie er steht und glotzt; – habt Ihr keine Augen vor Gericht, schöne Dame? –
Komm, übern Bach, mein Liesel, zu mir!
NARR.
Ihr Kahn ist nicht dicht,
Doch sagt sie dir's nicht,
Warum sie 'rüber nicht darf zu dir.
EDGAR. Der böse Feind verfolgt den armen Thoms mit der Stimme der Nachtigall. Hoptanz schreit in Thoms Bauch[559] nach zwei Heringen. Krächze nicht, schwarzer Engel! Ich habe kein Futter für dich.
KENT.
Nun, bester Herr? Oh, steht nicht so betäubt!
Wollt Ihr Euch legen, auf den Kissen ruhn?
LEAR.
Erst das Verhör: Bringt mir die Zeugen her!
Zu Edgar.
Du, Ratsherr im Talar, nimm deinen Platz;
Zum Narren.
Und du, sein Amtsgenoß der Richterwürde,
Sitz' ihm zur Seite!
Zu Kent.
Ihr seid auch Geschworner,
Setzt Euch gleichfalls!
EDGAR.
Laßt uns gerecht verfahren!
Schläfst oder wachst du, artiger Schäfer?
Deine Schäfchen im Korne gehen,
Und flötet nur einmal dein niedlicher Mund,
Deinen Schäfchen kein Leid soll geschehen.
Purr! die Katz' ist grau.
LEAR. Sprecht über die zuerst: 's ist Goneril. Ich schwöre hier vor dieser ehrenwerten Versammlung, sie hat den armen König, ihren Vater, mit Füßen getreten.
NARR.
Kommt, Lady! Ist Eu'r Name Goneril?
LEAR.
Sie kann's nicht leugnen.
NARR.
Verzeiht! ich hielt Euch für 'nen Sessel.
LEAR.
Und hier noch eine, deren scheeler Blick
Ihr finstres Herz verrät. Oh, haltet fest!
He! Waffen, Waffen, Feuer, Schwert! – Bestechung!
Du falscher Richter, läßt du sie entfliehn?
EDGAR.
Gott erhalte dir deine fünf Sinne!
KENT.
O Jammer! – Herr, wo ist nun die Geduld,
Die Ihr so oft Euch rühmtet zu bewahren?
EDGAR beiseit.
Meine Tränen nehmen so Partei für ihn,
Daß sie mein Spiel verderben.
LEAR.
Die kleinen Hunde, seht,
Spitz, Mops, Blandine, alle bell'n mich an.
EDGAR. Thoms wird seinen Kopf nach ihnen werfen. Hinaus mit euch, ihr Kläffer! –
Sei dein Maul schwarz oder weiß,
Sei's von gift'gem Geifer heiß,
Windspiel, Bullenbeißer, Jagdhund,[560]
Bracke, Pudel, Dogg' und Schlachthund,
Lang- und Stumpfschwanz, all ihr Köter,
Hört ihr Thoms, so schreit ihr Zeter,
Denn werf' ich so den Kopf nach euch,
Rennt ihr und springt in Graben und Teich.
Du di du di, Sessa! – Kommt auf die Kirmes und den Jahrmarkt! – Armer Thoms! – Dein Horn ist trocken.
LEAR. Nun laßt sie Regan anatomieren und sehn, was in ihrem Herzen brütet! Gibt's irgendeine Ursach' in der Natur, die diese harten Herzen hervorbringt? – Zu Edgar. Euch, Herr, halte ich als einen meiner Hundert; nur gefällt mir der Schnitt Eures Habits nicht. Ihr werdet sagen, es sei persische Tracht; aber laßt ihn ändern!
KENT. Nun, teurer Herr, ruht hier und schlaft ein Weilchen!
LEAR. Macht keinen Lärm, macht keinen Lärm; zieht den Vorhang zu! So, so, so; wir wollen zur Abendtafel morgen früh gehn; so, so, so.
NARR. Und ich will am Mittag zu Bett gehn.
Gloster kommt zurück.
GLOSTER.
Komm her, Freund, sag, wo ist mein Herr, der König?
KENT.
Hier, Herr! Doch stört ihn nicht, er ist von Sinnen.
GLOSTER.
Du guter Mann, nimm ihn in deine Arme;
Von einem Vorschlag, ihn zu töten, hört' ich:
Ich hab 'ne Sänfte, leg' ihn da hinein,
Und rasch nach Dover, wo du finden wirst
Schutz und Willkommen. Eil' und nimm ihn auf; –
Säumst du 'ne halbe Stunde nur, so ist
Sein Leben, deins und aller, die ihn schützen,
Verloren ohne Rettung: fort denn, fort!
Und folge mir; ich schaffe, dich zu schützen,
Ein schnell Geleit.
KENT.
Schläfst du, erschöpfte Kraft? –
Ein Balsam wär's für dein zerrißnes Leben,
Das, ist dir solche Lind'rung nicht vergönnt,
Wohl schwer gesundet. –
Zum Narr'n.
Komm, hilf deinem Herrn,
Du darfst zurück nicht bleiben.[561]
GLOSTER.
Kommt hinweg!
Kent, Gloster und der Narr tragen den König fort. Edgar bleibt allein.
EDGAR.
Sehn wir den Größern tragen unsern Schmerz,
Kaum rührt das eigne Leid noch unser Herz.
Wer einsam duldet, fühlt die tiefste Pein,
Fern jeder Lust, trägt er den Schmerz allein:
Doch kann das Herz viel Leiden überwinden,
Wenn sich zur Qual und Not Genossen finden.
Mein Unglück dünkt mir leicht und minder scharf,
Da, was mich beugt, den König niederwarf;
Er kind-, ich vaterlos! Nun, Thoms, wohlan,
Merk' auf den Sturm der Zeit; erschein' erst dann,
Wenn die Verleumdung, deren Schmach dich peinigt,
Beschämt durch Prüfung deinen Namen reinigt!
Komme was will zur Nacht: flieht nur der König! –
Gib acht! Gib acht!
Geht ab.
Ausgewählte Ausgaben von
König Lear
|
Buchempfehlung
In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro